CEO Jeff Abbott im CW-Gespräch

Vorbild ERP: Ivanti baut an IT-Management-Suite

16.10.2023
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

"Wir sind noch nicht überall da, wo wir hin wollen"

Die Angebote der zugekauften Firmen zu integrieren, ist schon schwierig genug. Was tun Sie, um die verschiedenen Teams und Kulturen zusammenzubringen und eine gemeinsame Identität zu schaffen?

Abbott: Genau das ist mein Job. Der oberste und wichtigste Punkt auf meiner Agenda als CEO besteht darin, eine gemeinsame Kultur zu schaffen. Wir sind noch nicht überall da, wo wir hinwollen. Es gibt immer noch Mitarbeitende, die sich mit MobileIron, Cherwell, Pulse etc. identifizieren. Aber wir sind in zwei Jahren schon weit gekommen.

Am Ende brauchen wir aber auch immer noch Leute, die Spezialisten für Sicherheit, Mobile Device Management oder Service-Management sind. Wir haben aufgrund der vielen Zukäufe eine riesige installierte Basis. Das bietet uns enorme Chancen. Aber Wachstum erzielen wir nur dann, wenn alle von der Plattform insgesamt überzeugt sind und diese weiterempfehlen können.Ist denn nun Schluss mit den Übernahmen bei Ivanti?

Abbott: In den letzten zwei Jahren haben wir uns mit Übernahmen zurückgehalten. Wir haben eine Pause eingelegt, um sicherzustellen, dass wir die aktuellen Akquisitionen zuerst integriert bekommen. Wir prüfen aber stets alle Optionen, und Akquisitionen werden auch weiterhin Teil unserer Wachstumsstrategie sein.

Welches Entwicklerteam baut bei Ihnen denn nun eigentlich die Neurons-Plattform?

Abbott: Das Team ist gemischt, ein Best-of sozusagen. Einige sitzen in den USA, andere in Indien und viele auch in Europa und Deutschland. Wenn Sie so viele kompetente Leute aus verschiedenen Unternehmen zusammenbringen, um etwas Gemeinsames zu schaffen, dann ist das reizvoll: Sie eröffnen jede Menge Karrieremöglichkeiten. Wir haben den nötigen Raum geschaffen, damit zum Beispiel Leute, die jahrelang für Endpoint Management zuständig waren, sich jetzt mit Business Process Management beschäftigen können. Diese Art von Veränderung ist bei uns möglich und erwünscht.

Von IT-Plattformen ist derzeit viel die Rede, aber aus Anwendersicht ist nicht immer klar, welche Vorteile sie bieten sollen.

Abbott: Anwender können integrierte Lösungen von Ende zu Ende nutzen und haben keinen großen Aufwand, um sehr schnell die Funktionen freizuschalten, die sie brauchen. Die Nutzererfahrung wird besser, und unsere jüngste Studie zum Thema Digital Employee Experience zeigt, wie wichtig das speziell für Wissensarbeiter ist. Wird sie vernachlässigt, entsteht eine strukturelle Herausforderung für das Unternehmen.

57 Prozent der Befragten haben mindestens einmal pro Woche ernsthafte Probleme mit der Nutzung von Technologien am Arbeitsplatz. 17 Prozent haben wegen schlechter Technologie gekündigt oder planen es - bei der Generation Z ist die Zahl fast doppelt so hoch. Negative Erfahrungen mit Technologie senkt die Arbeitsmoral, das ist sicher.

Die Kunden wollen Plattformen, und die Anbieter nicht weniger, denn für sie entsteht ein zusätzlicher wirtschaftlicher Nutzen durch Cross- und Upselling, wenn es gelingt, die Einzellösungen zu verbinden. Forrester Research sieht das genauso: Die Zukunft gehört den Plattformen, das ist die Richtung, in die auch Microsoft und ServiceNow gehen.

"Ich glaube, dass man mit GenAI vorsichtig umgehen muss"

Wir können unser Gespräch nicht beenden, ohne auf den Megatrend des Jahres zu kommen: Generative AI. Hat sich dadurch an Ihrer Strategie etwas geändert?

Abbott: Wir sind natürlich von den Möglichkeiten begeistert, so wie die meisten IT-Unternehmen. Aber ich persönlich bin hier etwas konservativer als andere. Ich glaube, dass man mit dieser Technologie besonders vorsichtig umgehen muss. Themen wie Unintended Bias, Halluzinationen oder Fragen um Urheberrechte sind noch nicht ausreichend beantwortet. Wir wollen hier nicht Leading Edge sein, sondern praktikable, funktionierende Lösungen anbieten.

IBM hat im Juni angekündigt, sie wollen 8.000 Arbeitsplätze in Marketing und im Personalwesen abbauen, weil die KI viele der dort anstehenden Aufgaben übernehmen könne. Ich halte das bei einer unerprobten Technologie für sehr gewagt. Das andere Extrem ist die American Writers Association, die sagte, die KI werde menschlichen Autoren niemals das Wasser reichen. Auch das kann man heute noch nicht sagen.

Jeff Abbott sieht Generative AI mit Vorsicht, aber als Chance. Er versteht nicht, warum IBM Personalabbau damit verbindet.
Jeff Abbott sieht Generative AI mit Vorsicht, aber als Chance. Er versteht nicht, warum IBM Personalabbau damit verbindet.
Foto: Ivanti

Und wie ist nun die Vorgehensweise von Ivanti?

Abbott: Wir haben uns mit unserem Management-Team zusammengesetzt und buchstäblich darüber gestritten, wie wir KI für uns erschließen sollen. Uns ist klar geworden, dass wir einen vernünftigen Governance-Prozess und Guiding-Principles brauchen. Wir haben dann direkt in diesem Meeting mit zehn Executives einen Rohentwurf dieser Guiding-Principles entworfen. Für uns kommt GenAI nur in Frage, wenn sich dadurch nachweislich Produktivitäts- oder Geschwindigkeitsvorteile, eine bessere Mitarbeitererfahrung oder ein Mehrwert für den Kunden ergeben. Das ist alles - ganz einfach.

Sicher ist jedenfalls, dass wir niemals als erstes darüber reden würden, wie wir Personal abbauen können. Ob das jemals passieren wird, wissen wir nicht, schließlich haben die industrielle Revolution und die Digitalisierung auch viele Millionen Jobs vernichtet. Gleichzeitig sind aber auch andere Arbeitsplätze hinzugekommen. Momentan ist das definitiv kein Thema, im Gegenteil.

Wie verhindern Sie, dass Ihre Entwickler Generative AI unkontrolliert nutzen und dabei vielleicht Risiken eingehen oder Fehler machen?

Abbott: Das ist die andere Seite unserer Governance: Wir haben dafür neue interne Prozesse eingeführt. Bevor irgendjemand etwas mit GenAI macht, muss er oder sie einen Screening-Prozess durchlaufen. Da geht es um einen Legal-Check, Rentabilität und die Frage, ob die richtigen Prozesse angestoßen und die nötigen Vorkehrungen getroffen wurden. Unsere General Council ist beauftragt, darüber zu wachen. Sie ist der Chef unseres AI Governance Committee. Darin sitzen 15 Leute: Ingenieure, Produktverantwortliche und Marketing-Leute. Das ist ein funktionsübergreifender Ausschuss.

Das klingt, als würden Sie Ihre Entwickler einengen.

Abbott: Das tun wir keineswegs. Wir haben ihnen eine Art Sandbox zur Verfügung gestellt, in der sie Dinge ausprobieren können, und ein Team, das ihre Ideen unterstützt und bewertet. So senken wir die Risiken, ohne die Innovation einzuschränken. Die Lösungen gehen nicht gleich produktiv. Wir testen sie ausführlich, oft in verschiedenen Bereichen unseres Unternehmens.