In der Studie "No-Code/Low-Code 2022" waren Gründe für die Einführung einer No-Code/Low-Code-Plattform hauptsächlich Kostensenkung der Entwicklung, gefolgt von schnellerer Applikationserstellung und der gezielteren Ausrichtung am Business. Ein Jahr später ist der Kostenaspekt immer noch als Grundrauschen wahrnehmbar, der auf den Unternehmen liegende Digitalisierungsdruck hat sich aber spürbar verstärkt.
So haben die Herausforderungen wegen unterbrochener Lieferketten in der jüngsten Vergangenheit dazu geführt, dass viele Unternehmen, die im Supply-Chain-übergreifenden Kontext mit anderen Unternehmen in Lieferbeziehung stehen, No-Code/Low-Code-Plattformen nutzen. Zum Beispiel, um in einem Contract Manufacturing Outsourcing-Szenario trotz unternehmensindividueller ERP-Systeme eine Datentransparenz herstellen zu können. Themen wie digitaler Produktpass oder das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz tragen ebenfalls dazu bei, dass sich der Fokus der Anwender in Richtung Transparenz und vor allem in Richtung Geschwindigkeit verschoben hat.
Weil es oftmals zu lange dauert, Dienstleister zu beauftragen, und es an Fachkräften mangelt, können No-Code/Low-Code-Plattformen die Lösung sein, um die anstehenden Aufgaben selbst zu lösen. Um den Druck etwas zu mindern, ist Know-how aus den Fachabteilungen sehr willkommen. Allerdings muss genau deshalb die IT mit Lösungen und Kontrolle darauf reagieren, um eine zweite Bunsiness-Intelligence-Landschaft zu verhindern. Die größte Herausforderung dabei ist es, eine Standardisierung, die Reduzierung von Technologien und Komplexität sowie die Harmonisierung von Systemen mit der Mobilisierung der Mitarbeiter in Einklang zu bringen.
- Dr. Jürgen Erbeldinger, ESCRIBA
„No Code und Low Code werden gerne in einem Atemzug genannt, dabei handelt sich um zwei unterschiedliche Dinge. No Code ist ein Startpunkt, um erste Erfahrungen mit den Möglichkeiten und Funktionen einer Plattform und vor allem auch mit Agilem Arbeiten zu sammeln. No-Coder entwickeln sich dann oft zum NLC-Product Owner und Produktmanager weiter, oder gehen – was seltener ist – in Richtung Low- und Deep Coding. All diese Rollen erfordern mehr und tiefere Kenntnisse und entsprechendes Training. Ein Low-Code-Entwickler kommt meistens bereits aus dem Entwicklungsumfeld und weist damit entsprechendes Coding-Verständnis auf. Somit ermöglicht eine No-/Low-Code-(NLC) Plattform diesem Rollenprofil schnellere Entwicklungszyklen. Es gibt also nur entweder oder, aber niemals beides zusammen. Und darin liegen Herausforderung und Chance: Wie sieht das Rollenmodell der Plattform aus? Welche Trainings gibt es? Wie unterstützt die Plattform die unterschiedlichen Rollen bei ihrer Arbeit? Können interne und externe NLC-Teams gut zusammenarbeiten, um die Produktivität noch weiter zu erhöhen?“ - Stefan Neth, HCL
„Man kann niemanden dazu zwingen, Low-Code-Tools zu nutzen. Aber man kann jedem anbieten, die Grundfähigkeiten der Low-Code-Programmierung zu erlernen. So kann er sich selbst die Lösung schaffen, die ihm die IT nicht bieten kann, weil entweder Ressourcen fehlen oder sie keinen ganzheitlichen Nutzen für das Unternehmen dahinter sieht. Natürlich muss man dies beobachten, vor allem wenn die Komplexität steigt, die Applikationen geschäftskritisch werden oder wenn sich Anforderungen verändern, die zu Beginn der App Erstellung noch nicht absehbar waren. Legt man ihnen jedoch zu viel Restriktion auf Unternehmensseite auf, werden sie nicht anfangen. Auch nicht, wenn man sich nicht um sie kümmert. Und das ist die eigentliche Herausforderung beim Citizen Development.“ - Martin Weis, Infosys Consulting
„Bei einem unserer Kunden haben wir 250 Leute in No-Code/Low-Code geschult. 200 haben nach einem Business Case gesucht, 50 die NCLC-Tools ausprobiert und nur fünf davon ein zweites Mal verwendet. Und genau das ist der Punkt: Wenn die Technologie nicht angenommen wird, läuft sie irgendwann aus. Wer sie nur selten nutzt, kann seine Fähigkeiten nicht ausbauen. Dass der Citizen-Development-Ansatz gut, aber nicht für die breite Masse bestimmt ist, hat auch der Kunde festgestellt und verfolgt nun einen hybriden Ansatz: In jedem Geschäftsbereich wurden diejenigen, die wirklich daran interessiert waren, zu Super-Usern ausgebildet. Durch regelmäßige Schulungen und häufige Anwendung sind sie sehr erfolgreich.“ - Robert Müller, Scheer PAS
„Ich habe mehrere CIOs gefragt, ob sie es für möglich halten, dass Fachabteilungen ihre Prozesse in Zukunft selbst digitalisieren. Während einige darin überhaupt keine Schwierigkeiten sehen, hält es mehr als die Hälfte für schwierig. Die Abteilungen wissen zwar, wie die Prozesse ablaufen, die Ende-zu-Ende Prozesse selbst kennen sie jedoch nicht. Ihnen Low-Code-Tools zu geben, würde daran nichts ändern. Um Probleme nicht nur am eigenen Arbeitsplatz zu lösen, sondern auch im Gesamtunternehmenskontext, braucht es neben Technologiewissen auch das End-zu-Ende Prozesswissen. Insbesondere, wenn man mit den Tools einen Nutzen für die ganze Organisation erzielen möchte.“ - Marcus Eisenmenger, ServiceNow
„Die Einführung einer Low-Code Plattform bringt oft erst wichtige Fragen zur Compliance ans Tageslicht. Im erweiterten Sinne ist auch Excel als Cloud-Lösung bereits eine Art von Low-Code Tool. Im Gegensatz zu Excel, wo Kundendaten oder gar vertrauliche Daten bei den Kunden mit einer Selbstverständlichkeit in die Cloud wandern, wird dies bei der Einführung von Low-Code-Tools sofort hinterfragt, welche Daten in der Cloud gespeichert werden dürfen. Compliance-konformer zu sein und dies von der IT auch kontrollieren zu lassen, wäre für Kunden auf ihrer No-Code/Low-Code-Reise sehr hilfreich. Das ist eine Dimension, die wir als Anbieter in unserem Governance-Modell berücksichtigen.“ - Florian Rühl, Simplifier
„Ganz unabhängig davon, ob es darum geht, eine neue Applikation zu entwickeln oder bestimmte Ziele zu erreichen – Low-Code ist mehr als nur ein Tool, es ist ein Mindset. Es erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl die richtige Technologie als auch das Change Management umfasst. Nur wenn der CIO durch Best Practices unterstützt und die Mitarbeitenden durch umfassende Trainings und Enablement begleitet werden, kann eine Low-Code-Reise erfolgreich sein. Denn letztlich hängt der Erfolg des Low-Code-Tools maßgeblich von der richtigen Philosophie und den passenden Partnern ab.“ - Stefan Ehrlich, SQL
„Aus meiner Beobachtung gibt es zwei Kundengruppen. Die eine startet ihre Citizen-Development-Reise aus der IT heraus, um selbst unabhängig von Dienstleistern zu werden. Auf der zweiten Gruppe lastet aufgrund des Fachkräftemangels ein enormer Druck. Sie fordern ihre Dienstleister auf, neue Applikationen mit No-Code/Low-Code-Plattformen zu entwickeln. Nicht nur wegen der Geschwindigkeit, sondern wegen der Möglichkeit, diese eines Tages übernehmen zu können. Der Low-Code-Ansatz löst hier also nicht das eigentliche Problem.“
Der größte Irrtum: No-Code/Low-Code ist ein Tool
In der vorangegangenen Studie von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE stieß das Hauptargument für einen No-Code/Low-Code-Einsatz, nämlich die Demokratisierung der Applikations-Entwicklung, in den Fachabteilungen auf wenig Anklang. Dabei sollte dieser Ansatz doch genau ihnen helfen, ihr Business voranzubringen.
Zwar sind in der Zwischenzeit viele gute No-Code-Applikationen aus dem Business heraus entstanden, es wurde aber auch klar, dass der anfangs entstandene Eindruck, dass No-Code/Low-Code Dinge vereinfacht und jeder zum Citizen Developer werden kann, schlichtweg falsch ist. No-Code/Low-Code ist kein Tool, das man einfach so ohne oder mit wenig Programmierkenntnis einsetzen kann. Es ist eine Erfahrung, für die IT und Business zusammengebracht werden müssen, um die No-Code/Low-Code-Plattformen erfolgreich nutzen zu können.
Viele Unternehmen haben nicht zuletzt deshalb eine falsche Vorstellung davon, was es am Ende bedeutet, diese Plattformen zu verwenden, weil sowohl die No-Code/Low-Code-Technologie als auch Citizen Development nicht definiert sind. Das heißt: Auch die Auslegung von No-Code, Low-Code oder Citizen Development variiert von Plattform zu Plattform.
Die Anbieter nehmen sich selbst in die Pflicht, für den Markt genau zu klären, was sie unter No-Code, Low-Code, Citizen Developer, Business Technologist oder Business User verstehen. Hinzu kommt, dass No-Code, Low-Code und Citizen Development nicht in einen Topf geworfen werden dürfen. Nur so können die Kunden besser verstehen, welche Plattform-Lösung sie brauchen.
Definition allein reicht für die Auswahl der Plattform jedoch nicht aus. Es braucht auch von Kundenseite von Beginn an eine klare Definition der zu erstellenden Lösungen. Soll zum Beispiel eine geschäftsunkritische Applikation mit geringer Komplexität entwickelt werden, wird man dafür eher eine No-Code-Plattform empfehlen.
Möchte man hingegen einen größeren Mehrwert aus einer Plattform erzielen, um beispielsweise End-to-End-Prozesse zu erstellen, die durchaus geschäftskritisch und komplexer sind, dann geht dies trotz Plattform nicht mehr ohne die Unterstützung der IT. Deren größte Angst ist ohnehin, Plattformen für die IT, reine No-Code- oder Low-Code-Plattformen sowie Plattformen für Citizen Development zu handeln und gleichzeitig die Governance sicherzustellen. Selbst wenn Unternehmen bereits mehrere Plattformen nutzen: Der Auswahl sollte immer der Blick auf den Use-Case vorangehen und - so zumindest von Kunden so gut wie immer gewünscht - ein PoC folgen.
Studie "No Code / Low Code 2023": Sie können sich noch beteiligen! |
Zum Thema No Code / Low Code führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Verantwortlichen durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (rhermann@idg.de, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (mraedler@idg.de, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF). |
Demokratisierung braucht zusätzliche Experten
Die Frage, welche Tools man dem Citizen Developer anbieten soll, wirft früher oder später auch die Frage auf, wer für das Application Lifecycle Management verantwortlich ist. Die Rolle des Product Owners wird oftmals erst im Nachhinein geklärt. Dabei liegt die Chance auf Produktivitätssteigerung gerade darin, einen No-Code/Low-Code Product Owner zu definieren und zu einem Citizen Product Owner auszubilden, der um Dinge wie Requirement Engineering und Product Lifecycle Management bescheid weiß.
Ein Citizen Development-Programm zu etablieren geht daher weit über technische Lösungen hinaus: Es ist ein Prozess, der die Unterstützung vom Executive Board benötigt. Es braucht nämlich neben einer Grundausbildung für die Citizen Developers, in der man sie unter anderem über Rechtsfragen aufklärt, auch Führung, Kontrolle und die Gründung einer Community, in der sie sich sowohl untereinander als auch mit der IT auszutauschen können. Spätestens dann nämlich, wenn sich Citizen Developments im IoT- und IIoT-Bereich bewegen, braucht es tiefere IT-Kenntnis für die Anbindung an bestehende Prozesse. Mit No-Code/Low-Code wird also keinesfalls alles leichter.
Die Expertendiskussion zur aktuellen No-Code/Low-Code-Studie macht deutlich: Dass Citizen Development die Applikations-Entwicklung demokratisieren wird, ist ein falsches Versprechen. Auch die Prognose der Analysten, dass tausende Citizen Developer aus dem Business entspringen werden, deren bisherige Tätigkeit sich um Applikationsentwicklung erweitert, wird nicht eintreffen. Warum? Weil diese Rechnung ohne den Wirt gemacht wurde.
Zu selten wurde darüber diskutiert, ob die Mitarbeiter aus den Fachbereichen das überhaupt möchten. Oft ist das nämlich nicht der Fall. Warum auch sollte sich zum Beispiel ein Anwalt, der sich auf bestimmte Themen in der Rechtsabteilung spezialisiert hat, plötzlich mit Code beschäftigen? Je mehr Spezialisten ein Unternehmen hat, desto weniger sinnvoll ist es doch, hochqualifizierte Mitarbeiter in ihrer eigentlichen Aufgabe einzubremsen.
Auch das Mindset wurde gerne ignoriert: Dass jedermann dazu in der Lage ist Applikationen zu erstellen, entspricht einfach nicht der Realität. Citizen Development braucht deshalb zusätzliche Ressourcen: Projektteams auf einer Ebene zwischen Business und IT, in der Leute involviert werden, die zwar nicht aus der IT stammen, aber aufgrund ihrer technologische Kenntnisse und dem Verständnis der Businessprozesse in der Lage sind, diese Tools wertschöpfend zu nutzen. Durch den Bedarf an zusätzlichen Experten ist No-Code/Low-Code auch genau das Gegenteil der angedachten Lösung für den Fachkräftemangel.
Bei Reisebeginn die Fahrkarten nicht vergessen
Citizen Development ist eine Reise, die in den Unternehmen erst begonnen hat. Für den Erfolg sind viele Faktoren ausschlaggebend: Mindset und Interesse der einzelnen Personen, Unterstützung durch die Unternehmensführung, eine zum Use-Case passende Plattform sowie eine dafür verantwortliche Einheit, die Prozesswissen aus dem Business und die Zusammenarbeit mit der IT unter dem Dach der Governance miteinander vereint.
Der wichtigste Faktor ist jedoch eine klare Vision davon zu haben, was man als Unternehmen am Ende mit Citizen Development beziehungsweise der 'vereinfachten' Art der Programmierung durch No-Code/Low-Code erreichen möchte. Zu dieser Vision gehört auch immer eine Strategie inklusive einer Kosten-Nutzen-Betrachtung. Ist der Mehrwert durch die Nutzung einer No-Code- oder Low-Code-Plattform relativ leicht auszumachen und die Größe des Projekts überschaubar, so ist das notwendige Budget relativ leicht zu berechnen. Möchte man aber ein größeres oder gar globales Low-Code- und Citizen-Development-Programm ins Leben rufen, muss frühzeitig über Lizenzierung gesprochen werden.
Ohne von Anfang an das Preismodell hinter den einzelnen Plattformen zu kennen, lässt sich weder eine Aussage über die tatsächlichen Kosten treffen, noch der ROI mit dem einer alternativen High-Code-Lösung vergleichen. Und natürlich muss auch von Beginn an festgelegt sein, wer am Ende die Kosten trägt: das Business oder die IT?
No-Code/Low-Code-Tools zu nutzen, um sich die eigenen, Business-optimierten Applikationen zu erstellen, sehen viele unter dem Aspekt des Vendor-Locks kritisch. Zu Recht, denn dieser lässt sich einfach nicht leugnen. Plattform-Anbieter unterstützen zwar mit offenen Standards dabei, den Aufwand für die Kunden bei einem Plattformwechsel zu verringern. Ein Wechsel führt allerdings zum selben Ergebnis.
Den einzigen Ausweg liefert eine Risikobewertung innerhalb der Strategie, in der jedes Unternehmen für sich entscheiden muss, was einem wirklich wichtig ist und was im schlimmsten Fall tatsächlich passieren würde. Und wer sagt, dass Low-Code überhaupt eine 10-Jahres Roadmap überleben wird? Die Tools werden immer noch da sein, wenn auch nicht mehr unter der Bezeichnung No-Code/Low-Code. Einfach, weil es in Zukunft wieder neue Technologien sowie eine andere Art der Applikations-Entwicklung geben wird. Und dann wird nicht der Vendor-Lock-In das Thema Nummer eins sein, sondern wieder der Use Case. (jd)
Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'No Code / Low Code 2023'