S/4HANA-Migration

SAP-Anwendern droht Projektstau

20.12.2019
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Wenig Vertrauen in SAPs Best Practices

Die Präferenz der Anwender für den Brownfield-Ansatz, der darauf abzielt, bewährte Abläufe aus der alten SAP-Welt in S/4HANA hinüberzuretten, lässt sich auch als Beleg dafür werten, dass den Kunden die von SAP vorgegebenen Best Practices nicht ausreichen. Diese decken nur selten alle Anforderungen der Kunden ab, wie die Umfrage zeigt. Nur aus Sicht von sieben Prozent der Befragten ist das "voll und ganz" der Fall, weitere 21 Prozent meinen "größtenteils". 20 Prozent sagen, das sei "eher nicht" der Fall und 52 Prozent, es treffe "gar nicht" zu.

Obwohl also die Mehrheit der Befragten feststellt, SAPs Best Practices seien unzureichend, wollen doch sechs von zehn Umfrageteilnehmern im Zuge der Implementierung selten oder nie auf die eigenen, individuellen Prozesse setzen. Mehr als die Hälfte plant, sehr häufig (13 Prozent) oder häufig (41 Prozent) die vorkonfigurierten Prozesse und Best Practices von SAP zu nutzen. Mit anderen Worten: Die Anwender misstrauen den Best Practices von SAP, wollen diese aber dennoch nutzen. Möglicherweise erklärt das die Zögerlichkeit: Offensichtlich hoffen viele Anwender noch auf Nachbesserungen.

Wie weit sind die Anwender in Sachen S/4HANA? Lesen Sie mehr darüber:

Trotz der erwarteten Probleme beim Customizing verbinden die meisten SAP-Kunden mit dem Umstieg auf S/4HANA große Hoffnungen. Fast Dreiviertel wollen im Zuge der Umstellung den Fokus darauf legen, die eigenen Prozesse an die Anforderungen der Digitalisierung und der veränderten Marktbedingungen anzupassen. Jeweils rund zwei Drittel erwarten, mit S/4HANA digitale und datenbasierte Geschäftsmodelle besser umsetzen und steuern zu können beziehungsweise damit die prozessualen und technischen Voraussetzungen zu schaffen, um als Unternehmen ein Teil der Plattform-Ökonomie zu werden.

Die Hoffnungen im technischen Bereich ruhen laut Lünendonk auf einem höheren Automatisierungsgrad (70 Prozent), einem deutlich verringerten Wartungs- und Pflegeaufwand für das neue S/4HANA-ERP (63 Prozent) sowie einer einheitlichen Datenbasis und steigender Datenqualität (54 Prozent). Dass der ERP-Betrieb mit S/4HANA günstiger wird, glaubt dagegen nur ein Drittel der Befragten.

S/4HANA soll im eigenen Rechenzentrum bleiben

Die meisten Anwender sehen ihr SAP-System auch künftig am liebsten auf den eigenen Systemen. 56 Prozent präferieren den Betrieb im eigenen Data Center. Ein weiteres Viertel will S/4HANA dort on-premise durch einen externen Dienstleister betreiben lassen. Über eine Hybrid Cloud denken 14 Prozent der Befragten nach. Eine Public-Cloud-Variante kommt nur für elf Prozent in Frage. Für die zuletzt genannte Option sehen die Anwender laut Umfrage Microsoft Azure und AWS als geeignete Partner für die Cloud-Infrastruktur. Die SAP-Cloud spielt indes keine Rolle in den Planungen. Jedoch könne es auch in diesem Punkt noch zu Änderungen kommen, relativieren die Lünendonk-Analysten. Ein Grund, der für die Cloud spreche, sei die Nutzung von bereits vorkonfigurierten Prozessen, was den Umstellungsaufwand reduzieren könnte.

Nach wie vor scheint es für viele Anwender also noch etliche Unwägbarkeiten auf dem Weg zu S/4HANA zu geben. In den vergangenen Jahren haben unter anderem die DSAG-Verantwortlichen immer wieder gefordert, SAP müsse seine Kunden besser über die Migration und deren Folgen informieren. An dieser Stelle gibt es offenbar auch heute noch Defizite. Gut sechs von zehn Befragten erklärten, sie würden ihren Lizenzierungsbedarf für die künftige S/4HANA-Nutzung nicht kennen und seien daher mit Investitionen zurückhaltend.

Als weitere Hindernisse bei der Umstellung nannten die SAP-Anwender die Integration der lokalen IT-Systeme (Eigenentwicklungen, Altsysteme) in S/4HANA. Dies werde sich sehr aufwendig und kostenintensiv gestalten, befürchten 58 Prozent der Befragten. Außerdem fehle es schon jetzt an spezifischem Know-how und Fachkräften zur Planung und Umsetzung der S/4HANA-Projekte, so die Hälfte der Befragten.