Das Europäische Parlament hat die neue EU-Maschinenproduktverordnung verabschiedet. Das Regelwerk löst die seit 2006 geltende Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ab. Eine Neufassung des Rechtsrahmens war notwendig geworden, weil im Zuge der technischen Entwicklung, insbesondere der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung von Maschinen, nicht mehr alle Maschinenrisiken durch das alte Regelwerk erfasst und abgedeckt werden konnten.
Unter die Neuregelung fallen wie schon bei der alten Richtlinie alle Maschinen und damit zusammenhängende Produkte, beispielsweise Ersatzteile wie Ketten, Antriebswellen oder Hydraulikteile, wie auch unvollständige Maschinen. Die Palette ist breit und reicht von Rasenmähern und Kettensägen über Kräne und Pressen bis hin zu komplexen Fertigungsanlagen und KI-gesteuerten Robotern. An manchen Stellen ist die Differenzierung jedoch nicht ganz einfach. Ausgenommen von der Maschinenverordnung bleiben Haushaltsgeräte, Waffensysteme sowie Fahrzeuge zur Personen- und Güterbeförderung. Allerdings sollen leichte Elektrofahrzeuge wie E-Scooter und E-Bikes durchaus unter die kommenden Richtlinien fallen.
Neu geregelt sind in der neuen Verordnung die Verantwortlichkeiten und die Einordnung von Geräten und Anlagen. Neben dem Hersteller einer Maschine müssen auch Importeure und Händler künftig bestimmte Pflichten übernehmen. Wer eine Maschine modifiziert, wird laut den neuen Regeln zum Hersteller und muss dementsprechend die Verantwortung übernehmen. Dieser Passus dürfte jedoch noch für Streit sorgen, weil nicht klar geregelt ist, welche Veränderungen im Sinne der neuen Verordnung als relevante Modifikation zu werten sind.
Hochrisikomaschinen sollen genauer geprüft werden
Eine wesentliche Neuerung der kommenden Maschinenprodukteverordnung sind Regeln und unabhängige Prüfungen für sogenannte Hochrisikomaschinen. Dazu zählen solche Geräte und Anlagen, von denen unter Berücksichtigung ihrer Konstruktion und des Verwendungszwecks ein Risiko für die menschliche Gesundheit ausgeht. Die Verordnung soll in ihrer endgültigen Fassung eine Liste von Maschinen enthalten, die in diese Kategorie fallen. Außerdem behalten sich die EU-Behörden das Recht vor, diese Liste der Hochrisikomaschinen laufend zu aktualisieren.
Zu beachten sei an dieser Stelle, dass auch Software, die Sicherheitsfunktionen wahrnimmt, einschließlich KI-Systemen, sowie Maschinen, in die Sicherheitsfunktionen wahrnehmende KI-Systeme integriert sind, darunter gefasst würden, schreibt Christian Thomas, Partner bei der Sozietät Hoffmann Liebs, in einem Blog-Beitrag zur neuen Maschinenverordnung. Die Einstufung von Maschinenprodukten mit sicherheitsrelevanten KI-Systemen als Hochrisikomaschinen werde zu einem deutlich aufwandsintensiverem Konformitätsbewertungsverfahren führen, warnt der Rechtsexperte. Für diese Prüfungen schreibt das Regelwerk bestimmte Stellen vor. Die Möglichkeit der Konformitätsbewertung mittels interner Selbstkontrolle in der eigenen Fertigung gelte in diesen Fällen nicht.
TÜV: Neue Verordnung längst überfällig
An dieser Stelle kommen Einrichtungen wie der TÜV ins Spiel. Dort begrüßt man die Verabschiedung der EU- Maschinenprodukteverordnung durch das Europäische Parlament. "Die Verordnung ist ein längst überfälliger Schritt. Erstmals werden verpflichtende Anforderungen für die Sicherheit vernetzter Geräte, bestimmter Werkzeuge mit beweglichen Elementen, Maschinen und Komponenten in der digitalen Welt geschaffen", sagt Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands. "Die Sicherheit von Maschinenprodukten umfasst künftig nicht nur den Gesundheitsschutz, sondern auch die digitale Sicherheit und den Schutz vor Cyberangriffen."
Das hat weitreichende Folgen. Maschinen müssen vor interner sowie äußerer Beeinflussung beziehungsweise Manipulation geschützt und sicher sein, konstatiert Rechtsexperte Thomas mit Blick auf die neue Verordnung. "Wesentlich ist dabei, dass dieses Thema durch die neue Maschinenprodukteverordnung zur Herstellerpflicht erklärt wird." Diese müssten demnach sicherstellen, dass weder die Verknüpfung mit einem externen Datenträger noch die Verbindung mit remote devices über das Internet zu gefährlichen Situationen führen kann.
Hersteller müssen auch künftige Risiken im Blick behalten
Das gilt für den gesamten Lebenszyklus einer Maschine. Zwar bleibe es im Grundsatz dabei, dass die Hersteller eine Risikobewertung ihrer Maschinen mit Blick auf Sicherheitsaspekte und den Gesundheitsschutz vornehmen müssen, bevor sie diese in Verkehr bringen oder in Betrieb nehmen. Die Bestimmungen der kommenden Maschinenprodukteverordnung sehen darüber hinaus aber vor, "dass bei Maschinen mit sich entwickelndem oder autonomem Verhalten auch solche Risiken zu betrachten sind, die nach dem Inverkehrbringen der Maschine aufgrund der autonomen Entwicklung auftreten können", berichtet Thomas. Hersteller müssten also die Folgen von Softwareupdates und zusätzlichen KI-Funktionen weit im Voraus abschätzen können. Dazu der Rechtsexperte: "Aus praktischer Sicht stellt gerade diese Anforderung eine erhebliche Herausforderung für die betroffenen Wirtschaftssektoren dar."
Den TÜV-Verantwortlichen gehen die neuen Bestimmungen indes nicht weit genug. Sie sehen weiteres Potenzial für Verbesserungen des Sicherheitsniveaus. "Verpflichtende unabhängige Prüfungen für Hochrisikomaschinen sind überfällig, da viele dieser Produkte trotz einer CE-Kennzeichnung nicht die in der EU geltenden Anforderungen für Sicherheit und Gesundheitsschutz erfüllen", stellt Bühler fest. Aus Sicht des TÜV-Verbands hätte eine verpflichtende Prüfung durch unabhängige Stellen für weitere Produkte mit einem besonders hohen Risiko eingeführt werden müssen, beispielsweise Kettensägen, Fahrtreppen sowie bestimmte Fördermaschinen zum Heben und Transport von Personen und Lasten.
EU-Länder müssen Maschinenunfälle erfassen und melden
Der TÜV rechnet damit, dass die Liste der Hochrisikomaschinen bald länger werden könnte und beruft sich dabei auf offizielle Unfallstatistiken. Die Mitgliedsländer der EU müssen künftig Daten über Unfälle mit Maschinenprodukten sammeln und an die EU-Kommission übermitteln. Bisher fehle es an einer validen Datengrundlage in der Union, um ein umfassendes Bild vom Gefahrenpotential bestimmter Maschinen zu erhalten. "In die Liste der Hochrisikomaschinen können in Zukunft weitere Produkte aufgenommen werden, wenn sich neue Erkenntnisse aus dem Unfallgeschehen ergeben oder der technologische Fortschritt das notwendig macht", so TÜV-Mann Bühler.
Ein großes Fragezeichen bleibt hinsichtlich des KI-Einsatzes in Maschinen. Angesichts der rasanten Entwicklung von KI-Technologien ist zu befürchten, dass die jetzt verabschiedeten Maschinenregeln hinter der technischen Innovation zurückfallen und schon bald neu angepasst werden müssen. Bühler mahnt deshalb ergänzend eine zügige Verabschiedung der geplanten KI-Verordnung auf EU-Ebene an. "Die KI-Verordnung wird zusätzliche Anforderungen in Bezug auf die Qualität der Trainingsdatensätze, der Robustheit des KI-Systems oder der Transparenz des KI-Einsatzes festlegen, um die Sicherheit KI-basierter Maschinen zu gewährleisten."
EU-Mühlen mahlen langsam
Ob die EU-Regulatorik mit der Geschwindigkeit der technischen Entwicklungen Schritt halten kann, ist allerdings mehr als fraglich. Schon der Verabschiedung der neuen Maschinenverordnung ging ein mehrjähriger Verhandlungsprozess zwischen der EU-Kommission, dem EU-Parlament und den Mitgliedsstaaten voraus. Und es wird weitere Jahre dauern, bis das Regelwerk in der Praxis greift. Nach der Verabschiedung im EU-Parlament am 18. April 2023 wird die Maschinenprodukteverordnung in Kürze im EU-Amtsblatt veröffentlicht. 20 Tage später tritt sie zwar in Kraft, verbindlich gelten werden die Regeln allerdings erst 42 Monate später, also im Herbst 2026. Angesichts der rasanten technischen Entwicklung kann es gut sein, dass die jetzt verabschiedeten Richtlinien für den Maschineneinsatz dann schon wieder veraltet sind.
Die Hersteller müssen sich trotzdem darauf vorbereiten und dürfen keine Zeit verschwenden. Auch wenn noch ein gewisser zeitlicher Korridor verbleibt, ist ein frühzeitiges Befassen mit den Vorgaben der neuen Verordnung für zahlreiche Wirtschaftsakteure dringend ratsam, sagt Rechtsexperte Thomas. Schließlich müssten ab dem Zeitpunkt der Anwendbarkeit sämtliche Konformitätserklärungen, technischen Unterlagen etc. gemäß den Vorgaben der neuen Maschinenverordnung erstellt sein beziehungsweise in entsprechend aktualisierter Form vorliegen - egal wie schnell oder langsam sich die in den Geräten und Anlagen steckende Technik entwickelt.