Future ERP

Vom Monolithen zur Plattform

27.07.2018
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Cloud-ERP wird immer stärker nachgefragt

Was den Erfolg von ERP-Projekten betrifft, macht sich offenbar in vielen Unternehmen schnell Ernüchterung breit. Knapp die Hälfte der Anwender berichtet, zwischen 50 und 80 Prozent der im Vorfeld anvisierten Vorteile erreicht zu haben, Gut vier von zehn Anwendern spricht von einer Zielerreichung zwischen 30 und 50 Prozent. Immerhin liegt nur eines von 100 befragten Unternehmen noch schlechter. Die Gesamtbilanz in Sachen ERP-Projekterfolg fällt insgesamt jedoch ernüchternd aus. Nur 42 Prozent der von den Marktforschern befragten Unternehmen würden ihr ERP-Projekt als Erfolg bezeichnen - im vergangenen Jahr waren es noch fast doppelt so viele. Mehr als ein Viertel (28 Prozent) sprechen dediziert von einem Fehlschlag.

Nur 42 Prozent der ERP-Projekte werden als Erfolg eingestuft, hat eine Untersuchung von Panorama Consulting ergeben.
Nur 42 Prozent der ERP-Projekte werden als Erfolg eingestuft, hat eine Untersuchung von Panorama Consulting ergeben.
Foto: Panorama Consulting

Da wird sich etwas ändern müssen im ERP-Markt - und das tut es offenbar auch. So haben die Marktbeobachter von Panorama Consulting in ihrem aktuellen Report einen dramatischen Wandel im ERP-Bezugsmodell festgestellt. Fast zwei Drittel (64 Prozent) der neuen ERP-Software wird im SaaS-Modell ausgeliefert. Weitere 21 Prozent sind spezielle Cloud-ERP-Anwendungen. Nur noch 15 Prozent der neuen ERP-Applikationen landen als klassische On-Premise-Installationen beim Kunden - im vergangenen Jahr waren es noch 67 Prozent.

Einen Grund für diese Entwicklung sehen die Marktforscher von Panorama Consulting in den Strategien der ERP-Hersteller, die durch die Bank auf die Cloud-Karte setzen. Aber auch der Plattformgedanke dürfte in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Für viele Unternehmen dürfte es Zukunft vor allem darum gehen, mit ERP die grundlegenden Business-Prozesse abzudecken - möglichst effizient, stabil, hoch verfügbar und reibungslos. Das spiegeln auch die Ergebnisse der Panorama-Umfrage wider. Die von den Unternehmen erwarteten ERP-Vorteile zielen auf eine bessere Verfügbarkeit von Daten und Informationen, effizientere Prozesse und Produktivität sowie eine bessere Erfüllung von Compliance-Regeln und geringere Kosten.

Digitalisierung - welche Rolle spielt das ERP

Die Musik der Digitalisierung spielt indes abseits des ERP. Nur zehn Prozent der Befragten haben mit ihren ERP-Vorhaben eine Transformation ihres Business projektiert. Auch Faktoren wie eine bessere Interaktion mit Kunden (13 Prozent) oder Zulieferern (15 Prozent) sowie tiefere Einblicke, wie das eigene Geschäft funktioniert (14 Prozent) und die Möglichkeit besser informiert Entscheidungen zu treffen (17 Prozent), standen bei den wenigsten auf der ERP-Wunschliste.

Daraus zu schließen, das ERP werde in Zukunft nicht mehr wichtig sein, ist allerdings falsch. Vielmehr dürfte es in Zukunft, wie es auch die DSAG beschreibt, um einen stabilen ERP-Kern gehen, der von verschiedenen Zusatzmodulen flankiert wird. Das legt auch die PAC-Umfrage nahe. Demzufolge haben fast die Hälfte der SAP-Anwender im Zuge ihres Umstiegs auf S/4HANA vor, künftig das Analytics-Angebot von SAP zu nutzen, 36 Prozent wollen das Integrated Business Planning einsetzen. Und auch die anderen Cloud-Angebote von SAP scheinen zunehmend gefragt. Jeweils gut ein Fünftel will SuccessFactors (Human Resources), Cloud 4 Customer (Customer Relationship Management), Leonardo (Internet of Things) oder Ariba (Supply Chain) nutzen. In diesen, das ERP umkreisenden Satelliten wird sich Innovation und die digitale Transformation abspielen. Funktionieren kann das Ganze allerdings nur, wenn das ERP als Gravitationszentrum funktioniert.

Dabei handelt es sich jedoch nicht einfach nur um einen abgespeckten ERP-Kern. Vielmehr verändern neue Technologien das ERP auch in seinem Innersten. Gartner spricht von "Postmodern ERP", in dem Platform as a Service (PaaS) eine strategische Rolle spielen wird. Auf diesen Cloud-Plattformen würden künftig funktionale Erweiterungen für Cloud-ERP-Umgebungen entwickelt sowie die Integration abgewickelt. Zudem entwickle sich Gartner zufolge Analytics zu einem integralen Bestandteil der ERP-Umgebungen. Das werde sich auch auf die dahinterliegenden Prozesse auswirken, wenn beispielsweise Echtzeitentscheidungen möglich werden, sich Risiken genauer einschätzen lassen und Ressourcen dynamisch allokieren lassen.

Die Plattform ist das Ziel

Die Analysten von Forrester Research verweisen darauf, dass sich mit Hilfe von Robotic Process Automation (RPA) viele Standardabläufe im ERP-Kern weitgehend automatisieren ließen und damit zusätzliche Ressourcen frei würden, sich um Innovationen zu kümmern. Für die Erweiterung der ERP-Infrastrukturen werden aus Forrester-Sicht Low-Code-Plattformen eine immer wichtigere Rolle spielen. Etliche Softwarehäuser würden bereits heute entsprechende Entwicklungsumgebungen anbieten, mit deren Hilfe sich Erweiterungen und zusätzliche Funktionen für das ERP bauen ließen. Auf lange Sicht könnte das Thema Low-Code-Entwicklung noch weit tiefgreifendere Folgen haben. Nämlich wenn Unternehmen anfangen, damit von Grund auf entlang ihrer funktionalen Anforderungen aus dem Business ihre Anwendungen komplett neu zu entwickeln. Erste Tendenzen in diese Richtung gibt es bereits.

"Digitale Plattformen sind das exakte Gegenmodell zu monolithischen Systemen", sagt der ehemalige Geschäftsführer der GUS Group und langjährige ERP-Kenner Heinz-Paul Bonn.
"Digitale Plattformen sind das exakte Gegenmodell zu monolithischen Systemen", sagt der ehemalige Geschäftsführer der GUS Group und langjährige ERP-Kenner Heinz-Paul Bonn.
Foto: GUS Group

"Digitale Plattformen sind demnach das exakte Gegenmodell zu monolithischen Systemen", beschreibt ERP-Pionier Bonn seine Vision. "Sie sind offen für Entwicklungen Dritter und offen für die Integration bei Dritten. Sie lassen sich frei kombinieren und frei einbetten. Das eröffnet neue Freiheitsgrade für Anwender, die sich nach optimalen Lösungsansätzen umschauen können und nicht auf das Angebot ihres ERP-Anbieters angewiesen sind."