Es war eine fast paradoxe Situation, vor der die IoT-Branche zu Beginn der Pandemie stand. Einerseits bedeutete der Lockdown, dass viele zuvor angestoßene Projekte erst mal auf Eis gelegt werden mussten. Statt auf Modernisierung standen die Zeichen in den Unternehmen erst mal auf Schadensbegrenzung und Bewahrung der "Business Continuity".
Andererseits wurde auch früh klar, welche radikalen Auswirkungen der Wechsel in die Remote-Arbeit, die Hochgeschwindigkeits-Cloudifizierung, der neue Pragmatismus im Management und all die anderen kurzfristigen Maßnahmen langfristig haben würden. Binnen weniger Monate wurde quasi das komplette Fundament ausgetauscht, auf dem IT-Projekte und Beschaffungsprozesse bislang aufbauten. Diese Entwicklung hat eine durchaus positive Grundstimmung in der Branche entstehen lassen.
Netzbetreiber, Serviceprovider, Beratungsunternehmen und viele weitere Beteiligte an IoT-Projekten sehen positiv in die Zukunft, wie das Stimmungsbild im Rahmen des IDG-Round-Table zum Thema ergab: "Die Unternehmen sind durch den Digitalisierungsschub in der Folge von Corona deutlich offener für das Thema IoT geworden", stellt Johannes Kaumanns von der IoT-Sparte der Deutschen Telekom fest. "Immer mehr Entscheidungsträger erkennen jetzt das Potenzial ihrer Daten, die Cloud ist weitgehend akzeptiert und hartnäckige Security-Widerstände waren schlagartig weg. In diesem Zuge gewann auch das Thema IoT an Attraktivität."
- Johannes Kaumanns, Deutsche Telekom IoT
"IoT bedeutet in der klassischen Definition immer noch: Daten extrahieren, miteinander in Bezug setzen, Korrelationen aufdecken und mit diesem Wissen prozessuale Verbesserungen anstoßen." - Hendrik Nieweg, Device Insight
"IoT-Projekte wurden während Corona vielerorts zurückgestellt, doch die Nachfrage steigt langsam spürbar wieder an. Heute besteht in den Unternehmen teils eine komplett andere Basis durch die Einführung von Remote-Arbeit und den Siegeszug der Cloud. Wir finden dadurch eine viel bessere Argumentationsgrundlage vor und treffen auf weniger Widerstände." - Klaas Mertens, Equinix
"Auch auf Kundenseite entstehen vermehrt Partnerschaften: Durch die Digitalisierung von Lieferketten wird der Austausch zwischen den Unternehmen zwangsläufig gefördert. Erst dadurch werden datengetriebene IoT-Projekte möglich und Synergieeffekte erzeugt." - Vincent Ohana, Reply
"Als Allererstes sollte das Unternehmen klären, welche Strategie es mit seinem IoT-Projekt überhaupt verfolgen will. Das wirkt sich unmittelbar auf die Monetarisierung und das Abrechnungsmodell mit einem Dienstleister aus." - Jens Beck, Syntax
"Es gibt zwei Kategorien von IoT-Anwendern: Die ersten stehen an der Schwelle zum höheren Reifegrad, die anderen sind komplette Newcomer. Beide eint aber, dass sie möglichst einfache Lösungen bevorzugen."
Neue Datenquellen flexibel einbinden
Diese Attraktivität geht allerdings auch mit neuen Erwartungen einher. Vor allem das Thema Datennutzung und die Abbildung von KI- und Machine-Learning-Szenarien werden in den Produktionsumgebungen wichtiger. Immer mehr Maschinen auf dem Shopfloor (oder klassisch: in der Produktionshalle) erfassen Produktionsdaten in Echtzeit. Diese werden wiederum über ein Sensornetzwerk mit einem sogenannten IoT-Gateway verbunden, das mit angeschlossenen Sensoren oder Aktoren kommuniziert und die Daten in die (Public oder Private) Cloud schickt, wo diese Informationen wiederum zusammengeführt und immer häufiger auch unter Nutzung von KI-Methoden ausgewertet werden. Die Anzahl der Anwendungsszenarien nimmt dabei stetig zu.
"Dadurch, dass KI heute deutlich günstiger zu beziehen und einzusetzen ist, sind plötzlich viele neue Cases möglich", betont Jens Beck vom Managed-Cloud-Spezialisten Syntax. "Themen wie Predictive Maintenance (also die vorausschauende Wartung von Maschinen) sind dadurch in vielen Betrieben überhaupt erst realisierbar." Die Anbieter stehen wegen der zukünftigen Zunahme von KI-Szenarien auch schon heute vor der Herausforderung - aber auch in der Verantwortung - IoT-Systeme und Datenmodelle zu aufzubauen, die in ihrer Konzeption so flexibel sind, dass sie auch neue Datenquellen in der Zukunft "on the fly" einbinden und mit der Produktion mitwachsen. Hendrik Nieweg vom Plattformbetreiber Device Insight warnt davor, IoT-Systeme zu schnell aufzubauen. Stattdessen plädiert er dafür, künftige Szenarien von Anfang an mitzudenken:
"Heute entwickelte Lösungen sind teilweise sehr statisch, weil die Unternehmen nicht zu viel Zeit und Geld investieren wollen. Später folgt dann oft das große Erwachen, wenn die Verantwortlichen merken, dass sie eigentlich eine flexiblere Lösung gebraucht hätten. Wir raten immer dazu, vorher vernünftig zu planen und flexible Datenmodelle zu etablieren, die auch das nachträgliche Hinzufügen neuer Datenpunkte ermöglichen."
Die zunehmende Bedeutung des Themas Datennutzung erhöht neben der Flexibilität allerdings auch die Komplexität der Projekte, so Nieweg: "Gerade in IIoT- oder Smart-Factory-Projekten würde sich ein einziger isolierter Lösungsanbieter die Finger verbrennen. Ohne Partner bekommt man diese teils gigantischen Projekte schlicht nicht gestemmt."
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IoT wird zum Zulieferermarkt
Damit beschreibt er einen Trend, der in der Plattformökonomie keineswegs selbstverständlich ist: Mehr Vielfalt auf Anbieterseite und die Einbindung vieler Projektbeteiligter. "Die Anbieterstruktur in IoT-Projekten wird immer heterogener und lässt sich gut mit einer Automobil-Lieferkette vergleichen, bei der einzelne Zulieferer möglichst nahtlos in die Wertschöpfungskette integriert werden", so Klaas Mertens vom RZ-Dienstleister Equinix. Damit folgt die IoT-Branche in gewisser Weise auch ihrer Zielgruppe: der Industrie, deren Erfolg seit jeher an die Leistungsfähigkeit ihrer Supply Chains geknüpft ist.
Für die IT entstehen dadurch allerdings auch neue Herausforderungen: Die Orchestrierung der Projektbeteiligten wird komplizierter und kann auch zu negativen Überraschungen führen: "In puncto Partnerschaften zeigt sich bei IoT-Projekten ein recht heterogenes Bild: Viele Kooperationen sind durchaus fruchtbar, während man in andere zu viel Zeit und Energie steckt und zu wenig Wertschöpfung generiert", betont Reply-Manager Vincent Ohana.
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Mit externem Wissen schneller loslegen
Genau diese fruchtbaren Partnerschaften gilt es allerdings zu identifizieren und langfristig zu etablieren, um Standortnachteile vor allem mit dem Blick auf den Fachkräftemangel auszugleichen:"Der Fachkräftemangel ist auch an unattraktiven Unternehmensstandorten durchaus bewältigbar. Es braucht aber eine gewisse Zeit, das Personal zu finden oder zu qualifizieren. Wer sich in dieser frühen Phase die richtigen Partner sucht, kann trotzdem einen schnellen Start in IoT realisieren."
Die Ziele und Zuständigkeiten sollten dabei allerdings von Anfang an klar abgesteckt sein, wie Device-Insight-Manager Nieweg empfiehlt. Schließlich sehe der Kunde am Anfang nur einen großen Blumenstrauß an Möglichkeiten: "Unsere Aufgabe ist es dann, klar aufzeigen, wer welche Aufgabe übernimmt und als zentraler Ansprechpartner aufzutreten. Das gilt natürlich auch wenn etwas schief geht, auch dann will der Kunde einen 'Neck to wrangle' haben".
IoT-Projekte seien darüber hinaus keine reinen Technologieprojekte mehr: Sie bilden Querschnitte durch das gesamte Unternehmen - von Produktion über Marketing bis hin zu R&D. Das führt dazu, dass alleine unternehmensintern mehr als ein Dutzend Stakeholder involviert sind. Neben dem Management reden auch Finance, Produktmanagement, Operations, Vertrieb, aber natürlich auch Produktion/Engineering sowie die IT- oder auch die Rechtsabteilung mit. Die erzeugten und generierten Daten werden also von weit mehr Beteiligten verarbeitet und genutzt als nur von den Data Scientists.
Jeder interne Stakeholder verfolgt dabei höchst unterschiedliche Absichten und Ziele und verwendet andere Tools. Diese heterogenen und sich ständig weiterentwickelnden Anforderungen üben einen enormen Druck auf die Dateninfrastruktur und in der Folge auf das IoT-Projekt aus.
Empfehlung: Unbedingt die Strategie beibehalten
Die Kernaufgaben von Beratung und Leistungserbringern liegen aus diesem Grund vor allem darin, tragfähige Business Cases zu validieren, das richtige Vorgehensmodell zu finden und sich vor allem im Laufe des Projektes daran zu halten. "Wir empfehlen den Anwendern eine gewisse Beharrlichkeit: Eine Strategie, die sich ständig ändert, ist eine schlechte Strategie", fasst Telekom-Manager Kaumanns das Thema zusammen.
Dass sich der Aufwand lohnt, davon sind alle Teilnehmer des IDG-Round-Tables überzeugt. Jedes noch so kleine Projekt führe demnach zu Produktivitätssteigerungen und wertvollen Learnings, wenn es "ordentlich" durchgeführt wird. Es komme vor allem darauf an, realistisch zu sein und nicht den Kopf in den Sand zu stecken, wenn der Roll-out einmal länger dauert, so Nieweg von Device Insight. "Ist die Lösung implementiert, hat man viel Freude damit und kann IoT für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle nutzen."
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