Frauen in der IT

Warum Helga Szabo 'Woman of Legal Tech' wurde

18.05.2020
Von 
Gabi Visintin ist freie Journalistin in Filderstadt.
Als Helga Szabo Anfang März 2020 in den Urlaub fuhr, war die Welt noch (fast) in Ordnung. Nach ihrer Rückkehr war alles anders - doch Herausforderungen sind für die Juristin das Salz in der Suppe. Nicht umsonst trägt sie den Titel 'Woman of Legal Tech'.

Der Urlaub in Andalusien verlief für Helga Szabo ganz anders als erwartet: Mittendrin verkündete Spanien den Notstand - eine Rückreise war nicht mehr so einfach möglich. Drei verschiedene Rückflüge musste Szabo buchen, bis sie mit einem der letzten Flüge zurück nach Deutschland kam - zwar nur bis Frankfurt am Main, aber immerhin. Im Berliner Büro ihres Arbeitgebers Flightright war dann ebenfalls nichts mehr "normal": Noch mehr Passagiere als sonst wandten sich mit Fragen an den Dienstleister.

Helga Szabo, Juristin bei Flightright: "Mich faszinieren technische Lösungen in Verbindung mit rechtlichen Fragen. Dabei habe ich nie programmiert."
Helga Szabo, Juristin bei Flightright: "Mich faszinieren technische Lösungen in Verbindung mit rechtlichen Fragen. Dabei habe ich nie programmiert."
Foto: Flightright GmbH

Als Head of Operations bei Flightright gehört es für Helga Szabo zum Arbeitsalltag, "flexible Lösungen für neue Herausforderungen" zu finden, wie sie es formuliert. Die Auszeichnung "Woman of Legal Tech" für die junge Juristin hat auch mit diesen Eigenschaften - Flexibilität, gepaart mit Enthusiasmus und Engagement - zu tun.

Jura meets Analytics & KI

Auf ihrem Weg zum Head of Operation hat Szabo glücklicherweise nie um Frauenrechte kämpfen müssen. Und sie weiß, dass dies nicht selbstverständlich ist. Trotzdem freut sie sich über diese Auszeichnung, die innerhalb des jungen Branchensegments vergeben wird. "Die Initiative möchte die vielen engagierten Frauen im Legal-Tech-Bereich sichtbar machen", erklärt die 33-Jährige, die aus Ungarn stammt, Jura studierte und während ihres Auslandsjahres in Potsdam ihren Master in Rechtswissenschaften machte. Dort traf sie dann im Jahr 2014 auf das junge Startup Flightright.

Dessen Gründer hatte ein paar Jahre zuvor die Chance erkannt, die sich in der Verbindung von rechtlichen Fragen und IT verbarg: Auf der einen Seite bietet die europäische Fluggastrechteverordnung, die regelt, wie viel Entschädigung Passagieren zusteht, ein standardisiertes Regelwerk, das sich in Algorithmen übersetzen lässt. Auf der anderen Seite ermöglichen Analytics und KI die juristischen Fälle intelligent auszuwerten und Erfolgschancen zu evaluieren. Die Kommunikation mit den Kunden und Fluggesellschaften läuft hauptsächlich in einem automatisierten, digitalen Prozess ab, der aber immer dann ins Analoge wechselt, wenn es vor Gericht geht. Rund 300 Millionen Euro Entschädigungsleistungen konnte das Unternehmen so innerhalb der vergangenen zehn Jahren für seine Kunden durchsetzen.

Flightright bietet Fluggästen online-basierte, moderne Rechtshilfe. Diesen Service nennt man Legal Tech.
Flightright bietet Fluggästen online-basierte, moderne Rechtshilfe. Diesen Service nennt man Legal Tech.
Foto: BLACKDAY - shutterstock.com

An diesem Erfolg hat Helga Szabo mit ihrem Team einen großen Anteil. Als sie vor gut fünfeinhalb Jahren in Potsdam bei Flightright anfing, hatte das Unternehmen rund 40 Mitarbeiter, und es ging gerade erst richtig los. Heute ist das Unternehmen etwa auf die vierfache Größe angewachsen. Szabo schmunzelt: "Ich bin eingestiegen, als die Firma zum Abflug ins Wachstum ansetzte." Inzwischen weiß sie, dass sie das Richtige tat, als sie sich gegen den klassischen Karriereweg entschied, auf dem sie vielleicht Rechtsanwältin oder Richterin geworden wäre. "Ich merkte ziemlich bald, dass mich technische Lösungen faszinieren - ganz besonders in Verbindung mit rechtlichen Fragen", erklärt die Juristin. Nach kurzer Zeit erhielt sie die Chance, ihr eigenes Team aufzubauen. Als Head of Operations leitet und koordiniert sie heute ein internationales Team, in dem Menschen mit den unterschiedlichsten fachlichen Hintergründen arbeiten - etwa Betriebswirte, Kundenservice-Profis, Kommunikationsexperten sowie Juristen, um nur einige zu nennen.

Die Aufgabe des Operations-Teams besteht darin, Kunden zu ihrem Recht zu verhelfen: Menschen, die ein Flugproblem hatten, geben in wenigen Schritten auf der Website des Unternehmens ihre Flugdaten ein. Im Hintergrund findet automatisiert die Prüfung der Erfolgsaussichten statt. Stehen die Chancen gut, eine Entschädigung zu erhalten, kann der Nutzer Flightright mit der Durchsetzung beauftragen. Das Unternehmen kontaktiert dann die Airline und fordert sie zur Zahlung auf. Stellt sich die Fluggesellschaft quer, analysiert das Team detailliert, welche juristischen Schritte zum Ziel führen (zum Beispiel in Form von Klageverfahren, die von externen Partnerkanzleien europaweit geführt werden) und leitet alles Notwendige ein.

Flexibilität steht immer auf der Tagesordnung

Auch wenn Automatisierung die Kommunikation mit Kunden und Airlines mittlerweile effizienter gestaltet, so laufen doch noch viele Entscheidungen und Diskussionen im Hintergrund ab - unterstützt von der IT-Analytik. Szabo macht das deutlich: "Bei uns kann jeden Tag etwas passieren. Dynamik und Veränderungen bestimmen unsere Arbeit. Wenn zum Beispiel kurzfristig Streiks angekündigt werden oder es überraschende Wetterlagen gibt, müssen wir die Lage schnell analysieren und entscheiden, wie wir im Interesse der Fluggäste am besten mit der Situation umgehen".

Während der Algorithmus zahlreiche juristische Fälle auswertet, ist Szabo immer auch nah am Kunden. Denn direkt vor dem Bildschirm entscheidet sich häufig, ob Kunden auf der Homepage bleiben oder die Seite verlassen. Die Juristin macht das an einem einfachen Beispiel anschaulich: "Wenn wir merken, dass Nutzer an einem bestimmten Punkt der Interaktion abbrechen, passiert das vielleicht, weil unsere Kommunikation nicht klar genug ist." Möglicherweise müssen wir dann noch etwas optimieren. Die Umsetzung der Lösung liegt dann in den Händen der IT-Experten.

Im Gegensatz zu den Anfängen der Digitalisierung, als sich zwischen Fach- und IT-Abteilungen noch tiefe Gräben auftaten, sitzen Helga Szabos Ansprechpartner direkt nebenan. Und auch die Kommunikation funktioniert ohne Hürden. "Die Treffen zwischen Operations und IT finden in einer Sprache statt, die beide Disziplinen verstehen", versichert Szabo, die nicht viel mit IT am Hut hat. "Ich habe nie programmiert", sagt sie. Trotzdem arbeitet die Juristin an der Schnittstelle zwischen Recht und IT - ganz selbstverständlich und ohne Berührungsängste. "Wir hören genau zu und suchen gemeinsam nach realisierbaren Lösungen", hat sie im Laufe der Zeit gelernt.

Werte wie Respekt, Diversität und eine moderne Fehlerkultur liegen Szabo besonders am Herzen. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind für sie entscheidend dafür, dass sich jedes einzelne Teammitglied unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Lebenssituation, einbringen und entwickeln kann.

Über Helga Szabo

Helga Szabo wurde vor zwei Jahren von den Rechtsanwaltskanzleien Hogan Lovells, Bryter und dem Legal Tech Blog als Women of Legal Tech ausgezeichnet. Damit werden Unternehmerinnen und Forscherinnen ausgezeichnet, die die Digitalisierung des Rechts mitgestalten. In der Jurybegründung heißt es, dass Szabo, die ein Team aus 60 Mitarbeitern aus 25 verschiedenen Nationen verantwortet, "durch Einführung von Ansätzen des maschinellen Lernens den Automatisierungsgrad der Bearbeitung der Anfragen enorm gesteigert" hat. Szabo hat Rechtswissenschaft an der Universität Szeged in Ungarn sowie an der Universität Salzburg studiert. Zudem hat sie sowohl einen Master of Laws von der Universität Szeged als auch von der Universität Potsdam.