Roundtable zu Real Analytics

Was Kiffer in Colorado mit Data Analytics zu tun haben

27.05.2017
Von 
Christiane Pütter ist Journalistin aus München.
Während US-amerikanische Cannabis-Farmer ihre Ernte bereits per Data Analytics optimieren, pflegen deutsche Entscheider ihre Datenschutzbedenken. Die Analytics-Anbieter sollten derweil vor allem die Fachbereiche beackern, wie eine Expertendiskussion zeigte.

"Es gibt also nicht nur eine Wahrheit über Analytics, und das macht mir Mut." Dieses Resümee zog Gregor Stöckler, CEO von Datavard, nach 90 Minuten Roundtable. Mit sieben weiteren Experten diskutierte Stöckler die Ergebnisse der "Real Analytics"-Studie von IDG mit Kollegen von anderen Firmen im Rahmen eines Roundtable-Gesprächs der Computerwoche. Die Studie basierte auf Angaben von rund 360 Entscheidern und erhob auf Basis der Antworten den Status Quo, wie weit Unternehmen in Sachen Analytics in Deutschland sind. Und das ist augenscheinlich sehr unterschiedlich.

Gregor Stöckler, CEO von Datavard: "Es gibt nicht nur eine Wahrheit über Analytics."
Gregor Stöckler, CEO von Datavard: "Es gibt nicht nur eine Wahrheit über Analytics."

Das neue Analytics hat grüne Haare

Das beginnt schon bei der Definition. 39 Prozent der Studienteilnehmer nannten die Digitalisierung von Geschäftsprozessen als Top-Thema für das kommende Jahr, ein gutes Viertel hat Analytics weit oben auf der Agenda. "Aber unterscheiden die Kunden überhaupt zwischen Business Intelligence und Data Analytics?", überlegt Jürgen Boiselle, Director Technology and Innovation bei Teradata. Manch anderer Diskussionsteilnehmer geht noch weiter: Digitalisierung der Prozesse, Virtualisierung - das gehöre aus Anwendersicht doch zusammen.

Shayan Faghfouri, Managing Director bei DextraData, fragt in die Runde: "Wie lautet denn ihre Definition?" Auch hier brachten die Antworten verschiedene Aspekte auf den Tisch: "BI ist rückwärtsgerichtet, Data Analytics vorwärts", sagte Stöckler. Für Boiselle liegt der Unterschied in den Skills. "Die, die das neue Analytics machen, haben alle grüne Haare!" Die Runde lacht zustimmend.

Unterscheiden die Kunden überhaupt zwischen Business Intelligence und Data Analytics, fragt sich Jürgen Boiselle, Director Technology and Innovation bei Teradata.
Unterscheiden die Kunden überhaupt zwischen Business Intelligence und Data Analytics, fragt sich Jürgen Boiselle, Director Technology and Innovation bei Teradata.

Das definitorische Feintuning ging weiter. So beobachtete Fabian Veit, Head of Operations bei Celonis: "Realtime-Tools werden sich mit dem Mehrwert, den ihre Funktionalitäten bieten, durchsetzen. Auch, wenn wir bisher erleben, dass mancher Kunde realtime als tagesaktuell versteht." Diese Einschätzung deckte sich mit der Erfahrung von Lars Milde, Marketing Manager Tableau: "Die Definition von Real-Time hängt vom jeweiligen Prozess und dem Anwender ab." Und Faghfouri kennt viele Kunden, die offen sagen: "Ich bin froh, wenn ich die Vergangenheit sauber darstellen kann!"

Realtime-Tools werden sich durchsetzen, ist Fabian Veit, Head of Operations bei Celonis, überzeugt.
Realtime-Tools werden sich durchsetzen, ist Fabian Veit, Head of Operations bei Celonis, überzeugt.

Stiefkind Datenqualität - Tools müssen mit Schmodder umgehen können

Doch eben daran hapert es aber oft, wußte Datavard-CEO Stöckler zu berichten: "Datenbereinigung wird als Erstes aus dem Angebot gestrichen." Damit rannte er in der Diskussionsrunde offene Türen ein. Nur zu bekannt sei das Beispiel eines weltweit agierenden Lebensmittelkonzerns, der fünfzehn Prozent Dubletten bei 80 Millionen Kundendaten für eine "sehr gute" Quote halte. "Tools und Algorithmen müssen auch mit Schmodder umgehen können!", kommentierte Lars Schwabe, Associate Director Lufthansa Industry Solutions, trocken.

Tools und Algorithmen müssen auch mit Schmodder umgehen können, fordert Lars Schwabe, Associate Director bei Lufthansa Industry Solutions.
Tools und Algorithmen müssen auch mit Schmodder umgehen können, fordert Lars Schwabe, Associate Director bei Lufthansa Industry Solutions.

An dieser Stelle betonte Stefan Knopf, Head of Analytics Middle and Eastern Europe bei SAP: "Wir haben den Kunden über Jahre das Datensammeln beigebracht, um sie anschließend sinnvoll auszuwerten." Mit der Folge einer Neid-Debatte, wie Boiselle konstatierte: "Jetzt hören wir oft die Frage, wem die Daten denn gehören. Damit ist aber immerhin der erste Punkt verstanden - Daten haben einen Wert!"

Verstanden wird zunehmend auch die Arbeit mit Use Cases. Faghfouri berichtete von Cannabis-Farmern in Colorado, die ihre Felder mit der Kamera beobachten. "Ich dachte erst, es geht nur um den Diebstahl-Schutz", sagte er, "aber tatsächlich nutzen sie Analytics zur Ermittlung der effektivsten Züchtung."

US-amerikanische Cannabis-Züchter nutzen Analytics, um ihre Züchtung effizienter zu machen, berichtet Shayan Faghfouri, Managing Director von DextraData.
US-amerikanische Cannabis-Züchter nutzen Analytics, um ihre Züchtung effizienter zu machen, berichtet Shayan Faghfouri, Managing Director von DextraData.

Zwischen Hands-on und Bedenkenträgerei

Amerikanische Kiffer als Wachstumsbringer? Offenbar nicht die schlechteste Idee. Jeder in der Runde beobachtete einen Unterschied zwischen der "Hands on"-Mentalität der Amerikaner und der deutschen Bedenkenträgerei. Wobei niemand die Schutzwürdigkeit personenbezogener Daten in Abrede stellte. Einig waren sich die Experten aber auch darin, dass der Gesetzgeber in Deutschland an manchen Stellen offenbar in den 1970-er Jahren stehen geblieben ist. Da seien nicht nur die USA weiter, sondern beispielsweise auch die Schweiz.

"Das ist hier in Deutschland eine Frage der Unternehmenskultur", sagte Knopf. Doch Schmähungen auf die hiesigen CIOs wollten weder er noch die anderen Experten anstimmen. Dass gut zwei von drei Studienteilnehmern mit Analytics auf Kostensenken und Effizienz abzielen, zeige Verantwortungsbewusstsein, bescheinigten sie den hiesigen Unternehmen. So konstatierte Heiko Packwitz, Chief Marketing und Communications Officer bei Lufthansa Industry Solutions: "Die Prozesse zu optimieren, das ist 'Analytics for growth' über Bande gespielt." Stöckler pflichtete bei: "Wer durch Prozessoptimierung Geld einspart, kann Skeptiker überzeugen."

Die Prozesse zu optimieren, das ist 'Analytics for growth' über Bande gespielt, sagt Heiko Packwitz Chief Marketing und Communications Officer bei Lufthansa Industry Solutions.
Die Prozesse zu optimieren, das ist 'Analytics for growth' über Bande gespielt, sagt Heiko Packwitz Chief Marketing und Communications Officer bei Lufthansa Industry Solutions.

Dabei ist das Stichwort Prozessoptimierung schon wieder ein Thema für sich. Lufthansa-Mann Schwabe umriss das folgendermaßen: "Viele verstehen Prozessoptimierung nach dem Motto: Wir nehmen die Prozesse und digitalisieren sie. Möglicherweise verändern sich aber die Prozesse ganz erheblich." Nichtsdestoweniger bildet die Verbesserung der Abläufe eine Bedingung dafür, Analytics überhaupt nutzen zu können. Im Versuch einer logischen Ordnung kristallisierte sich im Laufe der Diskussion die Kette Analysieren - Transformieren - Digitalisieren heraus. "Visualisierung speziell als Self-Service für Realtime-Entscheidungen nicht zu vergessen", ergänzte SAP-Manager Knopf.

Beim Self-Service für Realtime-Entscheidungen sollte man die Datenvisualisierung nicht vergessen, mahnt Stefan Knopf. Head of Analytics Middle and Eastern Europe bei SAP.
Beim Self-Service für Realtime-Entscheidungen sollte man die Datenvisualisierung nicht vergessen, mahnt Stefan Knopf. Head of Analytics Middle and Eastern Europe bei SAP.
Foto: Patrick Hagn / IDG