CW: In Ihrem Buch fordern Sie Leistungsträger dazu auf, nicht ihren Stärken zu folgen. Wie bitte?
Happich: Ja, das hört sich zunächst befremdlich an, aber: Leistungsträger sind Menschen, die Verantwortung übernehmen, die gern viel leisten und etwas bewegen wollen. Sie sind die "Macher". Sie wissen, dass das Leben kein Zuckerschlecken ist, und machen da weiter, wo andere schon aufgehört haben. Von ihnen höre ich häufig den Satz: "Das muss eben gemacht werden." Einerseits eignen sie sich dadurch viele Fähigkeiten an. Aber ich sage: Nur, weil man etwas kann, heißt es nicht, dass es einem Spaß macht. Das sind zwei Paar Schuhe.
CW: Aber macht einem nicht das Spaß, was man auch gut kann?
Happich: Nicht unbedingt! Ich habe einmal einen ITler gecoacht, der in seinem Unternehmen die Kundenakquise übernehmen sollte. Sein Vorgesetzter sagte, dass er dabei Erfolge gezeigt habe - aber der Mitarbeiter sackte nur in sich zusammen. Er war der Überzeugung, dass er nicht akquirieren konnte. Seine Kollegen konnten das nicht glauben, schließlich hatte er die größten Aufträge an Land gezogen! Doch der Mitarbeiter sagte, er unterhalte sich nur einfach gerne mit Menschen. Daraus ergäben sich eine gute Beziehung und oft auch Aufträge. Als Stärke wollte er das nicht betrachten, und sein Interesse, in der Hauptsache Kunden zu akquirieren, ging gegen null. Auch wenn die Kollegen das als Stärke wahrgenommen hatten - Spaß hat es ihm nicht gemacht. Anders herum wird ein Schuh draus: Was einem Spaß macht, kann man auch.
CW: Aber merkt man nicht, dass einem die Arbeit oder eine bestimmte Aufgabe keine Freude bereitet?
Happich: Das Schlimme ist, dass die meisten es tatsächlich nicht merken. Das ist oft ein schleichender Prozess: Zum Beispiel erledigen einige während eines Projekts aus einer Notwendigkeit heraus eine Aufgabe, die ihnen keinen Spaß macht. Trotzdem wollen sie das gut machen, denn sie haben einen hohen Anspruch an sich selbst. Außerdem wollen sie das Unternehmen nach vorne bringen. Die Leistungsträger haben dabei mindestens mittelmäßige, meistens sogar gute Erfolge. Außenstehende schlagen diese Kollegen dann für solche Aufgaben vor: Es hat ja gut geklappt. Und manchmal winkt dafür sogar die Beförderung. Das ist Anerkennung pur. So kommen die Beschäftigten an Aufgaben, die sie unglücklich machen, ohne dass sie es selbst sofort merken.
CW: Wie kommen Manager aus diesem Teufelskreis wieder heraus?
Happich: Oft wissen die Leistungsträger gar nicht, was ihnen Freude bereitet. "Um Spaß geht es doch beim Arbeiten gar nicht", höre ich sehr oft. Dabei ist es so: Sie können eine ganze Menge - aber nicht alles davon macht ihnen Spaß. Wozu sie Lust haben, das können sie sowieso. Jeder sollte sich also eher fragen, was ihm Spaß macht und welche seiner Stärken er einsetzen möchte. Aber wenn man etwas unangenehm findet und es länger als zwei bis drei Stunden am Tag tun muss, dann erscheint einem bald alles negativ - auch das, was man eigentlich mag.
CW: Das klingt so, als würden die meisten Leistungsträger gar nicht darüber nachdenken, was sie eigentlich tun wollen.
Happich: Der große Unterschied zwischen Leistungsträgern und normalen Mitarbeitern ist: Die normalen arbeiten nicht so viel und scheitern eventuell schneller. Wann denkt man denn über sich selbst nach? Wer gescheitert ist, denkt deutlich intensiver nach als der, der Erfolg hat. Da Leistungsträger erfolgreich sind, beschäftigen sie sich oft nicht mit der Frage, was sie eigentlich wollen. Warum auch? Die Karriere verläuft ja meistens so: Jemand hat Erfolg, wird für die nächste Stufe vorgeschlagen, wird Führungskraft und klettert immer weiter die Karriereleiter rauf. Zwar mag die Beförderung nicht hundertprozentig den Vorstellungen entsprechen - aber gern genommen wird sie trotzdem. Doch mit jedem Karriereschritt verbiegt man sich ein wenig. Außerdem: Wer zehn bis 14 Stunden am Tag arbeitet, hat kaum noch Zeit, über sich nachzudenken.
CW: Wäre es eine Lösung, den Job oder die Firma zu wechseln?
Happich: Ach, Jobwechsel bringt leider gar nichts! Manche hoffen, ihre Situation mit einem Unternehmens- oder Aufgabenwechsel zu ändern. Doch beides geht zu 90 Prozent in die Hose. Dies als Standardlösung einsetzen zu wollen, führt nicht zum gewünschten Ergebnis, sprich: zur Zufriedenheit. Das kann nur im Einzelfall funktionieren. Um wirklich etwas zu ändern, müssen leider die meisten Menschen erst an einen Punkt kommen, an dem es nicht mehr weitergeht. Ich hatte einen Fall, da wollte ein Manager unbedingt Geschäftsführer werden. Schließlich kam er tatsächlich in diese Position. Dann merkte er, dass ihm dieser Job gar keinen Spaß machte. Er wollte nicht mit Mitarbeitern umgehen, sie den ganzen Tag führen, obwohl das seine neue Aufgabe war. Dass er eigentlich viel lieber ein bestimmtes Projekt leiten würde, darauf sind wir erst nach einigen Gesprächen gekommen.
CW: Aber warum wollte er den Posten überhaupt haben?
Happich: Er hat in erster Linie die Position - Geschäftsführer - gesehen. Das hörte sich gut und einflussreich an. Außerdem waren viele in seinem Umfeld ebenfalls in die Rolle eines Geschäftsführers gewechselt. Dass wir hier recht schnell und einfach eine gute Lösung finden konnten, liegt an einem großen Vorteil der IT-Branche: Hier haben Fachkräfte, sogenannte Experten, ein sehr gutes Image. In dieser Branche gibt es viele Menschen, die lieber Wissensarbeiter wären als in einer Führungsposition.
CW: Wie gelingt es, die eigenen Stärken zu erkennen?
Happich: Zu wissen, dass einem nicht alles, was man gut kann, auch Spaß macht, ist schon ein Riesenschritt. Dann sollte jeder versuchen herauszufinden, was er möchte, und sich dann einen realistischen Umsetzungsweg suchen. Das muss man nicht unbedingt mit einem Coach besprechen, aber mit einem Unbeteiligten. Wer versäumt, sich darauf zu besinnen, bei dem ist die Gefahr groß, dass er in den Burnout gerät.
- Zielsicher in die Katastrophe
Viele Menschen steuern - bewusst oder weniger bewußt - über Jahre hinweg zielsicher auf den Burnout zu. Werden konsequent die häufigsten 13 Fehler gemacht, ist früher oder später der Burnout garantiert! - Allzeit bereit!
Bei Ihrem Job werden "flexible" Arbeitszeiten und Überstunden als selbstverständlich erwartet, auch Reisetätigkeiten, wechselnde Arbeitsplätze, internationale Zusammenarbeit über mehrere Zeitzonen hinweg und Erreichbarkeit 24 Stunden an sieben Tagen per Blackberry, Handy & Co. - Brennen für den Job
Ihre Tätigkeit begeistert Sie, Überstunden stören Sie nicht. Sie stehen für Flexibilität, Schnelligkeit und höchste Qualitätsansprüche. Das Team, der Chef, der Auftraggeber und alle anderen können sich stets auf Sie verlassen. Sie sind ehrgeizig, der nächste Schritt zum Projekt-Manager, Team- oder Abteilungsleiter winkt und fordert vollen Einsatz auf gleichbleibend hohem Niveau. Brennen Sie für Ihre Aufgaben, das Projekt, Ihr Team, Ihr Unternehmen - bis Sie ausgebrannt sind. - Entspannen? Was ist das?
Signale wie anhaltende Müdigkeit, Unkonzentriertheit, Leistungsabfall, Schlafstörungen sowie die Unfähigkeit abzuschalten und aufzutanken, ignorieren Sie. Bedienen Sie sich bei auftretenden Zipperlein großzügig an Produkten der Pharmaindustrie. - Nur nicht wütend werden
Kümmern Sie sich auf keinen Fall um Ihre Gefühle. Wut, Ärger, Ängste, das Gefühl von Überforderung oder ständiger Gehetztheit ignorieren Sie, ebenso wie das Schwinden Ihrer Lebensfreude, zunehmende Teilnahmslosigkeit, Sinn- und Lustlosigkeit und Depressionen. Bei zunehmendem Leeregefühl lösen Sie sich von der Idee, dass Arbeit Sie innerlich erfüllen könnte. - Immer schön fleißig sein!
Ineffektiv verbrachte Arbeitszeit kompensieren Sie mit Mehrarbeit. Das vertreibt auch die Langeweile am Wochenende und im Urlaub. Sind Sie Freiberufler, verzichten Sie ganz auf Urlaub. Sie müssen die Aufträge abarbeiten, oder das Geld reicht nicht. Machen Sie möglichst mehrere Dinge gleichzeitig, um Zeit zu sparen. Sagen Sie "Ja" zu jeder neuen Aufgabe. - Verzweifelt? Sie doch nicht!
Machen Sie sich unentbehrlich. Auch wenn es unmöglich ist und Sie der Verzweiflung nah sind, versuchen Sie, möglichst alle Erwartungen von Teamkollegen, Auftraggebern, internen und externen Projektmitarbeitern, Vorgesetzten und Ihrer Familie und Freunde zu erfüllen. Am besten übertreffen Sie noch deren Erwartungen. - Warnsignale?
Verwerfen Sie sämtliche Warnungen, Vorhaltungen, Vorwürfe, Bitten und Sorgen von Ihrer/m Partner/in, Angehörigen oder Kollegen. Ihre Ausreden sollten wasserdicht sein: "Nach diesem Projekt wird alles besser" oder "nur noch dieser Fall". Oder: "Die Umstände/der Vorgesetzte/der Auftraggeber zwingen mich dazu, ich habe keine Wahl." - Im Hamsterrad
Hämmern Sie sich und anderen ein, es geht nicht anders, in Ihrem Job jedenfalls nicht. Wenden Sie sich dennoch auf Drängen anderer an eine professionelle Beratung, werden Sie es sicher verstehen, die Sinnlosigkeit dieser Maßnahme unter Beweis zu stellen. - Nur nicht drüber reden!
Gehen Sie auf Distanz zu Menschen, zu denen erstaunlicherweise noch Kontakt besteht. Als Eigenbrötler können Sie leichter die Fassade wahren. Sagen Sie niemandem, wie es Ihnen geht. Gemeinsame Mittags- und Kaffeepausen mit Kollegen sind zeitlich unmöglich, die Zeit mit der Familie wird immer knapper. - Jede Minute zählt - zum Arbeiten.
Streichen Sie sämtliche Hobbys einschließlich sportlicher Betätigungen. Falls Sie doch noch ein Privatleben haben, gestalten Sie die Terminplanung zwischen ihm und dem Job noch engmaschiger, nutzen Sie jede freie Minute. - Gesund leben? Maßlos überschätzt!
Gesundes Essen wird als Zeitkiller abgeschafft zugunsten von Fast Food und belegten Semmeln. Damit Sie überhaupt entspannen und von Ängsten und anderen unangenehmen Gefühlen abschalten können, gönnen Sie sich regelmäßig abends etwas Alkoholisches. - Perfektion, Perfektion, Perfektion
Seien Sie nie zufrieden mit Ihren Ergebnissen, auch wenn andere begeistert sind. Sie sind Ihr strengster Kritiker. Weniger als perfekt kommt für Sie nicht in Frage. Stecken Sie sich zusätzliche Ziele. Erlernen Sie eine Fremdsprache, machen Sie eine berufsbegleitende Ausbildung und laufen Sie Marathon. - Probleme? Ach was!
Lösen Sie keine Konflikte und Probleme grundlegend. Schieben Sie alles vor sich her, damit der Berg von Unerledigtem immer höher wird. - Ein Ausstieg ist möglich!
Falls Sie sich in unserem Text zu stark wiedererkennen, steiegen Sie aus! Je früher, desto besser. Gehen Sie zum Arzt, ändern Sie Ihre Lebensweise, solange es noch früh genug ist. Das raten Ihnen Ruth Hellmich, Rechtsanwältin und Geschäftsführerin von CoachingTraining.
CW: Wie kann ein Chef agieren, der bei seinem Mitarbeiter Unzufriedenheit bemerkt?
Happich: Ich gebe Ihnen mal das Negativbeispiel: Ein Mitarbeiter geht zum Vorgesetzten und spricht mutig an, dass ihm seine Arbeit nicht liegt und er unzufrieden ist. Er kommt aus dem Gespräch mit einer Beförderung und einer Gehaltserhöhung. Das ist genau die falsche Reaktion des Chefs. Natürlich wird der Mitarbeiter das Geld mitnehmen - aber wenn sich nicht bald grundsätzlich etwas an seiner Situation ändert, verlässt er trotzdem das Unternehmen.
CW: Und wie macht der Vorgesetzte es richtig?
Happich: Ein Mitarbeiter empfindet es als Wertschätzung, wenn der Vorgesetzte nicht nur mehr Geld anbietet, sondern auf ihn zugeht, sich für ihn interessiert und ihn fragt, wohin er sich entwickeln möchte. Einmal schickte ein Chef seinen besten Mitarbeiter zu mir. Wir sollten die ideale Position für ihn finden - selbst wenn das bedeutden würde, dass er das Unternehmen verlässt. Dieses Risiko ist die Führungskraft eingegangen - der Mitarbeiter hat das als große Wertschätzung wahrgenommen. Er blieb im Unternehmen und brannte für die Firma, die sich so für ihn eingesetzt hatte. Gemeinsam mit seinem Vorgesetzten haben wir eine Strategie entwickelt, wie er seine Stärken am besten nutzen konnte - und zwar diejenigen, die ihm Spaß machen. Das bedeutet im Klartext: Fördern Chefs die Interessen der Mitarbeiter, führt das fast immer zu einer engeren Mitarbeiterbindung ans Unternehmen. Es gewinnen also beide. (kf)
Bettina Dobe ist freie Journalistin in München.