Bewerbung und Onboarding

So überzeugen Sie Bewerber und halten sie dann auch

15.06.2023
Von 
Regina Bergdolt ist Profi für HR-Projekte und (re-)organisiert HR-Prozesse. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind die Digitalisierung von HR und die Führungskräfteentwicklung.
Gute Bewerber sind schwer zu finden und schnell vergrault. Wir zeigen, welche Fehler Unternehmen unbedingt vermeiden sollten.
Noch immer ist es üblich, dass der Bewerber seinen Lebenslauf rezitiert, den sie schon vor sich haben. Deutlich sinnvoller ist ein strukturiertes Interview.
Noch immer ist es üblich, dass der Bewerber seinen Lebenslauf rezitiert, den sie schon vor sich haben. Deutlich sinnvoller ist ein strukturiertes Interview.
Foto: Aleksandar Malivuk - shutterstock.com

Für Bewerbende und neue Mitarbeitende stehen auch die Führungskräfte auf dem Prüfstand. Leider kommt es gar nicht so selten vor, dass sich die interessantesten Bewerber aus dem Einstellungsverfahren früh verabschieden; sie haben die besten Alternativen. Passiert das öfter, so hat das mit Ihrer Führung zu tun, denn HR allein kann es nicht richten. Vorstände und ihre Führungskräfte sind Schlüsselfiguren, wenn es um einen Neustart geht.

Der Erstkontakt zum Bewerber: kollegial, kompakt und konsequent

Schon beim Start kann einiges schiefgehen; denn nach einer aktuellen Forsa-Studie sagen 90 Prozent der Personalleitenden, dass Kandidaten im laufenden Verfahren abgesagt haben, bei 24 Prozent der Befragten sogar häufig bis sehr häufig. Gefragt ist Cleverness, die überzeugt.

Das bedeutet für Sie: Transparenz von Anfang an. Gehen Sie mit Bewerbern wenige, gut überlegte Schritte, und legen Sie für jeden Schritt ein Ziel fest; so geben Sie auch Bewerbern Orientierung. Ihr Einstellungsverfahren können Sie veröffentlichen, zum Beispiel auf der Karriere-Homepage. Für Bewerber wird der Start damit berechenbar. Ein Beispiel für einen gut gepflegten Praxisprozess zeigt die Tabelle.

Ein Musterprozess im Einstellungsverfahren.
Ein Musterprozess im Einstellungsverfahren.
Foto: Regina Bergdolt

Einstiegspunkte für das Erstgespräch

Voraussetzung klären. Klären Sie mit wenigen Fragen im Bewerbungsformular zentrale Voraussetzungen für die Stelle. Das können Sprachkenntnisse, Projekterfahrungen oder Gehaltsvorstellungen sein. Diese Basics gehören an den Anfang und bieten einen guten Einstiegspunkt für das Erstgespräch.

Klare Anforderung, aber nicht in Stein gemeißelt. Gestalten Sie Ihr Anforderungsprofil klar, aber nicht als Sammlung von Maximalvorstellungen. Sichten Sie Bewerbungen flexibel; bringt ein Bewerber andere, aber für das Unternehmen wichtige Erfahrungen mit, passen Sie Ihr Aufgabenportfolio an. So kommt das Beste aus beiden Welten zusammen.

Quick Apply nutzen. Ersparen Sie Bewerbern Umständlichkeit - bieten Sie Quick Apply an, also die Kurzbewerbung ohne umständliche Registrierung oder Kontoerstellung auf einem Bewerbertool. Dazu gibt es praxiserprobte digitale Lösungen.

Duzen baut Vertrauen auf? Prüfen Sie diese Hypothese. Professor Uwe Kanning hat dazu in seiner Studie festgestellt: Weder in der Stellenanzeige noch im Einstellungsinterview präferieren die Befragten ein Duzen. Vertrauen entsteht wohl eher durch Respekt und Aufmerksamkeit.

Machen Sie mehr aus dem Interview! Noch immer ist es üblich, dass der Bewerber seinen Lebenslauf rezitiert, den sie schon vor sich haben. Deutlich sinnvoller ist ein strukturiertes Interview. Führungskräfte fragen dabei nach konkreten Arbeitsstationen und lassen sich erläutern, wie Bewerber herausfordernde Situationen tatsächlich bewältigt haben. Das strukturierte Interview nutzt allen Beteiligten: Bewerber zeigen, was sie können, und Sie schätzen Bewerberkompetenzen realistisch ein.

Verhandeln als Mittel der Begegnung. Manche Bewerber mögen Vorstellungen oder Wünsche haben, die Ihnen unpassend erscheinen. Hier hilft das Harvard-Konzept für Verhandlungen; im Mittelpunkt stehen nicht Wünsche oder Forderungen, sondern Interessen. Warum ist es einem Bewerber beispielsweise wichtig, vier Tage zu arbeiten? Gibt es andere Möglichkeiten, seinen Bedürfnissen entgegen zu kommen? Und warum wäre es für Sie als Arbeitgeber eine große Herausforderung, diesem Wunsch zu entsprechen? Beidseitige Einsichten erleichtern es, die andere Seite zu verstehen, anstatt entnervt abzulehnen. Oft führt das zu Lösungen, die die Interessen beider Seiten berücksichtigen.

Last but not least: Sie selbst. Wissen Sie, wie Sie in Interviews wirken - und wenn ja, woher? Gerade obere Führungskräfte und Unternehmer erhalten eher selten Feedback zu ihrem Gesprächsverhalten. Leisten Sie sich ein Interviewtraining oder ein Coaching beim Auswahlprofi, das Ihnen weitere Sicherheit gibt!

Vertrag unterschrieben? - Jetzt kann noch viel passieren

Die Zeit nach der Vertragsunterzeichnung ist eine sensible Phase für die Mitarbeiterbindung. Oft pflegen Führungskräfte in dieser Zwischenzeit wenig Kontakt zu neuen Mitarbeitern - dieses Funkloch kann sich rächen. Nach einer Erhebung in den USA durch das Job-Portal Indeed haben 83 Prozent der Arbeitgeber schon "Ghosting" durch Bewerber erlebt. Das bedeutet, dass der Bewerber die Stelle gar nicht antritt und zu Arbeitsbeginn nicht mehr zu erreichen ist. Auch in Deutschland, so Experten, sei das Phänomen immer häufiger anzutreffen.

Dabei ist es keineswegs ungewöhnlich, dass ein Bewerber seine Job-Entscheidung nach Vertragsunterzeichnung in Frage stellt. Wenn ein Mitarbeiter die alte Stelle kündigt, passiert in seinem Umfeld oft eine Menge. Häufig bietet das bisherige Unternehmen sehr schnell eine alternative, attraktive Stelle oder eine Gehaltserhöhung an. Headhunter, mit denen der Bewerber schon einmal gesprochen hat, machen weitere, interessante Angebote. Nicht zu unterschätzen ist auch das private Umfeld des Bewerbers, das sich ebenfalls zur beruflichen Veränderung äußert, etwa nach dem Motto: Lebt es sich nicht besser mit der bisherigen Stelle?