Robotic Process Automation (RPA) kann nicht nur von Arbeitsaufgaben entlasten, sondern auch die Prozessqualität verbessern, menschliche Fehler minimieren, die Compliance optimieren und das Dienstleistungsportfolio eines Unternehmens erweitern. Für eine erfolgreiche Implementierung müssen jedoch Technologie, Prozesse und Mitarbeiter miteinander abgestimmt werden. Das Reifegradmodell bietet einen evolutionären Pfad zur Verbesserung des Einführungsprozesses bei Automatisierungsinitiativen.
Viele Unternehmen glauben fälschlicherweise, dass sie einfach nur mit der Automatisierung starten müssen - und dann wird alles reibungslos funktionieren. Um sicherzustellen, dass die Prozessautomatisierung im Einklang mit der Digitalisierungsstrategie des Unternehmens steht und sich dort schrittweise einfügt, empfiehlt sich für eine erfolgreiche RPA-Implementierung ein konkreter Vier-Stufen-Plan.
Die vier Reifegrade stellen eine praktische Orientierungshilfe dar, um eine geeignete Grundlage für die Organisation, Infrastruktur und den Betrieb von Bots zu schaffen. Sie helfen dabei, bewährte Verfahren bei der Entwicklung und Implementierung von Bots zu definieren und einzuhalten. Außerdem unterstützen sie bei der Umsetzung eines effektiven Monitoring-, Support- und Wartungskonzepts sowie bei der Integration der Bots in die Enterprise-Architektur. Das Reifegradmodell beschreibt die einzelnen Entwicklungsstufen für eine organisationsweite Prozessautomatisierung und bietet eine Methodik für eine erfolgreiche und skalierbare Implementierung.
- Markoss Martina, ABBYY
„Oftmals wurde durch Automatisierung ein zu erwirtschaftender Wert versprochen. Weil die Umsetzung nicht konsequent erfolgte, wurde das Ergebnis aber nicht erreicht. Darunter hat die Automatisierung ein wenig gelitten. Man muss durch Process Discovery die richtigen Use-Cases finden, durch Fachkräfte und die Einbindung unterschiedlicher Fachbereiche die Lösung aufbauen und implementieren und dann durch eine starke Ausnutzung der Vorteile sicherstellen, dass die vereinbarten Ziele auch realisiert werden. Das wäre ein kritischer Erfolgsfaktor für eine intelligente Automatisierung.“ - Gerd Plewka, Blue Prism
„Es geht nicht nur darum, mit Automatisierung bestehende Prozesse zu optimieren. Firmen müssen mittelfristig einen Baukasten von Werkzeugen haben, mit dem sie neue Prozesse umsetzen können. Sei es mit intelligenter Automatisierung (gerne als „as-a-Service“) oder auch, dass Teile der Prozesse outgesourced werden. In dem Moment, wo neue Prozesse angedacht werden oder Prozesse neu gestaltet werden, sollte Automatisierung ein Baustein sein, der selbstverständlich bei der Neugestaltung hilft. Diese Sichtweise muss weiter nach oben getragen werden.“ - Dr. Marie-Luise Menzel, Lufthansa Industry Solutions
„Im Change-Management wird Automatisierung gerne so dargestellt, als müsse man nur einmal auf den Berg klettern und dann hat man es geschafft. Das ist leider nicht so: Automatisierung ist ein Marathonlauf, ein kontinuierliches Thema, welches jedes Unternehmen bis in die ferne Zukunft begleiten wird. Häufig werden in Unternehmen momentan auch sehr komplexe Prozesse mit einem großen Anteil von mündlich vereinbarten Regeln gelebt. Für eine Automatisierung muss man dann aber stark in eine etablierte Struktur eingreifen: standardisieren und formalisieren. Wenn einzelne kleine Automatisierungs-Piloten schon loslaufen, um informale Prozesse für sich zu schärfen und sich auf Standards einigen, dann ist das ein ziemlich guter Input, um auf der großen Unternehmensebene eine Automatisierungsstrategie erfolgreicher zu machen.“ - Dr. Gregor Scheithauer, metafinanz
„Wir beobachten, dass Standardprozesse zum großen Teil bereits automatisiert sind. Für den nächsten Automatisierungssprung müssen wir zwei Herausforderungen angehen: Prozessautomatisierungen müssen resilienter werden. Die Maschinen sollen auch auf ungenaue, unerwartete oder unvollständige Eingaben reagieren, um Unterbrechungen zu vermeiden. Zweitens: Unternehmen sollten ihre Prozesse grundsätzlich neu und anders denken. Ganz im Sinne einer schöpferischen Zerstörung. Intelligente Automatisierung heißt, Prozesse aus der Perspektive der Kund:innen zu denken und auf völlig neue Möglichkeiten zu setzen.“ - Frank Steinhoff, Microsoft
„Technologie ist Mittel zum Zweck, um Unternehmen standhafter zu machen und die Menschen besser arbeiten zu lassen. Neben Produktivität und Effizienz hat das auch mit der Fähigkeit der Menschen zu tun, also Ausbildung und Training. Oft wird vergessen, Menschen bei Veränderungen zu begleiten. Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig, sich mit Menschen, Kulturen und Organisationen intensiv zu beschäftigen, bevor man neue technologische Ansätze nutzt.“ - Chris Karagiannis, NICE
„Sobald ein neues System kommt, ist die Automatisierung mit RPA obsolet und muss, im besten Fall, grundlegend angepasst werden. Von daher ist RPA als Werkzeug eigentlich das letzte Mittel, das man einsetzen sollte. Vor allem wenn man die Möglichkeit hat, ein bestehendes System für die eigenen Zwecke zu optimieren, und damit die Automation in erster Linie als Assistenz für den Mitarbeiter, über alle Prozesse einsetzen zu können. Das ist für mich der Königsweg. Von daher sollte die Zuständigkeit für die Automation auch beim CDO liegen. Er hat den Überblick darüber, was in den nächsten Jahren passieren wird, und weiß, für welche Lücken tatsächlich, eine Automation vor allem aber welche Art der Automation sinnvoll wäre.“ - Cosima von Kries, Nintex
„Viele machen Automatisierung, damit automatisiert ist. Das ist aber nicht die Lösung, denn Mitarbeitende machen ein und denselben Prozess ja nicht gleich. Für mich liegt die Intelligenz einer Intelligent Automation bereits in der Ermittlung von automatisierbaren Prozessen. Eine KI kann sehr gut erkennen, nach welchem Schema Prozesse ablaufen, bis zu welchem Grad sie sich automatisieren lassen und welche Zeitersparnis eine Automatisierung bringen würde. Da aber auch DSGVO, Security, Compliance und Dokumentation eine Rolle spielen, reden wir bei Intelligent Automation nie von heut auf morgen.“ - Christian Heinrichs, UiPath
„Gerade in Deutschland müssen wir aufpassen, dass wir Digitalisierung und Automatisierung nicht mit Dokumentation und Compliance-Diskussionen ersticken. Beides sind wichtige Komponenten, aber viele Unternehmen und der öffentliche Sektor tendieren dazu, zu lange zu diskutieren, statt konkrete Abläufe zu optimieren und zu automatisieren. Digitalisierungsziele bringen den größten Nutzen, wenn sie von der Führungsebene gesetzt und auch gemessen werden. Sonst automatisieren IT-affine Mitarbeiter in Fachbereichen Arbeitsschritte ohne Berücksichtigung von Compliance und Sicherheit und ohne Skalierungseffekte. Es gilt eine gesunde Balance zwischen den Zielen, Anforderungen und der Umsetzung von Digitalisierungen zu finden, die sich mit Hilfe einer unternehmensweiten Business Automation Plattform erreichen lässt.“
Reifegrad 1: RPA-Evaluierung und Bewertung
Zu Beginn der RPA-Reise sind Unternehmen gut beraten, sich mit der RPA-Technologie durch einen Alignment-Workshop vertraut zu machen. Anschließend wird ein RPA-Assessment durchgeführt, um die Möglichkeiten und Einsatzfelder von RPA auszuloten. Es wird evaluiert, ob und inwieweit RPA in der Organisation sinnvoll ist, ob ein ausreichendes Transaktionsvolumen vorhanden ist und welchen Mehrwert die Automatisierungsinitiative bietet. Die Ergebnisse werden in einem Bewertungsbericht festgehalten.
Prozessaufnahme und -dokumentation
Jede Automatisierungsinitiative startet mit der Identifikation der geeigneten RPA-Kandidaten. Anschließend erfolgt die Aufnahme und Dokumentation der Prozesse durch sogenannte Klickstrecken, die jeden einzelnen Prozessschritt abbilden. Die Sachbearbeiter sollten dabei befähigt werden, Prozesse eigenständig aufzunehmen. Nach der Bewertung der aufgenommenen Klickstrecken wird ein detaillierter Ablaufplan erstellt und ein grober Projektplan für den nächsten Reifegrad skizziert.
In dieser Phase werden auch Schlüsselkriterien und Key Performance Indicators (KPIs) erarbeitet und festgelegt, eine Business-Case-Berechnung für jeden Prozess durchgeführt, ein Process Design Document (PDD) für jeden Prozess erstellt und entsprechende Dokumentations- und Sicherheitsanforderungen definiert. Darüber hinaus erfolgt die Auswahl der Prozesse für die Pilotierung.
Anbieterauswahl
Im Rahmen der Anbieterauswahl empfiehlt es sich, eine Liste der Top-30-Kandidaten beziehungsweise RPA-Tools zu erstellen, um diese systematisch testen und bewerten zu können. Zuvor müssen jedoch die Testkriterien festgelegt, die Infrastruktur geprüft und die entsprechenden Anforderungen dokumentiert werden. Dazu gehört auch die Klärung und Festlegung der Admin-Berechtigungen für Test-VMs, des Netzwerkzugangs für Testlizenzen und der Benutzerrechte für die benötigten Systeme.
Alle Schritte sollten möglichst in einem Projektplan, einer Checkliste "RPA-Kandidaten", einer Dokumentation der Klickpfade, der Definition von Sicherheits- und Dokumentationsanforderungen sowie einem Bewertungsbericht dokumentiert werden.
Reifegrad 2: Pilotierung
Wenn der Reifegrad 2 erreicht ist, kann die Pilotierung beginnen. Am Anfang wird es in aller Regel um eine hybride Form der Prozessautomatisierung gehen, bei der die Mitarbeiter die Zusammenarbeit von Mensch und Software-Roboter aktiv steuern, um Unterstützung zu erhalten. Es hat sich als sehr erfolgreich erwiesen, anfangs ein bis drei "Quick Win"-Prozesse als Piloten aufzusetzen.
Zeit- und Budgetschätzung
Um das Projekt vorzubereiten, muss zunächst eine Zeit- und Budgetabschätzung durchgeführt werden. Softwareentwicklungsprozesse, Revisionsanforderungen und IT-Sicherheitsstandards sollten überprüft und abgestimmt werden. Darüber hinaus ist es wichtig, ein Konzept für die Ausfallsicherheit zu entwickeln.
Auf technischer Ebene sind Zugänge und Systeme bereitzustellen, die Infrastruktur zu prüfen und entsprechende Systeme zu implementieren sowie ein technisches Prozessmodell zu erstellen. Auf der personellen Ebene muss ein Projektteam zusammengestellt und ein Projektplan erstellt werden. Im Kick-off-Meeting, dem offiziellen Start des Automatisierungsprojektes, informiert der Projektleiter über die wesentlichen Details, Rahmenbedingungen und Anforderungen des Projektes.
Go-Live des Pilotprojekts
Beim Go-Live des Pilotprojekts wird zunächst ein Diagramm des Prozesses angefertigt und der Prozess anschließend automatisiert. Testfälle werden erstellt und der Bot wird implementiert, um ihn in der Produktionsumgebung live zu schalten. In der Hypercare-Phase werden die anforderungsspezifischen Details des Dashboards definiert und installiert.
In dieser Phase werden die Prozesse auf Stabilität überwacht und die Bug Reports verfolgt. Nach der Definition der Service Levels und der Installation einer entsprechenden Infrastruktur zur Schulung der betroffenen Mitarbeiter wird diese Reifephase mit der Abnahme des Piloten abgeschlossen.
- Niklas Bläsing, CGI
"Change Manager stiften schon dadurch einen Mehrwert, dass sie unbequeme Fragen stellen. Es braucht jemanden, der immer wieder auf das “große Ganze” hinweist. Der externe Blick von Beratern kann hier oft einen Unterschied machen." - Julian Beckers, Ciklum
"Die Definition von “Intelligent Automation” ist gerade noch relativ offen. Für mich ist es die Überwindung der Frage: “Human-centric oder system-centric?” durch einen “Logic-centric”-Ansatz, bei dem das automatisierte Treffen von Entscheidungen im Mittelpunkt steht." - Matthias Bauer, Instabase
"Vor allem das erste Automationsprojekt steht oft vor gewissen regulatorischen Hürden. Sind diese einmal überwunden, ist der Weg frei für weitreichende Modernisierung." - Tobias Schicht, Leadvise Reply
"Ohne Center of Excellence (COE) geht es nicht. Natürlich sind zu Beginn eines Projektes oft Externe dabei. Dauerhaft ist ein Team auf Unternehmensseite erforderlich, das sich mit dem Thema identifiziert. Nur so lässt sich die nötige Fürsprache für weitere, komplexere Projekte unternehmensweit erreichen." - Jörg Petzhold, Matrix42
"Gewisse Workflow-gesteuerte Prozesse sind heute schon intelligent und bieten genug Anknüpfungsmöglichkeiten für Automatisierungsstrategien. Ein Beispiel wäre die automatische Erkennung gleichartiger Tickets, was das Aufkommen deutlich reduziert. Die Kernfrage, die es zu beantworten gilt, ist: Wo im Workflow automatisiere ich sinnvoll?" - Florian Lauck-Wunderlich, Pegasystems
"Die Grundfrage bei der Nutzung von Intelligent Automation sollte immer lauten: “Was möchte ich konkret lösen oder erreichen und unter welchen Rahmenbedingungen?” Je nach Antwort gibt es ganz unterschiedliche Lösungsansätze, Methoden und Tools im Wekzeugkasten."