Der Weg zur agilen Unternehmenstransformation macht auch vor den Organisationsstrukturen nicht halt. In vielen Branchen werden nicht nur in der IT sondern immer häufiger auch im Business bekannte Linienorganisationen bereits durch hybride Netzstrukturen ersetzt. Die Erfolge der großen amerikanischen Unternehmen Amazon, Facebook oder Apple, gepaart mit den Success Stories der ING oder des einen oder anderen Fin- oder Insuretechs, sprechen hier für sich. Auch deutsche Finanzinstitute wie die Commerzbank oder Versicherer wie die Gothaer stecken bereits im Umbau. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, wirken die silohaften Organisationsstrukturen in vielen Unternehmen wie Konstrukte aus der Vergangenheit.
Noch ist Zeit zum Handeln. Die Erfahrungen zeigen jedoch, dass vielen Unternehmen die Fähigkeit fehlt, die positiven Veränderungen und Erfahrungen in Sachen Agilität im Kleinen - zum Beispiel in Projekten - nachhaltig auf die Gesamtorganisation - sprich in die Linie - zu übertragen und zu skalieren. Gerade in der Wiederanlaufühase nach dem Corona-Lockdown ist dies eine entscheidende Kompetenz. Aufgrund der langen Homeoffice-Zeit ist Teamarbeit das "New Work"-Modell. Das lässt sich auch durch Linienstrukturen aus der Vor-Covid-19-Zeit nicht mehr wegdiskutieren. Dies gilt sowohl für die Informationstechnologie als auch für das Business und wird diese nachhaltig verändern.
Raus aus dem Silodenken
Die Direktbank ING ist wohl das bekannteste Beispiel für die Veränderung von Organisationsstrukturen. Das Finanzinstitut hat den Wechsel nicht aus akuten wirtschaftlichen Gründen auf den Weg gebracht, sondern um in Zukunft wettbewerbsfähiger zu sein. Die Transformation hat die Bank mit einem gemeinsamen Ziel und einer gemeinsamen Motivation begonnen. Das schafft für Führungskräfte und Teams gleichermaßen ein gemeinsames Verständnis, um sich emotional mit dem Vorhaben besser zu identifizieren. Insofern beginnt jede große Reise mit einem ersten kleinen Schritt.Dieser besteht in vielen Fällen in der Gestaltung eines gemeinsamen Zielbilds, das den Rahmen für die Transformation steckt. Wichtig ist hier zu betonen: Agile Unternehmen sind von Natur aus konsequent auf das Ziel ausgerichtet, also auf Ergebnis und Nutzen. Sie suchen in der Ende-zu-Ende-Wertschöpfungskette permanent nach Ansätzen für das Performance- und Konsequenzmanagement. Das schafft eine Durchgängigkeit über alle Ebenen hinweg. Der sonst beobachtbare Strömungsabriss zwischen Strategie und Umsetzung gehört damit der Vergangenheit an.
Ein Netzwerk autonomer Teams aufbauen
Viele agile Unternehmen verfügen über eine stabile Managementstruktur auf höchster Ebene. Transformation beginng mit agiler Führung und muss dort auch vorgelebt werden. Wer gemeint hat, dass Agilität die Chefetage überflüssig macht, muss nur einen Blick über den großen Teich werfen. Amazon oder Apple werden beziehungsweise wurden von ihren Gründern hierarchisch geführt. Diese Tradition hat sich fortgeführt. Deren Leadership ersetzt allerdings einen Großteil der traditionellen mehrstufigen Hierarchie durch ein flexibles, skalierbares Netzwerk von selbstverantwortlichen Teams. Netzwerke sind eine natürliche Art, um individuelle Freiheit mit kollektiver Koordination in Einklang bringen. Um agile Organisationen aufzubauen, müssen Führungskräfte deshalb lernen, wie man Netzwerke aus Teams in den Wertschöpfungsketten baut und gestaltet, wie man über sie hinaus kooperiert und wie man sie pflegt und erhält. Neben der Entwicklung von strategischen Leitplanken besteht darin die wesentlich neue Rolle und Funktion von Führungskräften.
- Acht Tipps für die digitale Revolution
Wollen Unternehmen nicht nur die Digitalisierung, sondern auch die digitale Revolution gezielt vorantreiben, müssen sie folgende Erfolgsfaktoren sicherstellen. Coach und Unternehmensberater Jan Brecke verrät, welche Maßnahmen den digitalen Wandel forcieren und warum der Faktor Menschlichkeit bei Führungskräften besonders wichtig wird. - Topmanagement einbeziehen
Das Topmanagement muss in die Gestaltung des Veränderungsprozesses involviert sein. - Erfahrene Mitarbeiter auswählen
Ohne Mitarbeiter, die bereits Erfahrung in der Einführung von Veränderungen haben, geht es nicht. - Innovativ denken und arbeiten
Der Innovationsbereich nimmt das Arbeiten der Zukunft vorweg. Hier gilt es, auf eine schnelle Umsetzung mit Fehlertolerierung hinzuwirken. - Standardbereiche nicht vernachlässigen
In den produzierenden Standardbereichen indes muss weiterhin auf eine möglichst geringe Fehlerquote geachtet werden. - Agile Taskforce einrichten
Eine Taskforce aus kreativen und agilen Talenten dient in einer drei- bis sechsmonatigen Analysephase als Sparringpartner für den Vorstand/der Geschäftsleitung und verweist regelmäßig auf die Game Changer. - Agiles Arbeiten propagieren
Die Mitglieder der Taskforce sind gleichzeitig Botschafter für agiles Arbeiten im Unternehmen. - Selbstbewusst und bescheiden führen
Führungskräfte müssen ihre Haltung ändern: Neben Selbstbewusstsein brauchen sie mehr Bescheidenheit. - Auf Soft Skills achten
In Sachen Leadership sind künftig eher weiche Skills gefragt. Insbesondere Introspektion, eine nach innen gerichtete Selbstbeobachtung, ist für Führungskräfte wichtig.
Eine agile Organisation besteht aus einem interagierenden Netzwerk von motivierten Teams, die mit hohen Standards in Bezug auf Zielsetzung, Verantwortlichkeit, Fachwissen und Transparenz arbeiten. Die Art und Weise des Aufbaus dieser Teamstrukturen für die Wertschöpfungsketten im Unternehmen ist die eigentliche Arbeit im agilen Transformationsprozess.
Schnell und transparent entscheiden sowie lernen sicherstellen
Teams produzieren sehr schnell ein einzelnes, primäres Ergebnis, oft in ein- oder zweiwöchigen Sprints. Dies gilt typischerweise für Veränderungsthemen, aber auch für Linientätigkeiten. Während dieses kurzen Zyklus' checkt das Team häufig die Fortschritte, oft sogar täglich. Probleme werden dabei in den Vordergrund gestellt und schnell gelöst. Zwischen den Sprints treffen sich die Teammitglieder, um zu überprüfen und zu planen, die bisherigen Fortschritte zu besprechen und das Ziel für den nächsten Sprint festzulegen.
Damit dies funktioniert, müssen die Teammitglieder für das Ergebnis ihrer Arbeit verantwortlich sein. Sie sind befugt, den Verantwortlichen zu suchen, um sicherzustellen, dass das Produkt oder der Service alle Bedürfnisse einer Kundengruppe erfüllt. Dies erfordert auch neue Regeln. Denn wer hierarchische Strukturen abbaut, ohne neue Regeln vorzugeben, landet unweigerlich im Chaos unklarer Zuständigkeiten.
- Konstruktive Konflikte und Kritik erzeugen
"Konflikt" muss nicht zwingend negativ sein. Er kann sich auch positiv auswirken, wenn er in einem agilen Team konstruktiv zur Anwendung kommt. IT-Management-Berater Ivan Kovynyov gibt Tipps, wie Führungskräfte gezielt eine positive Konfliktkultur im Team schaffen und damit Leistung und Projekterfolg verbessern können. - Heterogenes Team bilden
Man braucht ein heterogenes Team. Denn würde beispielsweise das Team ausschließlich aus weißen Männern mittleren Alters bestehen, so ist es abzusehen, dass sie alle einen ähnlichen Denkstil haben werden. - Konfliktfreies Teambuilding
Teammitglieder sollten sich bereits kennengelernt und miteinander gearbeitet haben. Es wäre kontraproduktiv, die Teambuilding-Phase mit einem konstruktiven Konflikt zu beginnen. - Hindernisse beseitigen
Barrieren für freie Meinungsäußerung im Team müssen identifiziert und beseitigt werden: irrationale Harmoniebedürftigkeit, zu starke Konsensorientierung, starke Meinungsmacher, Lagerbildung, autoritäre Projektleiter oder Product Owner, Null-Fehler-Toleranz, Zielvorgaben enthalten Lösungsweg etc. - Den richtigen Weg einschlagen
Der Mittelweg ist nicht immer der beste Weg: wenn einer links am Baum vorbei will und der andere rechts, ist der Weg durch die Mitte offensichtlich nicht der beste. - Konsensregeln definieren
Einen qualifizierten Konsens suchen: Für Situationen in denen das Team zu keiner Übereinkunft kommt, müssen Regeln definiert werden. Zum Beispiel ruft das Team einen unabhängigen Experten oder der Projektleiter oder der Product Owner entscheiden. - Gemeinsames Ziel festlegen
Gemeinsame Ziele als Nordstern: Debatten können Teilnehmer eines agilen Teams leicht weiter voneinander entfernen. Gemeinsames Verständnis des Ziels und der Mission des Teams schafft das Gegenteil und wirkt balancierend. - Humorvoller Umgang
Wenn alle Stricke reißen: Humor hilft immer!
Teams optimieren auch ihre eigenen Arbeitsprozesse. Die Umsetzung dieses strukturierten Ansatzes spart Zeit, reduziert Nacharbeiten, schafft Möglichkeiten für kreative Lösungen und erhöht das Gefühl von Eigenverantwortung, Verantwortlichkeit und Leistung im Team. Dies entbindet Unternehmen jedoch nicht davon, gewisse Standards vorzugeben.
Lesetip: Agil den Durchblick behalten - Die Essenz der Software-Entwicklung
Die Arbeit in schnellen Zyklen erfordert vollständige Transparenz, so dass jedes Team schnell und einfach auf die benötigten Informationen zugreifen und Informationen mit anderen teilen kann. Beispielsweise haben die Mitarbeiter Zugriff auf ungefilterte Daten über ihre Produkte, Kunden und Finanzen. Das ist bei weitem keine Selbstverständlichkeit, wenn man das herrschaftliche Excel-Wissen der Führungsetagen vieler Unternehmen betrachtet. Dazu gehört auch, dass die Teammitglieder offen und transparent miteinander umgehen. Nur dann kann der Betrieb ein Umfeld in Sachen Sicherheit schaffen, in dem alle Themen angesprochen und diskutiert werden können und in dem jeder eine Stimme hat.
Modernste Technologie nutzen
Für viele Unternehmen erfordert ein so radikales Umdenken des Organisationsmodells eine Neubesinnung hinsichtlich des Einsatzes und der Nutzung von Informationstechnologie. Zu viele Führungskräfte beharren noch auf selbstgestrickten Excel-Berichten und meinen, mit dieser Informationshoheit etwas bewirken zu können.
Die Alternative besteht in einer durchgängigen Transparenz von unten nach oben. Sie lässt sich mit den heute vorhandenen Techniken schnell und mit geringem Budget realisieren. Interessanterweise werden jedoch viele Argumente ins Feld geführt, warum Transparenz gerade im eigenen Unternehmen nicht funktioniert - oder vielleicht auch nicht gewünscht ist?
Lesetipp: Agile Methoden - Was Scrum von Kanban unterscheidet
Agile Unternehmen nutzen standardisierte Arbeitsweisen, um die Interaktion und Kommunikation zwischen den Teams zu erleichtern, einschließlich der Verwendung gemeinsamer Sprache, Prozesse, Meeting-Formate, Social-Network- oder Digitaltechnologien und dedizierter Zeit, in der die Teams im Sprint zusammenarbeiten. Dieser Ansatz ermöglicht schnelle Iteration mit Kreativität in einer Weise, welche die fragmentierte und segmentierte Arbeit nicht erlaubt.