Etwa 70 Millionen Anrufe, 1,2 Millionen Kontakte via Social Media und 20 Millionen Briefe, Faxe und Mails - diese Flut an Anfragen kommt pro Jahr auf die Servicemitarbeiter der Telekom zu. Um genügend Zeitressourcen für Kunden mit komplexeren Fragestellungen zu haben, werden sie von Software-Robotern unterstützt, die einfache Routinearbeiten für sie übernehmen. Als Betreiber einer der größten Roboter-Farmen Europas beschäftigt die Telekom inzwischen mehr als 1500 Frontend-Assistenten (FEA), die zum Beispiel selbstständig Aufträge erfassen, Rechnungen erstellen oder Kündigungen und Ähnliches bearbeiten. Unterm Strich unterstützen diese Servicemitarbeiter bei 4 Millionen Geschäftsfällen im Monat.
Schneller und agiler mit RPA
"Wir sind bereits mit Robotic Process Automation gestartet, als es noch gar nicht so genannt wurde", berichtet Sebastian Zeiss, Vice President Lean Management Competence Center bei der Telekom Service GmbH. Der Startschuss fiel im Januar 2015 mit einem ersten Piloten inklusive des Bereitstellens der erforderlichen Infrastruktur und dem Bau der Pilotprozesse. Im Juli 2015 begann dann die Automatisierung der identifizierten Prozesse. Zusätzlich wurde ein entsprechender Bereich innerhalb der Telekom Services aufgebaut. Drei Monate später gelang dann die erfolgreiche Umsetzung der ersten zwei Prozesse, gleichzeitig wurden 30 weitere Prozesse auf RPA-Eignung untersucht.
Danach ging es kontinuierlich weiter: Im März 2016 wurde mit sechs Prozessen im Wirkbetrieb die Automatisierungsmarke von 100 Bots geknackt, im September 2016 waren dann schon 200 Bots im Einsatz und eine Erfolgsquote von 82 Prozent sichergestellt. 2017 erledigte die inzwischen auf 1300 Bots angewachsene digitale Belegschaft bereits 20 Millionen Transaktionen. Für 2018 wird mit 2300 Bots gerechnet, die zusammen 35 Millionen Transaktionen übernehmen sollen.
Bei der Telekom Service GmbH gibt es verschiedene Anwendungsfälle für Robotic Process Automation. So werden etwa Service Robots dazu eingesetzt, um vorausschauend zu agieren und dadurch eine bessere Kundenerfahrung zu erzielen. Als Beispiel nennt Zeiss das proaktive Lösen von Problemen bei der IP-Migration: Anstatt nach erfolgtem Umzug auf eine mögliche Reklamation des Kunden zu warten, testet ein FEA automatisch jede neue Verbindung. Wird dabei ein Fehler festgestellt, erstellt der Bot ein Ticket, ordnet es einem Techniker zu und informiert den entsprechenden Kunden.
Employee Assistants wiederum sollen einen maximalen Support der Mitarbeiter bei der Prozessverarbeitung bieten, d.h. sie können sich durch einen verbesserten Workflow bei einem Vorgang besser auf den Kunden konzentrieren. Als Beispiel verweist Zeiss auf die Field-Service-Anwendung MessApp, eine Art Schweizer Taschenmesser für Servicetechniker. Die von Technikern im Design-Thinking-Modell entwickelte Lösung ermöglicht es ihnen, innerhalb einer App verschiedene Innendienstprozesse anzusteuern. Bereits umgesetzt wurden etwa Messung, Port Change, Anrufweiterschaltung oder die Nachbestellung eines Ersatzgerätes.
Wollte ein Techniker früher etwa einen Anschluss überprüfen, musste er über die Service-Hotline die Messung durch einen Kollegen veranlassen, der Zugriff auf ein entsprechendes Tool hatte. Heute schickt der Techniker seine Anfrage unter Eingabe der Telefonnummer des Kunden mit seinem Smartphone via MessApp an einen Software-Roboter. Dieser führt die Messung umgehend aus und stellt dem Techniker das Ergebnis über die App zur Verfügung. Auf diese Weise konnte der Messvorgang von durchschnittlich 4 bis 5 Minuten auf 30 bis 60 Sekunden reduziert werden.
- Keep it simple – der falsche Einstiegsprozess
Der häufigste Fehler bei der Implementierung eines RPA-Projekts ist die Wahl des falschen Prozesses. „Falsch“ heißt für den Anfang zu komplex oder zu speziell. Zu empfehlen ist für den RPA-Einstieg die Wahl eines einfachen Prozesses. Damit stellt sich der Erfolg eher ein. - Brauche Input! Aber bitte digital
Bei der Wahl des richtigen Prozesses gilt der erste Blick den Daten. Um die Interaktion durch den Menschen gering zu halten, sollten die zugrundeliegenden Daten natürlich möglichst digital vorliegen. - Strukturierte Daten: Ordnung muss sein
Was ein Unternehmen bekommt, wenn es einen semioptimalen Prozess digitalisiert, hat der damalige Bitkom-Präsident Thorsten Dirks auf dem IT-Gipfel 2015 recht drastisch beschrieben. „Organisation geht vor Automatisierung“ gilt auch bei RPA, deshalb sollten die Daten möglichst strukturiert vorliegen. - Text schlägt Bild
Noch ein Hinweis zum Thema Daten, um den richtigen Prozess für den RPA-Einstieg zu identifizieren: Text- und Zahlenbasierte Daten lassen sich leichter mit RPA verarbeiten als Bildinformationen. - Vorteil Standard
Die Vorteile von standardisierten IT-Prozessen sind mannigfaltig. Stichworte sind Kosteneffizienz, sichere IT in hoher Qualität, transparentes Monitoring und Reporting etc. Je standardisierter ein Prozess ist, desto besser ist er für den RPA-Einstieg geeignet. - Stabilität ist Trumpf
Stabilität sollte nicht mit Stagnation verwechselt werden. Für RPA sind stabile Prozesse enorm wichtig. Denn die Software dient der Bearbeitung von strukturierten Geschäftsprozessen. Sie arbeitet dabei den Prozess genauso ab, wie ein Mensch das machen würde. Läuft der Prozess stabil, sind Interaktionen von Menschen nur selten oder gar nicht nötig. - Die Masse machts - Prozesse mit hohem Volumen wählen
Je häufiger ein Prozess vorkommt, desto größer ist die Entlastung durch RPA. Da Mitarbeiter meist erst einmal skeptisch auf den Ersteinsatz von RPA reagieren, hilft ein Prozess der ein hohes Volumen hat, auch bei der Akzeptanz der Robotics durch die Belegschaft. - RPA als Erbsenzähler? Unbedingt!
Fehleranfällige Prozesse sind häufig monotone Tätigkeiten, in die sich irgendwann der berühmte Schlendrian einschleicht. Aber für RPA gibt es keine Monotonie. Wenn der Prozess fehleranfällig ist, können sie ihre Stärken besser ausspielen! - Das Team gewinnt
Automatisierungen folgen in den meisten Unternehmen einer Strategie. Diese sollte mit einem zentralen Team verfolgt werden, das Informationen bündelt und RPA über Geschäftseinheiten hinweg einführt. Kleine Gruppen ohne Informationsaustausch über Learnings sind dazu verurteilt, die Fehler der anderen zu wiederholen. - Strategie: Was sind die nächsten Schritte?
Spötter sagen, dass eine Strategie vor allen Dingen festlegt, was nicht zu tun ist. Eine Automatisierungsstrategie hat klare Vorteile: Denn sobald Robotic Process Automation gut eingeführt ist, finden sich neue Anwendungsmöglichkeiten wie von selbst. Mit einer Strategie kann das Team abwägen, welche Prozesse zu priorisieren sind. - Hauseigene IT einbeziehen
Ein Vorteil von RPA ist es, dass es von der Fachabteilung angestoßen werden kann. Eine automatisierte Schatten-IT kann aber nicht das Ziel ein. Selbst wenn das Projekt von der Fachabteilung gesteuert wird: Bei der Implementierung der RPA ist die Unterstützung der IT notwendig.
Von Bots zu Smart Digitization
Wie Zeiss am Beispiel des PMN-Tools (Performance Management Netze) darstellt, nutzt die Telekom Service auch die Möglichkeit, über eine Kombination von RPA und Künstlicher Intelligenz (KI) die Arbeit von Kundenberatern zu unterstützen. Reklamiert ein Telekom-Kunde bei der Service-Hotline eine Störung bei seiner DSL-Verbindung, musste bislang ein Experte hinzugeschaltet werden, der die gemessenen Leistungswerte des PMN-Tools ansieht und bewertet. In einem dreimonatigen Zeitraum zwischen Idee und Rollout wurde hier ein Machine-Learning-Prozess aufgesetzt, mit dem die Mitarbeiter im Servicecenter diesen First-Level-Support bieten können. Nachdem ein entsprechender ML-Algorithmus mit Hilfe von 20.000 Datensätzen angelernt wurde, startet nun ein PMN-FEA den Bewertungsprozess und hilft dem Servicemitarbeiter mit dem Ergebnis der Abfrage, das Problem auch ohne tieferer Fachkenntnisse einzukreisen.
Ein anderes Beispiel für die erfolgreiche Kombination von RPA und KI bei Telekom Service ist laut Zeiss die automatische Bearbeitung und Lösung von E-Mail-Anfragen an die Clearing-Abteilung: Bei der im zweiten Quartal 2018 ausgerollte Lösung wird der Inhalt der Mails via KI erkannt und durch Bots weiterbearbeitet. Das buchstäblich letzte Wort, bevor die Antwort an den Kunden zurückgeht, hat dann aber immer noch ein menschlicher Sachbearbeiter.
Der Grund dafür, so Zeiss, liegt in der Zielsetzung, die die Telekom mit der Roboter-basierten Automatisierung in der gesamten Serviceorganisation verfolgt: Indem sich wiederholende manuelle Tätigkeiten, die keinen persönlichen Wertbeitrag für den Kunden darstellen, wegfallen, sollen sich die Mitarbeiter auf den Kunden einstellen können. Die Bots seien dabei als wichtige Ergänzung der Mitarbeiter gedacht, beteuert der Telekom-Manager, aber nicht als Ersatz: Trotz aller Innovationen und Entwicklungen könne und werde die Technologie Mitarbeiter im Kundenservice nicht ersetzen.
Der Business Case entscheidet
Was die Auswahl der zu automatisierenden Prozesse angeht, ist laut Zeiss der Business Case der entscheidende Faktor, also die Bearbeitungsdauer, Komplexität und Häufigkeit eines Prozesses. Seine Company greife als eines der Werkzeuge auf RPA zurück, um durch die typische agile Scrum-Vorgehensweise Zeit zu sparen und sofort Ergebnisse zu erhalten. Später werde dann geprüft, ob es Sinn macht, die Bot-Lösung durch ein Integrationsprojekt abzulösen.