Microsoft zeigt wieder Zähne

Schluss mit dem Kuschelkurs

17.04.2023
Von  und
Preston Gralla ist Redakteur bei Computerworld, Blogger bei ITworld und Autor von mehr als 45 Büchern, darunter "NOOK Tablet:The Missing Manual" (O'Reilly 2012) und "How the Internet Works" (Que, 2006).
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Seit über neun Jahren führt Satya Nadella Microsoft (55) - mit ruhiger Hand und im Einklang mit den Gesetzen. Doch jetzt nehmen Regierungen und Kartellbehörden den Konzern wieder ins Visier.
Microsofts Seele wiederentdecken - das will Satya Nadella mit seinem Buch. Er scheint dabei auf erhebliches Aggressionspotenzial gestoßen zu sein.
Microsofts Seele wiederentdecken - das will Satya Nadella mit seinem Buch. Er scheint dabei auf erhebliches Aggressionspotenzial gestoßen zu sein.
Foto: Somphop Krittayaworagul - shutterstock.com

Mit Nadella übernahm 2014 ein im Konzern allseits beliebter Techie und Cloud-Spezialist das Ruder. Die Zeiten des exzentrischen Steve Ballmer, der Linux als "Krebsgeschwür" bezeichnete und beispielsweise für Flops wie Windows Phone, Vista oder den gescheiterten Übernahmeversuch von Yahoo steht, waren endlich zu Ende. Der neue CEO spielte lieber mit den Wettbewerbern, als sie zu zerstören, und er suchte den Schulterschluss mit der Open-Source-Bewegung.

Die neue Linie zahlte sich aus. Die Behörden ließen Microsoft weitgehend in Ruhe, wirtschaftlicher Erfolg stellte sich ein und der Börsenwert stieg - nicht zuletzt dank der großen Erfolge als Cloud-Provider - sprunghaft an. Microsoft ist heute mit 2,14 Billionen Dollar bewertet. Nur Apple bringt mit einer Marktkapitalisierung von 2,59 Billionen Dollar noch mehr auf die Waage (Stand: 13.4.2023).

Regierungen sind alarmiert

Doch Microsoft hat sich nun offenbar entschieden, wieder mit härteren Bandagen zu kämpfen. Regierungen auf der ganzen Welt werfen dem Unternehmen mittlerweile Verstöße gegen das Kartellrecht vor, reichen Klagen ein, erwägen Geldstrafen in Höhe von Hunderten von Millionen Dollar und schlagen Vorschriften vor, die Microsoft zu einer drastischen Änderung seiner Geschäftspraktiken zwingen sollen.

Die Klagen richten sich etwa gegen den geplanten (weiteren) Vorstoß des Unternehmens in den Gaming-Bereich, den die Übernahme von Activision Blizzard zur Folge haben dürfte, wenn sie denn genehmigt wird. Auch gegen Microsofts Versuch, die Cloud-Dominanz in Europa für weitere Geschäfte zu nutzen, gehen die Behörden vor, ebenso gegen den aggressiven Vorstoß im Bereich künstliche Intelligenz.

Cloud- und Gaming-Monopole befürchtet

Doch der Reihe nach. Im Januar 2022 kündigte Microsoft an, den Gaming-Spezialisten Activision für 68,7 Milliarden Dollar übernehmen zu wollen. Sollte das Geschäft zustande kommen, wäre dies der größte Deal im Bereich der Unterhaltungselektronik seit dem Kauf von Time Warner durch AOL vor zwei Jahrzehnten.

Der Konjunktiv ist hier allerdings zu betonen, reichte doch im Dezember 2022 die US-Handelsbehörde Federal Trade Commission (FTC) Klage ein, um die Übernahme zu verhindern. Holly Vedova, Direktorin des Bureau of Competition der FTC, erklärte: "Microsoft hat bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass es seinen Konkurrenten im Gaming-Sektor Inhalte vorenthalten kann und wird. Wir werden Microsoft daran hindern, die Kontrolle über ein führendes unabhängiges Spielestudio zu erlangen und damit den Wettbewerb gleich in mehreren dynamischen und schnell wachsenden Spielemärkten zu schädigen."

Doch die Activision-Klage ist nicht Microsofts einziges Problem. Das Unternehmen sieht sich mit mehreren behördlichen Ermittlungen konfrontiert, die sich gegen den Wachstumsmotor des Unternehmens richten: die Cloud. Vor allem in Europa wird die Luft dünner: Vor einem Jahr begann die Europäische Union, Microsofts Cloud-Geschäftspraktiken zu untersuchen, als mehrere europäische Cloud-Anbieter, darunter NextCloud in Deutschland und OVHcloud in Frankreich, dem Unternehmen wettbewerbswidriges Verhalten vorwarfen.

Setzt Microsoft kleinere Cloud-Wettbewerber unter Druck?

In einem Schreiben der EU-Ermittler an das Unternehmen hieß es: "Der Kommission liegen Informationen vor, wonach Microsoft seine potenziell marktbeherrschende Stellung auf bestimmten Softwaremärkten nutzen könnte, um Wettbewerber bei bestimmten Cloud-Computing-Diensten auszuschließen." Konkret: Die Cloud-Anbieter zeigten sich verärgert, weil Microsofts Softwarekunden in der Azure-Cloud weniger zahlen sollten als in den Cloud-Umgebungen der Wettbewerber. Entsprechende Veränderungen soll Microsoft 2019 an seinen Outsourcing-Lizenzverträgen vorgenommen haben, beklagte die Association of Cloud Infrastructure Service Providers (CISPE), die die Beschwerde eingereicht hatte.

Auf der Grundlage der Untersuchung nahm Microsoft im Oktober 2022 Änderungen an der Lizenzierung vor, die diese Probleme beheben sollten. Den Wettbewerbern reicht das aber nicht aus. Der Generalsekretär von CISPE, Francisco Mingorance, erklärte Ende vergangenen Jahres: "Indem Microsoft seine Dominanz bei Produktivitätssoftware ausnutzt, schränkt es die Auswahl ein und treibt die Kosten in die Höhe, wenn europäische Kunden in die Cloud wechseln wollen. So verzerrt Microsoft die digitale Wirtschaft in Europa."

Der Softwaregigant nutze seine Dominanz mit den Betriebssystemen Windows 10 und 11 aus, um europäische Unternehmen und Kunden an die Azure-Cloud-Infrastruktur und die OneDrive-Speicherplattform des Unternehmens zu binden, so die CISPE. Diese Behauptung erinnert auf fatale Weise an die US-Kartellklage der 1990er Jahre, als Microsoft ebenfalls vorgeworfen wurde, seine Betriebssystem-Dominanz zur Eroberung anderer Geschäftsfelder zu nutzen. Bislang hat die EU noch nicht über die Beschwerde entschieden.

Dass die steigende Abhängigkeit der Kunden von Microsoft kein Spaß ist, dürften die Unternehmen in den vergangenen Tagen gemerkt haben: Seit Anfang April 2023 zahlen Unternehmenskunden im Euroraum durchschnittlich um elf Prozent mehr für Microsofts Cloud-Produkte wie Azure, OneDrive und Office 365 inklusive Teams. Das Unternehmen hat seine Preise jetzt weltweit an den Kurs des US-Dollars geknüpft. Microsoft wisse, dass die Kunden keine andere Wahl hätten und zahlen müssten, schimpft CISPE-Sprecher Mingorance.