Transformationsstrategien für die Fertigungsindustrie

Think big, start small, act fast

30.01.2024
Von 
Oliver Becker ist Vice President IMC bei Arvato Systems.
Wer nicht nur die sogenannten Low Hanging Fruits ernten will, muss sich Gedanken über zukunftsfähige Transformationsstrategien machen. Hier die Vorgehensweise und einige Fallbeispiele.
Die Digitalisierung bietet der Fertigungsindustrie viele Chancen. Man muss sie aber auch ergreifen.
Die Digitalisierung bietet der Fertigungsindustrie viele Chancen. Man muss sie aber auch ergreifen.
Foto: Gorodenkoff - shutterstock.com

Effizienzsteigerung, Qualitätsoptimierung, höhere Kundenorientierung, ein besserer ökologischer Fußabdruck, flexiblere Lieferketten, das Abfedern des Fachkräftemangels oder die Erschließung neuer Umsatzquellen: Die Digitalisierung bietet der Fertigungsindustrie ein Füllhorn an Potenzialen. Mehr noch, die gesamte Wertschöpfungskette gerät in Bewegung.

Den vielfältigen Chancen und bereits verfügbaren Technologien zum Trotz verhalten sich viele Entscheiderinnen und Entscheider jedoch vorsichtig abwartend. Sie verpassen so die Gelegenheit, ihr Unternehmen fit zu machen für die Zukunft. Längst bremsen nicht mehr die technologischen Grenzen die digitale Transformation, sondern die Zurückhaltung der Unternehmen.

Die deutsche Fertigungsindustrie braucht Pioniere

Die deutsche Fertigungsindustrie riskiert somit abgehängt zu werden von Nationen, die mehr Mut und ein höheres Umsetzungstempo vorlegen: Laut Bitkom Research sehen sich knapp zwei Drittel der deutschen Unternehmen im internationalen Vergleich als Digitalisierungsnachzügler. Deutschland braucht dringend einen Mentalitätswandel, weg vom Perfektionismus hin zum Pragmatismus. "Done is better than perfect", gerade weil es im komplexen Kontext der Digitalisierung nicht die eine richtige Lösung gibt.

Digitalisierungsstrategien zwischen Blueprint und Praxis

Viele Entscheiderinnen und Entscheider fühlen sich überfordert mit der Fülle an Möglichkeiten. Was bedeutet Industrie 4.0 für den eigenen Betrieb? Welche Digitalisierungsbausteine sind relevant? Was kann, was soll, was muss konkret verändert werden, in welcher Reihenfolge und in welchem Tempo? Wie detailliert und wie vorausschauend muss eine Transformationsstrategie heute schon sein? Welches Budget wird benötigt und wie lassen sich kostspielige Sackgassen vermeiden?

Noch gibt es - mit Ausnahme der Automobilindustrie - wenig inspirierende Beispiele und adaptierbare Erkenntnisse aus der Praxis. Zwar sind viele Prozesse bereits digitalisiert und automatisiert, aber noch zu wenig wirklich digital transformiert. Beispielsweise reicht es nicht aus, Maschinen mit Sensoren auszurüsten und Daten zu sammeln. Echte Transformation bedeutet, dass der digitalisierte Maschinenpark smart genutzt wird, um:

  • Prozesse zu verbessern,

  • Kosten zu sparen,

  • bessere Qualität zu produzieren,

  • Kundenwünsche zu erfüllen und

  • die immer knappere Manpower effizient einzusetzen, sowie

  • in der Königsklasse der Transformation neues Wachstum zu generieren.

Hinzu kommt, dass "die Fertigungsindustrie" keine homogene Branche ist. Je nach Unternehmensgröße, Sparte, Nische und Geschäftsmodell sind die Ausgangslage und die Ziele sehr unterschiedlich. Es gibt deshalb kein perfektes Copy-Paste-Konzept. Trotzdem lassen sich in erfolgreichen Transformationen drei Phasen identifizieren, die aufeinander aufbauen und schrittweise den digitalen Reifegrad erhöhen.

Die 3 Phasen der Digitalen Transformation

Phase 1 - Technologische Schulden werden ab- und ein robuster "Digital Backbone" als verlässliche Basis aufgebaut: Alle Basissysteme, wie beispielsweise SAP und Microsoft, werden integriert, Schnittstellen standardisiert und Datenflüsse definiert. Die IT-Landschaft wird - wo sinnvoll - Schritt für Schritt in die Cloud überführt und mit Konzepten für die Cybersicherheit gegen interne und externe Risiken abgesichert. Digitale Arbeitsplätze, vom Büro über die Produktion bis hin zum Lager, machen das Unternehmen fit für eine effiziente Kollaboration und für moderne Arbeitsmodelle.

Phase 2 - Nutzung der Infrastruktur für die Optimierung der Kernprozesse: Physische Assets wie Maschinen, Werkstücke und Bauteile werden mittels Sensoren an eine interne Datenquelle angebunden. Digitale Zwillinge reichern die Sensordaten mit Daten aus Software-Systemen wie ERP, MES und PIM zu virtuellen Echtzeit-Modellen an, die unter anderem Simulationen ermöglichen. Ziel ist es, Hebel für Verbesserungen der Produktivität zu identifizieren, beispielsweise durch Predictive Maintenance.

Phase 3 - Unternehmen denken über die Kernprozesse der Fertigung hinaus: Produktionsdaten werden mit internen Unternehmensbereichen wie dem Vertrieb vernetzt und beispielsweise für die Nachhaltigkeitstransformation genutzt. In der finalen Ausbaustufe der digitalen Transformation liegt der Fokus schließlich auf der Monetarisierung der Daten und der Etablierung neuer Geschäftsmodelle, um neue Umsatzströme zu erschließen über die eigentliche Wertschöpfung hinaus - von der Entwicklung innovativer Services bis hin zur Zusammenarbeit mit externen Partnern in kollaborativen Daten-Ökosystemen.