Steht das "Blech im Keller" vor einer Renaissance? Ganz so pathetisch muss man die Sache wahrscheinlich nicht sehen. On-Premises-Umgebungen waren in Wirklichkeit nie weg, wenn auch in der Diskussion weniger populär. Das mag daran liegen, dass der Nutzen von selbst gehosteter Infrastruktur abseits von Legacy-Zwängen wenn überhaupt im Compliance- oder Geheimnisschutz-Kontext gesehen wurde.
Wandel in der Cloud-Nutzung
Dies hat sich jedoch leicht verändert. Zwar ist die Cloud mittlerweile fester Bestandteil der Unternehmensstrategie (so planen zum Beispiel rund 50 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen laut der Computerwoche-Studie "Cloud Migration 2023" in naher Zukunft ein Migrationsprojekt). Die "Alles-oder-Nichts-Mentalität" ist mittlerweile einem abwägenden Vorgehen gewichen. Private Clouds gelten nicht mehr als Relikte der Vergangenheit und sogar Remigrationsprojekte von der Cloud ins Rechenzentrum sind ein legitimer Teil der Strategie.
Applikationen und Cloud-Strategie
Das liegt vor allem daran, dass die Applikation ins Zentrum der Analyse rückt und die Cloud-Infrastruktur entlang der Applikationslandschaft ausgerichtet wird, merkt Fabian Dörk von Claranet in der Diskussionsrunde der Computerwoche zum Thema an:
"Applikationen und Cloud wachsen immer mehr zusammen und dadurch steigt auch die Zahl der möglichen Handlungsoptionen. Unternehmen wissen mittlerweile ganz genau, was sie in die Cloud verlagern wollen und was nicht. Ich kenne kein Projekt, in dem der Kunde einen "All In"-Ansatz verfolgt hätte."
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Diese Klarheit war auf Unternehmensebene nicht immer gegeben. Früher lag die Priorität eher darauf, frühzeitig am Trend zur Cloud zu partizipieren und die Potenziale der Technologie zu heben - teilweise angetrieben durch die Effizienz und Einsparungsversprechen der Anbieter. Diese "Fear of missing out" ist in der aktuellen Phase nicht mehr gegeben, auch weil mittlerweile mehr Erfahrung in den Unternehmen vorhanden ist.
Neue Realitäten in der Cloud-Nutzung
Viele Unternehmen, die Anwendungen 1:1 in die Cloud übertragen haben, haben gemerkt, dass ihre Welt nicht auf Knopfdruck besser wurde. Alle positiven Aspekte wie Kosteneinsparungen, Skalierbarkeit oder Nachhaltigkeit sind nämlich kein Automatismus, sondern kommen nur zum Tragen, wenn die Architektur sinnvoll aufgebaut ist.
Cloud-Pragmatismus
Ein neuer Cloud-Pragmatismus ist eingekehrt. Ging es früher darum, sich dem wie auch immer skizzierten Ideal von Hyperscalern, Beratern und anderen Cloud-Botschaftern anzunähern, scheinen die Ansprüche heute realistischer und enger an das Geschäft angelehnt zu sein. Eine Entwicklung, auf die auch die Beratungs- und Anbieterseite reagieren muss, wie Matthias Pfützner von Red Hat feststellt:
"Die Erwartungshaltung unterscheidet sich stark zwischen Nutzern und Dienstleistern: Unternehmen wollen einfach nur, dass die Sache funktioniert, während wir auf Wünsche eingehen und die Regulatorik im Auge behalten sollten. Schließlich will nicht die Cloud transformiert werden, sondern die Geschäftsmodelle der Anwender. Das verlangt nach einer umfassenden Analyse nicht nur der technischen Möglichkeiten, sondern auch der organisatorischen Vergangenheit und Zukunft."
"Es stimmt, dass sich gerade viele Bereiche in die Cloud verlagern, an die früher nicht zu denken war", stellt Tobias Olgemöller von Axians fest. "Selbst Krankenhäuser, die sich selbst nie als 'cloud-affin' bezeichnen würden, nutzen manche Services in der Cloud, ohne davon zu wissen. Doch im Ernstfall spielt das Thema Verfügbarkeit dann doch wieder eine zentrale Rolle: Bei wirklich kritischen Anwendungen darf ich mich nicht auf die Cloud verlassen. Im Ernstfall sollte es - ähnlich wie bei einem Dieselgenerator - stets eine lokale Alternative geben."
Herausforderungen
Die Herausforderung besteht also darin, die Anwendungen zu identifizieren, die sich optimal in die Cloud integrieren lassen - und welche eben nicht. Im Normalfall führt das zu hybriden Szenarien, in denen Cloud und Rechenzentrum koexistieren.
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Zum Thema Cloud-Transformation führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Verantwortlichen durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (regina.hermann@foundryco.com, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (manuela.raedler@foundryco.com, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF). |
Auch die Cloud braucht Fachkräfte
Die Cloud ist dabei nicht zwangsläufig kostengünstiger, punktet aber mit einem breiten Angebot an Services und Selbstbedienungsfunktionen. Die wachsende Verschmelzung von Applikationen und Cloud eröffnet Unternehmen dabei zahlreiche Handlungsoptionen. Fabian Dörk betont deswegen aber die Notwendigkeit einer klaren Strategie und der Bereitstellung von genügend Ressourcen. Eine Cloud-Transformation schafft Transparenz in der eigenen IT, fordert aber weiterhin spezialisierte Fachkräfte, um die Technologien sicher und zuverlässig zu betreiben. Besonders im Security-Bereich gibt es Bewegung, bedingt durch ein gesteigertes Risikobewusstsein nach prominenten Security Incidents.
Governance und Compliance
Andreas Kopf von Microfin hebt die Bedeutung der Governance und Compliance in der Cloud hervor. Unternehmen, die Cloud-Services nutzen, müssen sicherstellen, dass Governance und Compliance mit der Technologie Schritt halten. Die Einführung von Cloud sollte daher iterativ erfolgen, mit kleinen Projekten und Use Cases, um bestehende Prozesse behutsam zu transformieren. Die Weiterqualifikation der Mitarbeiter und die Schaffung positiver Nutzerakzeptanz stellen dabei zentrale Herausforderungen dar. Kopf betont, dass eine Cloud-Transformation nicht nur die Technologie, sondern auch die Menschen und Prozesse betrifft.
"Wer das volle Potenzial von Cloud ausschöpfen möchte, muss dies auf drei Ebenen tun: Technologie, Architektur und Mensch", befindet auch Alwin Penner von Adesso. Dass die Cloud aber irgendwann Teil jedes Business-Modells sein wird, davon ist er überzeugt: "Im privaten Umfeld sehen wir alle, wohin die Reise geht. Jeder Dienst mit einer guten CX hat einen signifikanten Cloud-Anteil."
- Alwin Penner, adesso
„Im Rahmen der digitalen Transformation nimmt der IT-Anteil innerhalb der Wertschöpfung zu. Cloud ist der Enabler für neue Geschäftsmodelle.“ - Tobias Olgemöller, Axians
„Es stimmt, dass sich gerade viele Bereiche in die Cloud verlagern, an die früher nicht zu denken war. Selbst Krankenhäuser, die sich selbst nie als “cloud-affin” bezeichnen würden, nutzen manche Services in der Cloud, ohne davon zu wissen. Doch im Ernstfall spielt das Thema Verfügbarkeit dann doch wieder eine zentrale Rolle: Bei wirklich kritischen Anwendungen darf ich mich nicht auf die Cloud verlassen. Im Ernstfall muss es – wie bei einem Dieselgenerator – immer noch eine lokale Alternative geben." - Fabian Dörk, Claranet
„Wir sollten nicht nur die Frage nach dem Potenzial von Cloud und Cloud Native stellen, sondern vor allem nach den Implikationen und ob Unternehmen sich dieser bewusst sind und mit diesen umgehen können." - Thomas Schaller, Cloudflare
„Das gesamte Potenzial können Unternehmen nur erschließen, wenn sie Cloud und lokal sinnvoll verbinden und damit Sicherheit und Komfort miteinander in Einklang bringen. Hybrid Cloud ist ein Komplettprojekt, das meine gesamte IT erfasst." - Tobias Zafke, Lufthansa Industry Solutions
„Die Cloud ist kein Ort. Alles, was ich dort kann, kann ich auch im lokalen. Die Cloud ist kein Ort - je nach Usecase können auch Cloudtechnologien in lokalen Rechenzentren bereitgestellt werden." - Andreas Kopf, microfin
„Viele Unternehmen haben mittlerweile Erfahrungen mit der Cloud gemacht – dabei wachsen Governance & Compliance leider nicht in derselben Geschwindigkeit wie die Technik mit. Ich rate immer zu einem iterativen Vorgehen mit kleinen Projekten und Use Cases auf der grünen Wiese, die nicht den Anspruch haben, bestehende Prozesse auf Teufel komm raus zu transformieren. Bestehende Mitarbeiter müssen immer häufiger lernen, schnell mit neuen Funktionen umzugehen. Die Frage nach der Weiterqualifikation, der Befähigung und einer positiven Nutzerakzeptanz sind also ganz zentrale Aspekte bei der Einführung neuer Services." - Matthias Pfützner, Red Hat
„KI wird eine neue Welle auslösen. Um zum Beispiel selbst ein Large Language Model (basierend auf eigenen Daten) zu erstellen, braucht man große Datenmengen, die man nicht ohne weiteres in die Cloud hochladen kann. Insofern befördert KI auch den – partiellen – Trend zur Rückkehr ins eigene Rechenzentrum."
Andreas Kopf von Microfin sieht in der organisationalen Einbettung ebenfalls einen der wichtigsten Faktoren: "Cloud Services bieten erhebliche Potenziale für die Digitalisierung und positive Kundenerlebnisse - jedoch gelingt dies nur mit einer funktionierenden Cloud Governance. Erst eine Cloud "echt" einführen - also inkl. der Governance - und danach neue Services formulieren. Das ist die richtige Reihenfolge und an diesem Stand sind viele noch nicht angekommen."
Skeptisch sind die Experten auch bei der Bewertung, dass Cloud-Transformation als Allheilmittel gegen Fachkräftemangel herangezogen werden kann, wie Fabian Dörk klarstellt: "Auch wenn Unternehmen einen Teil ihrer Infrastruktur in der Cloud betreiben, brauchen sie auch weiterhin Spezialisten, um diese Technologien zu verstehen und um sie sicher und zuverlässig betreiben zu können. Die Komplexität in der Tiefe der Leistungserbringung wird zwar von den Cloud-Vendoren übernommen, aber sie wird durch die Komplexität in der Breite des Technologieeinsatzes aufgewogen. Nur weil etwas in der Cloud ist, heißt es nicht, dass es einfach ist."
KI treibt die Strategie - in jede Richtung
Das Überthema künstliche Intelligenz wirkt sich selbstredend auch auf die Cloud-Strategie der Unternehmen aus - mit einer gewissen Ambivalenz. Matthias Pfützner ist sich zwar auch sicher, dass KI eine neue Welle der Cloudifizierung auslösen wird. Doch auch hier wird es wieder um die Frage nach den "richtigen" Daten gehen. Einerseits müssen für Large Language Models große Datenmengen verwaltet werden, andererseits ist die schiere Menge an nötigen Daten in der Cloud fast nicht zu stemmen. Insofern hat der KI-Hype auch das Potenzial, die Rückkehr ins Rechenzentrum zu befördern.
"Die langfristige Challenge liegt in der Orchestrierung zwischen Applikationen und Cloud-Plattform" fasst Tobias Zafke von Lufthansa Industry Solutions die Diskussion zusammen. "Unternehmen hegen nach der Migration die Hoffnung, dass es jetzt erstmal ruhiger wird. In Wirklichkeit geht es danach aber erst richtig los."
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