Geht es um zukunftsweisende Unternehmenskonzepte, so scheint mittlerweile kein Weg mehr an KI-Lösungen vorbeizuführen. Mit ihnen sollen Betriebe effizienter werden, Fehler schon in einem frühen Stadium erkannt und große Datenmengen schnell analysiert werden. Mit der künstlichen Intelligenz scheint die Digitalisierung einen neuen Level zu erreichen.
Doch wie kommt ein Unternehmen zur passenden KI-Lösung? Worauf ist bei der Implementierung zu achten? Gibt es "out of the box" funktionierende Lösungen? Um diese und andere Fragen rund um das Thema künstliche Intelligenz zu beantworten, sprach die COMPUTERWOCHE mit Tina Klüwer, CEO und Gründerin der Parlamind GmbH - einem Berliner Startup für KI-Services - sowie Sachverständige der Enquete Kommission für KI des Bundestages und Vorstandsmitglied des KI-Bundesverbandes.
KI versus Analytics
Alle reden derzeit von KI, doch Daten haben wir bereits früher analysiert. Worin unterscheiden sich Analytics und künstliche Intelligenz?
Eine künstliche Intelligenz bietet eine andere Herangehensweise an die Verwendung von Daten und das bringt entscheidende Vorteile. KI-Technologie bedeutet ja der Regel maschinelles Lernen. Das heißt genauer, hier entstehen Ergebnisse - also praktisch "Wissen" - entweder mit Algorithmen aus statistischen Modellen, die auf Erfahrungsdaten basieren. Oder die Ergebnisse sind der Output maschinellen Lernens auf Basis von neuronalen Netzen oder einer Kombination von beidem.
Bei diesen Verfahren müssen die Regeln, die zuvor für die Analyse und die Verarbeitung von Daten notwendig waren, nicht mehr von Hand beschrieben werden. Die Technologie kann sich zu einem gewissen Umfang selbständig mit den Daten beschäftigen. Bei der KI-Technologie lernt die Maschine selbständig direkt aus den Daten. Sie kann losgelöst von dem, was sich ein Mensch vielleicht zuvor einmal überlegt hat, Muster entdecken und die Daten dementsprechend bearbeiten.
Ein weiterer Unterschied - und das ist auch die große Stärke von maschinellem Lernen im Vergleich zur Analyse oder den handgeschriebenen Regeln - ist, dass die KI-Maschine trotz einer akut auftretenden Unklarheit weiterarbeiten kann. Das heißt, sie kann auch mit Fällen umgehen, die etwas davon abweichen, wie etwas zuvor vorausgesehen wurde. Für die Analyse von Daten ist das ein Meilenstein.
Die theoretischen Grundlagen der KI reichen in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Warum ist KI gerade jetzt so ein Hype-Thema?
Drei Entwicklungen tragen dazu maßgeblich bei. Zum einen Computing Power. Glücklicherweise sind die Chips inzwischen so schnell geworden, dass es auch anfängt, richtig Spaß zu machen, Modelle zu trainieren. Zuvor dauerte das aufgrund der fehlenden Rechenpower manchmal mehrere Wochen. Der zweite wichtige Aspekt ist, dass große Datenmengen jetzt in einem ganz anderen Maßstab zugänglich sind als noch vor 10 Jahren. Und als Drittes lässt sich anführen, dass gewisse Weiterentwicklungen in den Algorithmen selbst dazu geführt haben, dass sie besonders effizient sind. Vor allem im Bereich der Bilderkennung haben sich aufgrund dessen völlig neue Möglichkeiten ergeben.
Wer vom KI-Einsatz profitiert
Gibt es Branchen, die besonders vom KI-Einsatz profitieren?
Sämtliche Branchen beziehungsweise Geschäftsbereiche, in denen Menschen kognitive Arbeit auf Basis von großen Datenmengen leisten müssen und wo es gilt, Prozesse zu optimieren, profitieren vom Einsatz von KI. Dazu gehört zum Beispiel die Bilderkennung. Hier ist künstliche Intelligenz inzwischen kaum noch wegzudenken. Auch die Sprachverarbeitung - hier speziell die maschinelle Übersetzung - gehört zu den Feldern, die dank der eben genannten Entwicklungen in der KI einen großen Sprung nach vorne gemacht haben. Gleiches gilt für die Bereiche semantische Analyse, Textverständnis und Dialogsysteme.
Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich in Sachen KI wirklich? Hinken wir den USA und China wirklich so stark hinterher?
In der Kommerzialisierung von KI sind wir definitiv hinterher, aber es gibt hier sehr gute Forschung zu dem Thema - viele deutsche Wissenschaftler beschäftigen sich damit. Es existieren auch durchaus innovative Gründungen und Unternehmensbestrebungen, aber im Vergleich zu USA und China ist der Anteil natürlich eher gering. Aber der Vergleich eines Landes von der Größe Deutschlands mit den USA oder China hinkt ja auch. Selbst gesamt Europa ist den beiden anderen Großnationen in Bezug auf Anzahl und Umsatz von KI-Unternehmen und deren Umsatz unterlegen. Es ist ja auch ein eklatanter Unterschied, ob ich ein Produkt in einem nationalstaatlichen europäischen Markt ausrolle, mit maximal 80 Millionen Konsumenten oder in den USA oder China. Die Konsumentenanzahl ist einfach ein zigfaches höher und damit eben auch die verfügbaren Datenmengen, mit denen eine KI lernen und sich weiterentwickelt kann. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass Plattformen wie Amazon oder Alibaba, Facebook, Google über riesige Datenmengen verfügen. Damit geht im Bereich KI eben auch eine gewisse Vormachtstellung einher. Es ist aber auch wichtig, zu sehen, dass es in Deutschland und Europa definitiv eine positive Entwicklung gibt und wir uns in die richtige Richtung bewegen.
Gilt dies für alle KI-Segmente oder steht Deutschland bei der KI im B2B besser da?
Deutschland hat im Bereich Industrie 4.0 sicherlich eine Vorreiterrolle inne. Das ist eine Kompetenz, in der wir schon immer stark waren. Dort findet die Digitalisierung schon länger statt und mündet schon jetzt auch in Anwendungen mit künstlicher Intelligenz. Dieser Trend wird sich noch verstärken. Ich persönlich sehe hier auch eine ganz große Chance für den deutschen Mittelstand, dazu muss sich der Mittelstand aber auch trauen, in innovative Produkte zu investieren.
Strategien zur KI-Einführung
Gibt es einige KPIs, an denen ich als Unternehmen festmachen kann, ob sich ein KI-Einsatz lohnt?
Das kommt ganz stark auf den Verwendungszweck, auf den Einsatz der KI im Unternehmen an. KI ist immer im Anwendungsfall zu betrachten. Eine KPI ist aber auf jeden Fall an der Verfügbarkeit von digitalen Daten festzumachen. Eine zweite Kenngröße, ergibt sich aus der Feststellung, welche kognitiven Prozesse es jetzt schon im Unternehmen gibt, an denen sehr viele Menschen arbeiten und die repetitiv sind. Diese sind gute Kandidaten für eine Automatisierung durch KI. Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist es auf jeden Fall lohnenswert, sich einmal vor dem Hintergrund einer KI-Technologie beraten zu lassen, welche Prozesse sich eignen.
Gibt es eine optimale KI-Einführungsstrategie? Falls ja, wie sieht diese aus?
Ein Unternehmen muss sich aktiv dazu entscheiden, Ressourcen dafür bereitzustellen und Zeit zu investieren. Idealerweise ist die angestrebte Veränderung ein im Unternehmen hoch aufgehängtes Projekt, mit einem Projektleiter, der vielleicht im Unternehmen schon für Digitalisierung und Innovation verantwortlich ist und sich daher ausschließlich diesem Thema widmen kann. Ein notwendiger Erfolgsgarant für ein KI-Projekt ist zudem eine gesunde Erwartungshaltung in Bezug auf den Faktor Zeit. KI ist keine Technologie, die ad-hoc funktioniert, hier handelt es sich ja um Systeme, die auf Lernen ausgelegt sind und das benötigt auch bei Maschinen Zeit.
Sollte ich als Mittelständler das Thema KI lieber inhouse angehen oder outsourcen?
Es sollte immer einem KI-Dienstleister überlassen werden, eine KI-Technologie zu entwickeln und im Unternehmen einzuführen. Hier sind spezielles Expertenwissen und jahrelange Erfahrung unerlässlich, um Mehrwerte zu schaffen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die IT-Abteilung selbst eines mittelgroßen Unternehmens über vergleichbares Know-how verfügt.
Wie gehe ich mit dem Mangel an KI-Fachkräften am besten um?
Wer in Deutschland KI-Fachkräfte sucht, muss tatsächlich international suchen. Und natürlich ist es auch sinnvoll, bestehende Schulungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu nutzen, um eigene Mitarbeiter in die Richtung zu entwickeln.
Insourcing oder Outsourcing?
Sollten KI-Lösungen selbst entwickelt werden oder können die KI-Baukästen verwendet werden?
Eine KI-Lösung selbst - also inhouse - zu entwickeln, davon ist eher abzuraten. Bestehende Baukästen sind auch nicht ohne umfassendes Know-how im Bereich KI zu implementieren. Deshalb empfiehlt sich, mit einem kompetenten Partner zusammenzuarbeiten, wie zum Beispiel einem Systemhaus, dass gegebenenfalls auch noch leichte Anpassungen an den Baukästen vornehmen könnte.
Wie löse ich die ethischen Fragen im Zusammenhang mit KI?
Da nicht jedes Unternehmen automatisch den optimalen Einblick hat, in welchen Bereichen ethische Richtlinien zum Tragen kommen, ist es am zielführendsten, sich extern beraten zu lassen. In diesem Bereich entwickelt sich momentan auch eine große Szene in Deutschland, der Bedarf wächst. Der KI-Bundesverband hat erst kürzlich ein Ethik-Gütesiegel für KI ins Leben gerufen. Hier können Unternehmen, Verbände, Initiativen und Organisationen, die sich mit dem Thema beschäftigen, schauen, welche ethischen Handlungsempfehlungen für sie relevant sind.
Welche Gesetze sind beim Einsatz von KI relevant?
Grundsätzlich gibt es keine bestimmten "KI-Gesetze". Allerdings hat sich die KI gesetzeskonform zu den anderen Gesetzen zu verhalten. Verarbeitet eine KI etwa personenbezogene Daten, dann greift die DSGVO. Die Verordnung beinhaltet auch einen Paragraphen zum Thema automatische Entscheidungen und Profiling. Ist eine KI etwa mit einem Industrieroboter verbunden, dann gelten die dortigen Sicherheitsvorschriften auch für die KI. Ebenso gelten die existierenden Haftungsreglungen entsprechend.