Die Nachfolge richtig organisieren

Wie der Chef sein Unternehmen erfolgreich übergibt

01.02.2016
Von 
Klaus Kissel ist einer von zwei Geschäftsführern des ifsm Institut für Sales & Managementberatung in Urbar bei Koblenz, das unter anderem Unternehmen im Prozess der Nachfolgeregelung unterstützt und begleitet. Kissel ist Mitautor des Buches "Das Prinzip der minimalen Führung".

Neutraler Berater als Moderator und Wegbegleiter

Deshalb empfiehlt es sich, einen neutralen, externen Berater hinzuziehen, der den Prozess des Übergangs begleitet und mit den Beteiligten die Aspekte bearbeitet, die mit jedem Nachfolgeprozess verbunden sind - hierzu zählen unter anderem:

  • psychologische Aspekte - zum Beispiel: Welche Erwartungen habe ich als "neuer" beziehungsweise "scheidender" Gesellschafter an das Verhalten des jeweils anderen? Was ist mir als Person in dem Übergabeprozess wichtig?

  • unternehmerische Aspekte - zum Beispiel: Inwieweit ändert sich durch die (beabsichtigte) Übergabe die Kultur des Unternehmens und seine Marktposition? Was ist aus meiner Warte als neuer beziehungsweise scheidender Gesellschafter für eine erfolgreiche Unternehmensübergabe wichtig?

  • kommunikative Aspekte - zum Beispiel: Wie kommunizieren wir als neuer sowie scheidender Gesellschafter im Übergabeprozess miteinander? Wie treffen wir Entscheidungen, und wie kommunizieren wir sie? Wie und wann informieren wir die Mitarbeiter, Kunden und sonstigen Stakeholder über die geplante Übergabe?

Über viele der vorgenannten Fragen wird in geplanten Übergabeprozessen keine explizite Verständigung erzielt. Vielmehr wursteln die Beteiligten - auch weil die Übergabe für sie Neuland ist - gemäß der Devise "Irgendwie wird es schon klappen" vor sich hin. Die Folge: Es entstehen auf beiden Seiten emotionale Wunden, die nicht nur schmerzen, sondern auch eine zielorientierte Zusammenarbeit erschweren. Erst wenn die Situation sich bereits krisenhaft zugespitzt hat, suchen die Beteiligten - sozusagen als letzten Notnagel - oft eine externe Unterstützung, mit der Intention, den Übergabeprozess wieder in ein ruhiges Fahrwasser zu führen und sicherzustellen, dass er gelingt.

Den Prozess in ein ruhiges Fahrwasser führen

Eine solche Beratung gliedert sich meist in vier Phasen.

1. Analysephase: Der Berater interviewt in Vier-Augen-Gesprächen alle Beteiligten - also zum Beispiel den neuen und den scheidenden Gesellschafter (so wie bei Partnerunternehmen die verbleibenden Partner). Er ermittelt deren offene und verdeckte Wünsche sowie Befürchtungen. Er klärt den Konfliktstatus und bereitet die Beteiligten auf die Klärung vor. Dabei fördert er auch einen Perspektivenwechsel und berät alle Seiten mit Weitblick, damit es in der Klärungsphase "Gewinner" geben kann. In extrem zugespitzten Situationen kann ein Ergebnis der Analyse auch die Einschätzung sein: Eine erfolgreiche Unternehmensübergabe ist nicht mehr möglich, und eine Trennung ist der beste Weg für die Beteiligten. In diesem Fall bereitet der Berater die Beteiligten auf ein Klärungsgespräch vor, das auf eine würdige Trennung auf Augenhöhe abzielt.

2. Klärungsphase: In dieser Phase führt der Berater die Beteiligten zum Beispiel in einem eintägigen Workshop zusammen. Er klärt mit ihnen die entstandenen Konflikte und Missverständnisse und schafft den erforderlichen Raum, dass alle Beteiligten ihre wechselseitigen Erwartungen äußern. Gemeinsam erarbeiten sie, was die zentralen Erfolgsfaktoren einer Unternehmensübergabe sind, und stellen Regeln für den Umgang miteinander auf. Zudem verständigen sie sich auf die zentralen Eckpfeiler der Nachfolge- und Übergabestrategie.

3. Planungsphase: In dieser Phase plant der Berater mit den Gesellschaftern die Details für das Umsetzen der Strategie. Er verständigt sich mit ihnen über die betrieblich notwendigen Veränderungen und entwirft mit ihnen einen Maßnahmen- und Umsetzungsplan. Außerdem erstellt er mit ihnen einen Kommunikationsplan, wie und wann die Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und sonstigen Stakeholder wie zum Beispiel Banken über die geplanten Veränderungen informiert werden.

4. Umsetzungsphase: In dieser Phase begleitet der Berater die aktuellen und künftigen Inhaber zum Beispiel mit Coachings beim Umsetzen der einzelnen Maßnahmen. Außerdem schafft er den erforderlichen Rahmen, dass sich die Stakeholder regelmäßig wechselseitig Feedback geben und gegebenenfalls Strategieanpassungen und Verhaltensveränderungen vornehmen. Die Umsetzungsphase endet mit einer Evaluation des Übergabeprozesses durch alle Beteiligten. Oft erfolgt in dieser Phase auch ein individuelles Führungs-Coaching für den "neuen" Chef sowie ein Coaching des alten Chefs, das ihn im Prozess, "sein" Unternehmen loszulassen und sich zunehmend zurückzunehmen, unterstützt.

Durch ein solches Vorgehen lassen sich die meisten Nachfolgeprozesse, wo bereits emotionale Verletzungen entstanden sind, noch in ein ruhiges Fahrwasser führen, so dass der Übergabeprozess gelingt. Auch weil der Berater sozusagen eine Plattform schafft, um heikle Themen, die mit Emotionen behaftet sind, so zu besprechen, dass für beide Seiten akzeptable und somit tragfähige Lösungen erarbeitet werden können.

Frühzeitig professionelle Unterstützung sichern

Viel sinnvoller wäre es aber, unmittelbar nachdem oder sogar noch bevor die Unternehmensübergabe vertraglich geregelt wird, einen Nachfolgeberater zu engagieren. Denn in diesem Prozess müssen sowohl der bisherige Chef als auch der künftige Inhaber sich und ihre Rolle neu definieren und finden. Außerdem müssen die Akteure gemeinsam viele Herausforderungen meistern, bezüglich deren Lösung sie aufgrund ihrer Biografie und der Lebensphase, in der sie sich befinden, oft unterschiedliche Einschätzungen, Erwartungen und Bedürfnisse haben. Deshalb sind Konflikte beziehungsweise Interessengegensätze, aus denen Konflikte resultieren, nahezu unumgänglich. Darum ist eine professionelle Prozessbegleitung fast unverzichtbar, wenn der Übergabeprozess ohne bleibende emotionale Kränkungen und ohne eine Vernichtung eines großen Teils des Unternehmenswerts gemeistert werden soll. (pg)