"Neues Einfallstor in Unternehmensnetzwerke"
Wird der Firmenwagen also künftig zum bevorzugten Ziel für Hacker, Geheimdienste und Industriespione? Die COMPUTERWOCHE hat Matt Rahman, Chief Strategy Officer beim IT-Security-Anbieter IOActive, zum Thema befragt.
CW: Die Medienberichterstattung zum Thema Auto-Hacks hat sich in den letzten Wochen und Monaten verdichtet. Aber: Besteht eine echte Gefahr - insbesondere für Unternehmen? Welchen IT-Sicherheits-Problemen sollten sich Unternehmen bewusst sein?
MATT RAHMAN: Es besteht eine echte Gefahr für Unternehmen - speziell für die, deren Mitarbeitern eine Fahrzeugflotte zur Verfügung steht. Einerseits kann für Unternehmen die Sicherheit ihrer Angestellten zum Thema werden: Sollte ein Mitarbeiter aufgrund eines Hackerangriffs während der Fahrt verletzt werden - oder gar Schlimmeres - ist das Unternehmen dafür haftbar. Andererseits haben immer mehr Fahrzeuge Infotainment-Systeme an Bord, die die Koppelung eines Smartphones erlauben. Wenn Mitarbeiter dies in einem Flottenfahrzeug tun und dabei über ihre Smartphones auf das Unternehmensnetzwerk zugreifen können, könnten Hacker ebenfalls einen direkten Zugang erhalten.
CW: Flotten- und/oder Firmenwagen könnten also in Sachen Industriespionage die Hacker-Ziele der Zukunft sein?
RAHMAN: Definitiv. Ein Firmenwagen könnte wie erwähnt über das Mobile Device eines Mitarbeiters der das Auto bewegt, als neues Einfallstor in Unternehmensnetzwerke missbraucht werden. Vernetzte Fahrzeuge stellen für Hacker neue Angriffsvektoren dar, über die sie Angriffe starten können.
CW: Nehmen die Autohersteller die Security-Risiken bei Connected Cars nicht ernst genug?
RAHMAN: Dank der Forschungsarbeit in den letzten drei Jahren beginnen die Hersteller die Gefahren ernster zu nehmen. Natürlich gehört IT-Security nicht zu den nativen Geschäftsfeldern der OEMs, also wenden sie sich zum Beispiel an uns, um diese Probleme in den Griff zu bekommen.
CW: Welche Strategie sollten die Autohersteller verfolgen, um maximale Sicherheit in ihren Fahrzeugen zu gewährleisten?
RAHMAN: Sobald ein Hersteller den Bau eines vernetzten Autos plant, sollte er mit einem auf IT-Security spezialisierten Unternehmen kooperieren. Nur eine möglichst frühe Einbeziehung von Spezialisten gewährleistet, dass die IT-Security bereits in der Planungsphase bedacht und entsprechende Lösungen integriert werden. Das ist auch wesentlich effizienter als der Versuch, nachträglich Schutzmaßnahmen zu implementieren.
- Die Top 15 Hacker-Angriffe auf Unternehmen
Unternehmen weltweit rücken seit Jahren in den Fokus von Hackern und Cyberkriminellen. Identitäts- und Datendiebstahl stehen bei den Anhängern der Computerkriminalität besonders hoch im Kurs - kein Wunder, dass Cyber-Risk-Versicherungen immer mehr in Mode kommen. Wir zeigen Ihnen 15 der größten Hacking-Attacken auf Unternehmen der letzten Jahre. - Yahoo
Erst im September musste Yahoo den größten Hack aller Zeiten eingestehen. Nun verdichten sich die Anzeichen, dass dieselben Hacker sich bereits ein Jahr zuvor deutlich übertroffen hatten: Bei einem Cyberangriff im August 2013 wurden demnach die Konten von knapp einer Milliarde Yahoo-Usern kompromittiert. Dabei wurden Namen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern, Geburtsdaten und verschlüsselte Passwörter abgegriffen. - Dyn
Eine massive DDoS-Attacke auf den DNS-Provider Dyn sorgt im Oktober für Wirbel: Mit Hilfe eines Botnetzes – bestehend aus tausenden unzureichend gesicherten IoT-Devices – gelingt es Cyberkriminellen, gleich drei Data Center von Dyn lahmzulegen. Amazon, GitHub, Twitter, die New York Times und einige weitere, große Websites sind über Stunden nicht erreichbar. - Cicis
Auch die US-Pizzakette Cicis musste Mitte 2016 einen Hackerangriff eingestehen. Wie das Unternehmen mitteilte, wurden die Kassensysteme von 130 Filialen kompromittiert. Der Diebstahl von Kreditkartendaten ist sehr wahrscheinlich. Wie im Fall von Wendy's und Target gelang es Hackern auch bei Cicis Malware in das Point-of-Sale-Kassensystem einzuschleusen. Erste Angriffe traten bereits im Jahr 2015 auf, im März 2016 verstärkten sich die Einzelattacken zu einer groß angelegten Offensive. Nach eigenen Angaben hat Cicis die Malware inzwischen beseitigt. - Wendy's
Anfang Juli 2016 wurde ein Hacker-Angriff auf die US-Fastfood-Kette Wendy’s bekannt. Auf den Kassensystemen wurde Malware gefunden – zunächst war von weniger als 300 betroffenen Filialen die Rede. Wie sich dann herausstellte, waren die Malware-Attacken schon seit Herbst 2015 im Gange. Zudem ließ die Burger-Kette verlauten, dass wohl doch bis zu 1000 Filialen betroffen seien. Die Kreditkarten-Daten der Kunden wurden bei den Malware-Angriffen offenbar ebenfalls gestohlen. Wie im Fall von The Home Depot hatten sich die Hacker per Remote Access Zugang zum Kassensystem der Fast-Food-Kette verschafft. - Heartland Payment Systems
Noch heute gilt der 2008 erfolgte Cyberangriff auf das US-Unternehmen Heartland Payment Systems als einer der größten Hacks aller Zeiten wenn es um Kreditkartenbetrug geht. Heartland ist einer der weltweit größten Anbieter für elektronische Zahlungsabwicklung. Im Zuge des Hacks wurden rund 130.000.000 Kreditkarten-Informationen gestohlen. Der Schaden für Heartland belief sich auf mehr als 110 Millionen Dollar, die zum größten Teil für außergerichtliche Vergleiche mit Kreditkartenunternehmen aufgewendet werden mussten. Verantwortlich für den Hack war eine Gruppe von Cyberkriminellen. Deren Kopf, ein gewisser Albert Gonzalez, wurde im März 2010 wegen seiner maßgeblichen Rolle im Heartland-Hack zu einer Haftstrafe von 20 Jahren verurteilt. Heartland bietet seinen Kunden seit 2014 ein besonderes Security-Paket - inklusive "breach warranty". - Sony Playstation Network
Im April 2011 ging bei vielen Playstation-Besitzern rund um den Globus nichts mehr. Der Grund: ein Cyberangriff auf das digitale Serviceportal Playstation Network (PSN). Neben einer Ausfallzeit des PSN von knapp vier Wochen (!) wurden bei der Cyberattacke jedoch auch die Daten (Kreditkarteninformationen und persönliche Daten) von rund 77 Millionen PSN-Abonennten gestohlen. Sony informierte seine Nutzer erst rund sechs Tage über den Hack - und musste sich dafür harsche Kritik gefallen lassen. Die Kosten des PSN-Hacks beliefen sich auf circa 170 Millionen Dollar. Die Verantwortlichen wurden bislang nicht identifiziert. - Livingsocial.com
Die Online-Plattform Livinggsocial.com (inhaltlich vergleichbar mit Groupon) wurde im April 2013 Opfer eines Hacker-Angriffs. Dabei wurden die Passwörter, E-Mail-Adressen und persönlichen Informationen von circa 50 Millionen Nutzern der E-Commerce-Website gestohlen. Glücklicherweise waren die Finanzdaten von Kunden und Partnern in einer separaten Datenbank gespeichert. Die Verursacher des Security-Vorfalls wurden nicht identifiziert. - Adobe Systems
Mitte September 2013 wurde Adobe das Ziel von Hackern. Circa 38 Millionen Datensätze von Adobe-Kunden wurden im Zuge des Cyberangriffs gestohlen - darunter die Kreditkarteninformationen von knapp drei Millionen registrierter Kunden. Die Hacker die hinter dem Angriff standen, wurden nicht gefasst. - Target Corporation
Die Target Corporation gehört zu den größten Einzelhandels-Unternehmen der USA. Ende des Jahres 2013 musste Target einen Cyberangriff eingestehen, bei dem rund 70 Millionen Datensätze mit persönlichen Informationen der Kundschaft gestohlen wurden. Weitaus schwerer wog jedoch, dass unter diesen auch 40 Millionen Datensätze waren, die Kreditkarteninformationen und sogar die zugehörigen PIN-Codes enthielten. Für außergerichtliche Einigungen mit betroffenen Kunden musste Target rund zehn Millionen Dollar investieren, der damalige CEO Gregg Steinhafel musste ein halbes Jahr nach dem Hack seinen Hut nehmen. - Snapchat
Ein kleiner Fehler führte Ende Dezember 2013 dazu, dass Hacker die Telefonnummern und Nutzernamen von 4,6 Millionen Snapchat-Usern veröffentlicht haben. Snapchat selbst geriet darauf ins Kritikfeuer von Nutzern und Sicherheitsforschern, denn wie so oft war die Ursache für die Veröffentlichung der Daten ein Mangel an Sicherheitsvorkehrungen. Die von Hackern verursachten Probleme sind jedoch meist weniger schlimm als der Schaden, der nach der Veröffentlichung folgt. Auch wenn man seinen Nutzernamen oder seine Telefonnummer nicht als großes Geheimnis ansieht – ein motivierter Angreifer wie ein Stalker oder ein Identitäts-Dieb könnten mit diesen Daten Übles anrichten. Dieser Hack zeigt wiederum, dass alle Daten wichtig sind - vor allem wenn sie den Nutzern gehören. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Entwickler von Snapchat diesen Sicherheitsfehler gerne vor den Hackern gefunden hätten. - Ebay Inc.
Im Mai 2014 wurde Ebay das Ziel von Cyberkriminellen. Zwar wurden bei der Attacke keine Zahlungsinformationen entwendet - dafür aber E-Mail-Adressen, Usernamen und Passwörter von knapp 145 Millionen registrierten Kunden. Die Hacker erlangten scheinbar über von Ebay-Mitarbeitern gestohlene Logins Zugriff auf die Datenbanken des Unternehmens. Die Verantwortlichen wurden nicht identifiziert. - J.P. Morgan Chase
Mit J.P. Morgan rückte im Juli 2014 eine der größten US-Banken ins Visier von Cyberkriminellen. Rund 83 Millionen Datensätze mit Namen, Adressen und Telefonnummern von Kunden fielen den Hackern in die Hände. Zugang erlangten die Kriminellen offensichtlich über gestohlene Login-Daten eines Mitarbeiters. Allerdings musste sich J.P. Morgan den Vorwurf gefallen lassen, seine Systeme nicht ausreichend zu schützen. Inzwischen wurden in den USA und Israel vier Personen festgenommen, die mutmaßlich an diesem Hack beteiligt waren. - The Home Depot
Die US-Baumarktkette The Home Depot wurde im September 2014 Opfer eines besonders hinterhältigen Hacks. Cyberkriminelle hatten es geschafft, Malware in das Kassensystem von über 2000 Filialen einzuschleusen. Die Folge davon: 56 Millionen Kreditkarteninformationen von Bürgern der USA und Kanada wurden direkt bei der Zahlung in den Home-Depot-Geschäften entwendet. Darüber hinaus fielen auch noch 53 Millionen E-Mail-Adressen in die Hände der Hacker. Der Schaden für das US-Unternehmen wird auf rund 62 Millionen Dollar beziffert. - Anthem Inc.
Anthem gehört zu den größten Krankenversicherern der USA. Im Februar 2015 gelang es Cyberkriminellen, persönliche Daten von circa 80 Millionen Kunden zu stehlen. Die Datensätze enthielten Sozialversicherungsnummern, E-Mail-Adressen und Anschriften. Darüber hinaus wurden auch Gehaltsinformationen von Kunden und Angestellten entwendet. Immerhin: Medizinische Daten sollen nicht betroffen gewesen sein. Verschiedenen Security-Experten zufolge führt die Spur des Hacks nach China. - Ashleymadison.com
Anschriften, Kreditkartennummern und sexuelle Vorlieben von circa 40 Millionen Usern hat eine Hackergruppe namens Impact Team im August 2015 nach einem Cyberangriff auf das Seitensprung-Portal Ashley Madison öffentlich gemacht. Der Angriff bewies, dass Ashley Madison nicht – wie eigentlich versprochen – persönliche Informationen der Nutzer gegen eine Gebühr löschte. Das erbeutete 30-Gigabyte-Paket beinhaltete insgesamt 32 Millionen Datensätze, darunter 15.000 Regierungs- und Militäradressen von Nutzern. Auch Teile des Seitenquellcodes und interne E-Mails der Betreiber lagen dadurch offen. Aufgrund der intimen Nutzerdaten und der geheimnisvollen Natur von Ashley Madison ist dieser Hackerangriff besonders heikel. Dass die Betreiber persönliche Daten auch auf Wunsch nicht vernichtet haben, zeigt ein Problem von Unternehmen, die personenbezogene Daten auf verschiedenen Systemen verarbeiten. Aber auch solche Unternehmen müssen Nutzerinformationen gegen Gefahren schützen – ganz gleich, ob die Gefahr von externen Hackern, böswilligen Insidern oder zufälligen Datenverlusten ausgeht. Ein Ashleymadison-User hat inzwischen vor einem Gericht in Los Angeles Klage gegen Avid Life Media eingereicht. Der Vorwurf: fahrlässiger Umgang mit hochsensiblen Daten. Ein Antrag auf Sammelklage ist ebenfalls bereits eingegangen. Sollte das Gericht diesem folgen, könnten ALM Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe ins Haus stehen.
Höchste Zeit zum Umdenken in der Autobranche
Das führt zu der Frage, wie die Autoindustrie und seine dominierenden Player künftig mit dem Thema IT-Security in vernetzten Fahrzeugen umgehen werden. Bislang bekleckern sich die OEMs nicht mit Ruhm - im Gegenteil: In den USA versuchen GM und der weltgrößte Hersteller von Landwirtschaftsmaschinen, John Deere, im April 2015 das amerikanische Urheberrechts-Gesetz DMCA (Digital Millenium Copyright-Act) so umzudeuten, dass sich in der Konsequenz auch Wissenschaftler und Security-Forscher mit Arbeiten wie dem "Jeep-Hack" strafbar machen würden.
An einem offenen, konstruktiven Diskurs über die IT-Sicherheit ihrer Fahrzeuge und Systeme scheinen manche Hersteller also wenig bis gar nicht interessiert. Das zeigt nicht nur das Verhalten von General Motors, und John Deere, sondern auch das Vorgehen von VW beim "Wegfahrsperren-Hack". Natürlich ist aus Herstellersicht die Angst vor Reputationsschäden nachvollziehbar, falls schwerwiegende Sicherheitslücken in ihren Fahrzeugen an die Öffentlichkeit gelangen. Dass die "Verteufelung" der (White-Hat)-Hacker-Szene aber nicht zielführend ist, hat man im Laufe der 1990er Jahre bereits in der IT-Branche erkennen müssen. Inzwischen rekrutieren die Tech-Unternehmen Hacker als Security-Spezialisten - nutzen sie also als "Watch Dogs". Es ist derselbe Weg, den nun offensichtlich auch Tesla gehen möchte: Security-Forscher werden mit Bug-Prämien dafür belohnt, dass sie Schwachstellen im System finden und dieses so sicherer machen. Dadurch muss der Eindruck entstehen, dass Tesla offener und ernsthafter mit dem Thema IT-Sicherheit umgeht als seine Konkurrenten. Aber: die Branche bewegt sich: "Over-the-air"-Software-Updates gehören mittlerweile bei einigen Herstellern (zum Beispiel BMW und Ford) zum guten Ton, GMs Luxusmarke Cadillac beschäftigt bereits seit September 2014 einen "Chief Product Cybersecurity Officer" und die deutschen Premium-Autobauer BMW, Audi und Daimler suchen derzeit händeringend nach IT-Spezialisten - nicht nur im Security-Bereich.
Auch Fiat Chrysler hat inzwischen - in Kooperation mit BugCrowd - ein Bug-Prämien-Programm gestartet, das zwischen 150 und 1500 Dollar Belohnung für das Auffinden von Sicherheitslücken vorsieht. Titus Melnyk, Security-Architekt bei FCA, dazu: "Wir wollen unabhängige Sicherheitsforscher dazu ermutigen, sich mit uns in Verbindung zu setzen und ihre Erkenntnisse mit uns zu teilen. Nur so können wir potenzielle Sicherheitslücken schließen, bevor sie für unsere Kunden relevant werden."
Sie wollen mehr Infos zum Thema IT-Security bei Connected Cars? Wir haben die aufsehenerregendsten Auto-Hacks des Jahres 2015 für Sie zusammengefasst. Außerdem zeigen wir Ihnen auch, welche IT-Sicherheitslösungen künftig bei vernetzten Autos zum Einsatz kommen könnten.
Mit Material von IDG News Service.