Deutsche Unternehmen im europäischen Vergleich weit abgeschlagen

Schlechte Working Capital-Werte führen zu Wettbewerbsnachteilen

06.08.2015
Von 


Paul Moody ist als Direktor bei REL, einer Tochter der Hackett Gruppe, verantwortlich für die Projektentwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Schwerpunkte sind unter anderem Working Capital und Supply Chain Optimierung.
Bei Europas Großunternehmen liegen 1,1 Billionen Euro an ungenutzter Liquidität brach, bei deutschen Unternehmen 241 Milliarden und im DAX-Sektor 191 Milliarden. Deutsche Unternehmen sind zwar führend in Europa, schneiden beim Working Capital aber schlecht ab. Die Kluft zwischen Spitzenunternehmen und dem Durchschnitt ist bei deutschen Unternehmen extrem groß.

Deutsche Großunternehmen haben im Geschäftsjahr 2014 ihr Working Capital, also ihr Umlaufvermögen, um 3,1 Prozent verschlechtert. Die in der aktuellen REL-Studie analysierten 112 produzierenden deutschen Unternehmen wiesen 2014 eine Kapitalbindungsdauer (CCC) von durchschnittlich 50,2 Tagen gegenüber dem Vorjahr mit 48,7 Tagen auf. Die 25 produzierenden DAX-Unternehmen lagen 2014 mit 54,8 Tagen CCC gegenüber dem deutschen Unternehmensdurchschnitt um 4,6 Tage schlechter.

Die DAX-Companies können aufgrund ihrer finanziellen Kraft relativ schnell zahlen und sich dadurch attraktive Skonti sichern.
Die DAX-Companies können aufgrund ihrer finanziellen Kraft relativ schnell zahlen und sich dadurch attraktive Skonti sichern.
Foto: Bloom Design, Shutterstock.com

Insgesamt, das ergab die kürzlich veröffentlichte Working Capital-Studie von REL, in der 947 europäische Unternehmen (ohne Finanzsektor) untersucht wurden, liegen knapp 1,1 Billionen an Liquiditätspotential brach, die durch Optimierung der Kenngrößen CCC, DIO, DSO und DPO erschlossen werden könnten. Bei den 112 untersuchten deutschen Großunternehmen liegt dieses Potenzial bei 241 Milliarden Euro und bei den 25 DAX-Unternehmen beträgt die brachliegende Liquidität immerhin noch 191 Milliarden Euro.

Im europäischen Vergleich liegen die deutschen Unternehmen weit abgeschlagen: Der europäische Durchschnitt der 947 untersuchten Großunternehmen brachte es 2014 auf einen CCC-Wert von 34,8 Tagen gegenüber dem Vorjahr von 36,9 Tagen. Damit liegt der europäische Durchschnitt 2014 also um über 15 Tage besser als die durchschnittlichen deutschen Unternehmen.

Dieser enorme Unterschied liegt an mehreren Faktoren: Deutsche Unternehmen wuchsen 2014 am schnellsten in Europa und dank der unglaublich günstigen Kredite wurde die Optimierung des Umlaufvermögens zweitrangig. Zudem hat in Deutschland das Skonto bei frühzeitiger Zahlung Tradition und Deutschland hat erst im vergangenen Jahr - und damit relativ spät - die EU Late Payment Directive zum Gesetz gemacht.

Die europäischen Unternehmen zahlen ihre Rechnungen im Schnitt nach 63,1, die deutschen Unternehmen bereits nach 51,4 Tagen, DAX-Unternehmen sogar schon nach 48,6 Tagen. Und: Die deutschen Unternehmen stehen in Europa einzig da, was die Mischung der sehr kapitalintensiven Produktion und die Fertigungstiefe angeht. Das aber bedingt auch eine intensive und auf größere zeitliche Reichweite ausgelegte Lager- und Vorratswirtschaft, die mehr und länger Kapital bindet.

Vorteile können sich zu Nachteilen wandeln

Die ungünstigen DPO-Werte der DAX-Unternehmen erklären sich so: Die DAX-Companies können aufgrund ihrer finanziellen Kraft relativ schnell zahlen und sich dadurch attraktive Skonti sichern. Die anderen deutschen Unternehmen generieren mit Hilfe der längerfristigen Zahlungsziele günstige Kreditlinien. Zudem waren die deutschen und die DAX-Unternehmen auch 2014 führend, was Wachstum, Rentabilität, Gewinne und Exporterfolge anging. Aber: Bei schlechteren Rahmenbedingungen und einer neuerlichen Finanz- und Wirtschaftskrise kann sich die im europäischen Vergleich negative Working-Capital-Performance aber durchaus als kritischer Wettbewerbsnachteil auswirken.

Wie breit gefächert das Liquiditätspotential bereits erschlossen oder noch erschließbar ist, zeigt ein Blick auf einige:

Deutsche Protagonisten der Schlüsselindustrien

Spitzenreiter ist BMW mit einer Kapitalbindungsdauer von 41 Tagen, während Fiat Chrysler europaweit mit nur 23 Tagen führt. Volkswagen hat einen CCC-Wert von 55 und Daimler bildet das Schlusslicht mit 68 Tagen.
Unter den deutschen Unternehmen führt die Leoni AG mit 33 Tagen CCC, die Hella KGaA braucht 48 und Schaeffler benötigt 76 Tage, um Cash in Cash plus Profit umzuwandeln. Die schweizer Autoneum Holding schafft das in nur vier Tagen.
Der Durchschnitt der deutschen Unternehmen hat von 2013 auf 2014 den CCC-Wert um etwas über zehn Prozent von 75 auf 83 Tage verschlechtert. Schuld daran war vor allem die von 64 auf 71 Tage erhöhte Bestandsreichweite der Lager wegen der Planung neuer Chemiefabriken und angewachsener Gasvorräte wegen des warmen Winters. Mit 17 Tagen Kapitalbindungsdauer hält die Linde AG die Spitze, die Symrise AG benötigt 154 Tage und liegt damit weit abgeschlagen.
Die RWE AG erreichte 2014 einen CCC-Wert von 8 Tagen, während EON SE eine Kapitalbindungsdauer 2014 von 43 Tagen aufwies.

Dass generell Liquiditätspotentiale erfolgreich und konsequent genutzt werden können belegt die REL-Studie eindrucksvoll: In Deutschland erreichen die Spitzenunternehmen des statistischen 1. Quartils einen CCC-Wert von 31,2 Tagen gegenüber dem Mittelwert aller produzierenden deutschen Unternehmen von 74,6 Tagen. Sie liegen also um 58 Prozent besser.

Wie das möglich ist, zeigen die Einzelbereiche: Die Topunternehmen zahlen ihre Zulieferer nach 76,8 Tagen und der Durchschnitt nach 55,5 Tagen. Sie treiben außerdem ihre Forderungen um 13,7 Tage schneller ein als das Mittel und halten ihre Lagerbestandsreichweite bei 36,7 Tagen, während der Mittelbereich die Lager für 74,9 Tage bevorratet. (bw)