Two-Speed-IT ist kein Allheilmittel

Warum die IT Sportwagen und LKW zugleich sein muss

29.06.2016
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Elmar Nathe ist Diplom-Informatiker und hat über zwanzig Jahre Erfahrung mit IT-Transformationen und komplexen Softwareprojekten. In seiner Laufbahn betreute er Kunden aus diversen Branchen, unter anderem Medien, Industrie, Handel und öffentliche Hand. Nathe zeichnet für das MID Beratungsangebot um den Bereich „Digitalisierung und IT-Transformation“ verantwortlich. Schwerpunkte seiner Tätigkeit: Business Process Management, Enterprise Architecture und serviceorientierte Architekturen.

Kriterien der Service-Klassifizierung

Wurden die wichtigsten Business Capabilities identifiziert, führt die Präzisierung der dazugehörigen Epics ganz automatisch zu einer Zuordnung in der Umsetzung: jede von ihnen wird alternativ den schnellen oder den sicheren IT-Services zugeordnet. Um die Business Capabilities klar zuordnen zu können, müssen diese im Vorfeld klassifiziert werden. Kriterien zur Klassifizierung können beispielsweise sein:

  • Fachliche Komplexität

  • Implementierungsaufwand

  • Erwartete Änderungsrate

  • Adaptierbarkeit

  • Lebenszyklus (geplant, in Entwicklung, in Betrieb, in Ablösung)

Neue Geschäftsfähigkeiten, die zur Implementierung der digitalen Transformation notwendig sind, werden in der Regel nach dem Muster der schnellen IT umgesetzt. Deren Kennzeichen: agile Vorgehensweisen, leichtgewichtige Architekturen, lose gekoppelte Integrationsmechanismen, schlanke Laufzeitumgebungen. Bei bestehenden Geschäftsfähigkeiten stehen dagegen Einzelfallentscheidungen an: je nach fachlichem Änderungsbedarf muss festgelegt werden, wie der benötigte IT-Service bereitgestellt werden kann. Alternativ werden dazu die bestehenden Services modernisiert oder aber in der schnellen IT komplett neu aufgebaut.

Weg mit altem Plattformdenken: Microservices statt Monolith

Ist die Transformationsplanung der Services abgeschlossen, muss im nächsten Schritt über die technische Realisierung entschieden werden. Wichtig dabei ist es, altes Plattformdenken abzulegen. Nicht jede neue Lösung muss in die bestehende SAP-Landschaft integriert werden.

Die IT-Architektur ist in vielen Unternehmen heute noch weithin durch Software-Monolithen geprägt. Für die Integration von Anwendungen und Daten sind zwar auch hier die Prinzipien der losen Kopplung eingeführt worden (beispielsweise durch eine SOA-Initiative); doch trotzdem fällt der digitale Wandel schwer. Denn die Änderungen betreffen - auch wenn scheinbar nur ein abgegrenzter IT-Service betroffen ist - eine komplette monolithische Anwendung wie beispielsweise ein stabiles SAP- oder Mainframe-System.

Hier jedoch sind - zur Wahrung der Systemstabilität - die vorgeschriebenen Prozesse im Änderungsfall sehr festgefahren und langwierig. Daher kommt die sichere IT bei der Unterstützung sich häufig ändernder Geschäftsfähigkeiten nur selten zum Zuge.

Für die Umsetzung von Business Capabilities, die einem häufigen Wandel unterliegen, sind schnelle IT-Services, eingebettet in eine kleinteilige Microservice-Architektur, gefragt. Sie sind abgekoppelt und damit ohne Risiko für die anderen Systeme im Unternehmen.

Bei diesem Architekturstil wird die Funktionalität des Gesamtsystems über verschiedene, vollkommen autonome Services abgebildet. Dabei wird jeder Service für einen bestimmten fachlichen Anwendungsfall oder eine andere Business Capability entwickelt, deren Erfordernisse er vollständig alleine abdeckt. Aufgrund ihrer Autonomie beziehungsweise untereinander nur sehr losen Koppelung können solche Lösungen auch nachträglich schnell und beliebig oft geändert, ja sogar ausgetauscht werden.

Fazit: Eine IT der zwei Geschwindigkeiten (bimodale IT) ist für die meisten Unternehmen aus finanziellen Gründen nicht umsetzbar und kann schon in einem Zeithorizont von zwei bis drei Jahren zu erste Problemen in Hinblick auf Wartbarkeit und Nachhaltigkeit führen. Schließlich wird in der neuen IT kaum mehr dokumentiert. Der goldene Mittelweg besteht darin, nur die Geschäftsfähigkeiten, die für die Umsetzung der digitalen Transformation von Bedeutung sind und deren Parameter einem häufigen Wandel unterliegen, durch schnelle Micro Services zu unterstützen. Dies immer vor dem Hintergrund, diese Dienste bei einem dauerhaften Erfolg des Geschäftsmodells in die gewachsene IT-Landschaft zu integrieren. Letztere muss gleichzeitig entkoppelt und beschleunigt werden und sich agile Arbeitsweisen zu eigen machen.

Erfolgreich ist am Ende, wer bei der Umsetzung der digitalen Strategie Business-orientiert und feingranular vorgeht. Die Transformation der Customer Journeys und die klare und durchgängige Verbindung von Geschäftsfähigkeiten und IT-Services bietet die Alternative zum berühmten "Holzhammer", schnelle und sichere IT zusammenarbeiten zu lassen. (wh)

Leseempfehlung:

"A two-speed IT architecture for the digital enterprise"; by Oliver Bossert, Chris Ip, and Jürgen Laartz, McKinsey&Company, Dezember 2014