Was ITSM-Experten zu Scrum, DevOps, Cloud und Edge sagen

Wie agil kann IT-Service-Management sein?

19.10.2017
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Scrum, DevOps, Cloud und Edge-Computing – die IT-Umgebungen werden immer agiler. Ein Alptraum für die IT-Service-Verantwortlichen, die sich fragen, ob ihre Werkzeuge eigentlich noch zeitgemäß sind? Darüber diskutierten auf Einladung der COMPUTERWOCHE fünf IT-Service-Management-Anbieter und der Vorsitzende des IT-Service-Management-Forums (itSMF).

"Die Aufgabe der IT ist es, die User glücklich zu machen". Dieses Statement eines jungen Vertrieblers für IT-Service-Management-Lösungen würde wohl kaum ein CIO unterschreiben. Dafür fände es bei den Anwendern sicher breite Zustimmung. Denn sie erwarten von einer erstklassigen IT vor allem eins: Sie muss reibungslos funktionieren, und wenn es doch einmal irgendwo hakt, soll sie schnell Abhilfe schaffen.

Was so simpel klingt, ist das Ergebnis eines komplexen Systems von Infrastrukturentscheidungen, Software-Tools und Prozessen. Es geht nicht nur darum, Störfälle ad hoc aufzunehmen und möglichst rasch abzuarbeiten. Das, was im Fachjargon Incident-Management genannt wird, ist nur eines der vielen Teile des IT-Service-Managements (ITSM), mit dem die Anwender unmittelbar konfrontiert werden. Zu diesem "sichtbaren" ITSM gehören zudem die automatisierte Anforderung und Genehmigung von IT-Komponenten mit Hilfe eines Service-Katalogs.

Das unsichtbare ITSM

Daneben oder darunter gibt es aber in vielen Unternehmen jedoch ein Netz miteinander verbundener und voneinander abhängiger ITSM-Komponenten, von dem sich der normale User meist keine Vorstellung macht. Beispielsweise gilt auch im ITSM der Nachhaltigkeitsgedanke: Anstatt nur auf Incidents zu reagieren, ist es auf Dauer effizienter, die einzelnen Störfälle zu analysieren und auf bestimmte, wiederkehrende Muster und Fehlerquellen zurückzuführen. Diese Aufgabe erledigt das Problem-Management. Eine Knowledge-Management-Komponente, beispielsweise eine Wissensdatenbank, innerhalb der ITSM-Umgebung kann helfen, Störungsmuster zu erkennen und erfolgversprechende Lösungsmöglichkeiten zu identifizieren.

Am geschicktesten ist es jedoch, mögliche Fehlerquellen abzudichten, bevor die damit verbundenen Probleme überhaupt auftreten. Dabei helfen ein gut gepflegtes Asset- und Konfigurations-Management inklusive einer Configuration Management Data Base (CDMB). Solche Werkzeuge ermöglichen es dem IT-Service-Team, den Überblick über alle im Unternehmen eingesetzten Hardware- und Softwarekomponenten mit all ihren wechselseitigen Abhängigkeiten zu behalten. Das hilft - zumindest theoretisch - zu verhindern, dass kleine Änderungen an einem Teil der Infrastruktur das Gesamtsystem lahmlegen.

Die ITIL-Euphorie ist verflogen

Für diese - und noch ein paar weitere - ITSM-Aufgaben müssen die IT-Bereiche gemeinsam mit den Anwendern Prozesse definieren und vor allem auch Sorge dafür tragen, dass sie auch eingehalten werden. Dabei handelt es sich trotz aller Verschiedenheit der Unternehmen weitgehend um Standardabläufe.

Viele IT-Bereiche orientieren sich deshalb an der Best-Practices-Sammlung IT Infrastucture Library (ITIL). In deren fünf Bänden sind insgesamt 37 Kernprozesse für das ITSM beschrieben - angefangen vom Strategie- und Finanz-Management für IT-Services über das Information-Security-Management sowie das Servicekatalog- und Service-Level-Management bis zu den operativen Prozessen am Service Desk und einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess (Continous Service Improvement).

Mittlerweile haben viele Unternehmen die Prozesskompetenz ihrer IT-Service-Mitarbeiter nach ITIL zertifizieren lassen. Doch die ganz große Euphorie ist verflogen. Vor allem mittelgroße Unternehmen klagen zunehmend darüber, dass das ITIL-Kompendium viel zu umfangreich und detailliert sei, um es praktisch zu nutzen. Und die vielen unterschiedlichen Rollen, die ITIL beschreibt, können Mittelständler meist gar nicht besetzen.

Folglich wird seit einigen Jahren der Ruf nach einer abgespeckten Version der Best-Practices-Sammlung immer lauter, sprich: nach einem "ITIL Light". Tatsächlich gibt es schon Alternativen wie FitSM oder YaSM. Allerdings hat ITIL immer noch ein gewichtiges Argument auf seiner Seite: Das Regelwerk ist von Anwendern wie Dienstleistern anerkannt, dient quasi als gemeinsame Sprache. Deshalb entscheiden sich viele Unternehmen, dabei zu bleiben. Aber nur die Prozesse und Rollen umzusetzen, die sie wirklich brauchen - das hört sich einfacher an, als es tatsächlich ist, und es erfordert häufig die Hilfe versierter Berater.

Flexibel und hybrid versus definiert und wiederholbar

Darüber hinaus stellt sich heute die Frage, ob ein nach verbindlichen Prozessen ablaufendes ITSM überhaupt noch zeitgemäß ist - angesichts von IT-Umgebungen, die zumindest teilweise nach dem Nike-Prinzip ("Just do it") funktionieren: Systems of Engagement, agile Entwicklungsmethoden, hybride Umgebung aus On-premise- und Cloud-basierenden Anwendungen, das Verschmelzen von Development und Operations zu DevOps, das sind nur einige der Stichworte in diesem Zusammenhang.

Welche Bedeutung kann ITSM angesichts dieser Veränderungen noch haben? Muss es selbst agiler werden? Oder kommt es künftig nur noch in den Systems of Record, also den großen, auf stabilen Betrieb ausgelegten, langlebigen Enterprise-Systemen zum Tragen? Um solche Themen zu diskutieren, trafen sich auf Einladung der COMPUTERWOCHE Vertreter von fünf ITSM-Lösungsanbietern sowie Steven Handgrätinger, Vice President beim Systemhaus Bechtle und zugleich Vorstandsvorsitzender des deutschen itSMF (IT Servive Management Forum), das sich die Förderung von Governance-Regeln und Policies für das ITSM zum Ziel gesetzt hat.

Totgesagte leben länger

Wie Handgrätinger beteuerte, hat sich die Dachorganisation des itSMF ernsthaft mit der eigenen Rolle auseinandergesetzt: "Uns haben ja viele schon totgesagt", bekannte der itSMF-Vorstand. Unter anderem habe sich der Verband sogar gefragt, "ob wir nicht besser das IT aus unserem Namen streichen sollten". Aber genau das sei der falsche Ansatz, "denn eigentlich wird in den Unternehmen derzeit alles zu IT."

Deshalb habe sich das Forum nun vorgenommen, "die richtigen Antworten auf die Fragen eines digitalen Betriebskonzepts zu finden", wie Handgrätinger es formulierte. Und wie könnten diese Antworten aussehen? - "Wir brauchen Agilität und Geschwindigkeit auf Basis von Service-Management." Und dazu gehöre auch ITIL. Das sei zwar nicht die "eierlegende Wollmilchsau, aber es biete eine breite Palette von Best Practices, aus denen sich schließlich jeder das heraussuchen könne, was er für seinen Geschäftserfolg brauche.