Als wir sie interviewen wollten, war das Abstimmungsergebnis über den Brexit gerade mal ein paar Stunden alt. Damit war klar, dass das politische Berlin Kopf stehen wird und Politiker vom Rang einer Sahra Wagenknecht nicht abkömmlich sein würden. Die Fragen der COMPUTERWOCHE zur Digitalisierung, Automatisierung, zur Roboterisierung oder etwa zum bedingungslosen Grundeinkommen hat sie später dann aber doch beantwortet.
Technikentwicklung vernichtet keine Jobs
Nicht wenige Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft und eben der Politik bezeichnen die durch die technischen Entwicklungen in der IT-Branche angestoßenen Veränderungen in der Arbeitswelt und in Gesellschaften mindestens als Evolution, eigentlich aber als Revolution. So etwa die beiden in Oxford tätigen Wissenschaftler Michael Osborne und Carl Frey. In ihrer Studie "The Future of Employment" zeichneten sie ein düsteres Bild: Sie hatten, bezogen auf die USA, 702 Berufsfelder untersucht und sich gefragt, wie gefährdet diese durch den Einsatz automatisierter Systeme, Roboter etc. sein würden. Nach Osborne und Frey werden 47 Prozent der amerikanischen Arbeitsplätze in den kommenden 20 Jahren verschwinden.
Mittlerweile gibt es diverse andere Untersuchungen, die diese Entwicklung ebenso sehen. Ähnliches Bild in Deutschland: Eine Gruppe von Wissenschaftlern um den Ökonomen Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim glaubt, dass 42 Prozent der Beschäftigten in Deutschland einer Arbeit nachgehen, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit im Zeitrahmen von 20 Jahren digitalisieren oder automatisieren lässt.
Was will DIE LINKE unternehmen, um diese Entwicklung bezüglich der Arbeitsplätze abzufedern?
Sahra Wagenknecht: Es ist ein beliebter Irrtum zu glauben, dass die technologische Entwicklung Arbeitsplätze vernichtet. Die Organisation von Arbeit ist eine gesellschaftliche Angelegenheit. Wenn wir dank moderner Maschinen für die Produktion von Lebensmitteln und anderen Waren weniger Zeit brauchen, dann eröffnet das doch schöne Perspektiven: Die Leute könnten für den gleichen Lohn fünf statt acht Stunden täglich arbeiten. Dann hätten sie mehr Zeit für ihre Familie und ihre Freunde, für Sport oder Kultur, für ein gutes Buch oder für Politik.
Gerade im Bildungs- und Gesundheitswesen gibt es außerdem einen riesigen Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften. Es ist dem Kapitalismus geschuldet, dass dieser Bedarf nicht gedeckt wird und technischer Fortschritt dazu beiträgt, dass Menschen arbeitslos werden. Unternehmen haben kein Interesse an Vollbeschäftigung, da es die Löhne drückt, wenn die Leute verschärft um Arbeitsplätze konkurrieren müssen.
Dagegen wird DIE LINKE sich an der Seite der Gewerkschaften immer dagegen wehren, dass Menschen ihre Erwerbsarbeit verlieren und daraufhin sozial abstürzen. Man kann Beschäftigte ja auch umschulen und neue Arbeitsplätze für sie schaffen. Oder man kann sie ohne Abschläge früher in den Ruhestand schicken. Zentral ist letztlich der Kampf um Verkürzung der gesellschaftlichen Arbeitszeit: Wenn dank Automatisierung und Digitalisierung die Arbeitsproduktivität in einer Gesellschaft steigt, sollte dies zu mehr Freizeit und Freiheit für alle Menschen führen. Darüber hinaus werden wir als LINKE natürlich Druck machen, dass die Arbeitsverhältnisse in der digitalen Wirtschaft sozial reguliert werden. Es muss selbstverständlich werden, dass es auch dort Betriebsräte gibt und dass anständige Tariflöhne und Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden.
Sinnvoll: das bedingungslose Grundeinkommen?
Diskutiert man heute die möglichen Folgen der technischen Entwicklungen, die sich mit KI/AI, selbstlernenden Systemen in neuronalen Netzen etc. ergeben könnten, wird gerne der ersatzlose Arbeitsplatzverlust von Menschen angesprochen. In die gleiche Kerbe schlug das World Economic Forum (WEF) in seiner Studie "The Future of Jobs" im Januar 2016. Durch die Digitalisierung und den Einsatz von Robotern würden bis zum Jahr 2020 sieben Millionen Arbeitsplätze weltweit überflüssig werden.
Dem stünden lediglich zwei Millionen neu geschaffene Jobs gegenüber. Im Saldo fallen nach dieser Berechnung fünf Millionen Arbeitsplätze in den Industrieländern weg. Auch diese Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass es nicht nur Fabrikarbeiter, sondern auch "Weiße-Kragen"-Jobs treffen wird. In der Folge diskutierte das WEF im Januar 2016 über ein bedingungsloses Grundeinkommen, das Wagenknechts Parteikollegin Katja Kipping auch fordert.
Wie ist Ihre Haltung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen als Antwort auf die Veränderungen durch die Digitalisierung?
Sahra Wagenknecht: Statt jene Beschäftigte, die von Unternehmen als überflüssig definiert werden, mit einem Almosen zu versehen, sollten wir besser für gute Arbeitsplätze und kürzere Arbeitszeiten für alle kämpfen. Arbeit ist ja auch mit sozialen Kontakten, mit sozialer Anerkennung und Selbstbestätigung verbunden - all das steht auf dem Spiel, wenn Menschen aus dem Erwerbsleben ausgegrenzt werden. Trotzdem kann ich natürlich gut verstehen, dass Leute, die sich in miesen Jobs abrackern müssen, die vom Jobcenter schikaniert werden oder die Probleme haben, als Selbstständige über die Runden zu kommen, sich zur Absicherung ihrer Existenz ein bedingungsloses Grundeinkommen wünschen, das ohne bürokratische Hürden einfach an sie ausgezahlt wird.
Doch die Sache hat aus meiner Sicht ein paar Haken. Zwar bin ich natürlich dafür, dass die derzeitige soziale Grundsicherung deutlich angehoben wird. Vor allem müssen all die Sanktionen, die zu Kürzungen der Grundsicherung führen und damit Leute in unwürdige Arbeitsverhältnisse drängen, endlich abgeschafft werden. Ein nicht am Bedarf orientiertes, sondern bedingungsloses Einkommen birgt aber das Risiko, dass die Löhne flächendeckend gedrückt und die Kräfteverhältnisse noch mehr zugunsten des Kapitals verschoben werden. Denn jeder Lohn hätte ja den Charakter eines Zuverdienstes zum bedingungslosen Grundeinkommen. Die Bereitschaft, für drei oder vier Euro Stundenlohn etwas hinzuzuverdienen, wäre enorm. Damit würde der Mindestlohn, würden sämtliche Tariflöhne unter extremen Druck geraten.
Es ist ja kein Wunder, dass auch viele Unternehmer sich für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) stark machen - natürlich auf mickrigem Niveau und bei Streichung aller anderen Sozialleistungen. Diesen Leuten geht es nicht zuletzt darum, Kosten zu sparen. Das geschieht, indem die bisherigen Sozialversicherungen, die aus Beiträgen der Unternehmen und Beschäftigten finanziert werden und den Lebensstandard absichern sollen, durch ein "billigeres" BGE ersetzt werden. Das wird dann aus Steuern finanziert und schützt lediglich vor krasser Armut. Ich sehe die Gefahr, dass man mit der Forderung nach einem BGE diesen neoliberalen Kräften in die Hände spielt.
"Seit Jahren prangern wir Steuertricks an"
Der englisch-amerikanische Autor und Unternehmer Andrew Keen rechnet in seinem Buch "Das digitale Debakel" hart mit US-amerikanischen Startups à la Uber, AirBnB, WhatsApp etc. ab. Diese Unternehmen würden so gut wie keine Arbeitsplätze schaffen, durch ihre Geschäftspraktiken aber viele Jobs vernichten. Die Zukunftsarchitekten aus dem Silicon Valley würden an einer vernetzten Wirtschaft und einer Gesellschaft arbeiten, "die niemandem nutzt als ihren mächtigen und reichen Eigentümern." Keen zitiert Robert Reich, den Ex-Arbeitsminister in der Clinton-Regierung, der am Beispiel WhatsApp feststellt: Dieses Unternehmen stehe "für all das, was in der amerikanischen Wirtschaft schiefläuft." Diese kritik müsste Sahra Wagenknechts als Steilvorlage empfinden.
Teilen Sie diese Art der Kritik? Wie will DIE LINKE dieser Art von Unternehmen begegnen?
Sahra Wagenknecht: Ich teile die Kritik an Konzernen, die aus der Vernetzung und Vergesellschaftung über das Internet ihren Profit ziehen, aber der Gesellschaft kaum etwas zurückgeben. Die stattdessen ihre Steuern kleinrechnen, nur mickrige Löhne zahlen, ihre Mitarbeiter schikanieren und Gewerkschaften unterdrücken. Seit Jahren prangern wir die Steuertricks dieser Konzerne an. Und wir kämpfen seit Jahren an der Seite der Beschäftigten etwa bei Amazon, damit diese endlich einen anständigen Tarifvertrag erhalten sowie einen Betriebsrat, der ihre Interessen vertritt.
Mir graut vor einer Welt, in der Konzerne wie Google, Facebook, WhatsApp oder Amazon unsere Kommunikation kontrollieren können. Vor einer Welt, in der sie über unsere Freunde, unsere Einkäufe, unseren Gesundheitszustand und unseren jeweiligen Aufenthaltsort Bescheid wissen. Das Geschäftsmodell von WhatsApp basiert ja darauf, kostenlose Dienstleistungen anzubieten und trotzdem Profite zu machen, indem man sich massenhaft private Daten aneignet. Gerade als junger Mensch kann man sich diesem Datendiebstahl auch nur schwer entziehen. Deshalb denke ich, dass die gesamte digitale Infrastruktur öffentlich organisiert und dem Gemeinwohl verpflichtet sein sollte. Nur so kann verhindert werden, dass unsere Daten missbraucht werden oder wir am Ende von privaten Monopolen abgezockt werden.
Gerade die sogenannte Share Economy sollte von einer gemeinnützigen Grundlage aus operieren. Es bringt aber nichts, die Share Economy pauschal zu bekämpfen - obwohl es stimmen dürfte, dass der Verkauf über eBay dem Einzelhandel schadet und die Vermietung über AirBnB den Hoteliers. In der Praxis sollte man wohl zwischen Gelegenheitsanbietern und professionellen Anbietern unterscheiden.
Wer seine Wohnung für ein paar Wochen im Jahr vermieten oder auf seinem Arbeitsweg jemanden in seinem Auto mitnehmen will, sollte dies tun dürfen. Es kann aber nicht sein, dass über AirBnB Wohnungen ganzjährig an Touristen vermietet und so dem normalen Wohnungsmarkt entzogen werden, wo sie dringend gebraucht werden. Und wer seinen Lebensunterhalt als Fahrer verdienen will, der sollte dafür eine entsprechende Lizenz haben - wie Taxifahrer oder Chauffeure sie besitzen."