Experten diskutieren Future Connectivity

Ohne Netzwerk ist alles Nichts

12.12.2023
Von 
Florian Stocker ist Inhaber der Kommunikationsagentur "Medienstürmer".
Steigende Datenmengen bringen bestehende Netzwerke an ihre Grenzen. Unternehmen sollten darauf nicht ausschließlich mit immer mehr Bandbreite, sondern auch mit intelligenten Alternativen reagieren.
Auch wenn sie häufig stiefmütterlich behandelt wird: Drahtgebundene und drahtlose Connectivity spielt im KI- und Cloud-Zeitalter eine wichtige Rolle.
Auch wenn sie häufig stiefmütterlich behandelt wird: Drahtgebundene und drahtlose Connectivity spielt im KI- und Cloud-Zeitalter eine wichtige Rolle.
Foto: Funtap - shutterstock.com

Es gibt Themen in der IT, die fehlen in keiner Diskussion - und dann gibt es noch das Netzwerk. Begriffe wie Connectivity, IT/OT oder LoRaWAN landen eher selten auf der Trend-Agenda. Das mag an der Vergleichsweise hohen Komplexität liegen, hat aber auch etwas mit der Erwartungshaltung zu tun, die an das Netzwerk gestellt wird. In den Augen vieler Experten gilt die Connectivity sogar als "ungeliebtes Stiefkind der IT".

"Das Netzwerk wird in Unternehmen häufig nicht als strategisch angesehen, aber wenn es nicht funktioniert, ist der Aufschrei groß", stellt zum Beispiel Bianca Weissenbach fest, die bei der IBM-Ausgründung Kyndryl die Bereiche Network und Edge verantwortet. Insbesondere in der Dynamik der Cloudifizierung sei der Fokus auf das Netzwerk ein bisschen verloren gegangen.

Das ist doppelt schade, weil in diesem Bereich eigentlich viele Potenziale schlummern. Der konkrete Nutzen liegt zum Beispiel in der nahtlosen Verbindung von IT Informationstechnologie (IT) und operativer Technologie (OT), insbesondere in der industriellen Produktion. Durch das richtige Setup rückt die IT an Anlagen und Maschinen heran. Intelligente Sensoren erfassen vielfältige Daten, die Maschinen sind durch das Internet of Things miteinander verbunden. Die daraus generierten Daten bilden die Grundlage für Analysen, die Optimierungsmöglichkeiten in der Produktion aufzeigen und neue Dienstleistungen für die operative Technologie (OT) ermöglichen.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Future Connectivity 2024'

Mehr Daten, mehr Bandbreite?

Mit der zunehmenden Verbreitung von Endpunkten steigt allerdings auch die Menge der digitalen Daten, die sie erzeugen. Um diese rapiden Zunahme in den Griff zu bekommen, braucht es Strategien, die über die reine Erweiterung von Kapazitäten hinausgehen. Bedeutete Netzwerk früher vornehmlich, Daten als Vehikel vom einen zum anderen Ort zu bringen, geht es heute darum, unzählige Endpunkte so zu orchestrieren, dass die Datenströme verschiedenen Anforderungen genügen: Geschwindigkeit, Distanz, Sparsamkeit, Intelligenz sind nur einige der Variablen, die je nach Nutzungsszenario anders gewichtet werden und wegen der Datenautobahn einen lebendigen Organismus werden lassen.

"Die Antwort kann nicht sein, immer eine noch dickere Leitung zu legen", stellt auch Thomas Huber von Nutanix fest. "Die Frage wird künftig eher lauten: Welche Daten müssen überhaupt übertragen werden und in welcher Form? Mit einem reinen Bandbreiten-Ansatz kommen wir nicht mehr weiter."

Auf dem Weg dorthin steht den Providern eine Reihe von Technologien zur Verfügung, die die sinnvolle Verbindung physischer und virtueller Netzwerke ermöglichen. Dazu gehören insbesondere das 5G Network Slicing, Cloud Computing und Edge Computing. Network Slicing ermöglicht beispielsweise den Aufbau mehrerer (virtualisierter und unabhängiger) Netze auf einer gemeinsamen physischen Infrastruktur. Jeder "Slice" oder Teil des Netzes kann je nach den spezifischen Anforderungen der Anwendung, des Anwendungsfalls oder des Kunden zugewiesen werden.

IT und Infrastruktur verschmelzen

Die Virtualisierung des Netzwerks hat auch Auswirkungen die Anbieterstruktur, wie Rainer Weigle von Schneider Electric feststellt: "Wir sehen gerade einen neuen Markt entstehen. Mit den Hyperscalern treten neue Player auch im Netzwerk auf den Plan, um "Compute for Communication" möglichst nah an die Unternehmen zu bringen. IT und Infrastruktur werden dadurch immer mehr verschmelzen. Und wir werden eine Zunahme von On-Premises-Computing sehen, sowie eine Etablierung der Hybrid Cloud."

Die klassischen Anbieter im Markt sollten die Entwicklung aber nicht fürchten, sondern proaktiv auf die neuen Größenverhältnisse reagieren. Für Kyndryl-Managerin Weissenbach ist deswegen jetzt die richtige Zeit, Allianzen zu bilden: "Ich kann den Marktteilnehmern nur empfehlen, keine Angst vor Partnerschaften zu haben. Gerade in der Harmonisierung von IT und OT entstehen große Potenziale und der Kuchen wird langfristig eher größer."

Das Netzwerk muss mit am Tisch sitzen

Die Technologien wären da, das Problem ist allerdings wie so oft die Umsetzung. Das Netzwerk scheint nicht so oft Teil der IT-Agenda zu sein, wie es sollte. Und so konstatieren die Teilnehmer des Computerwoche Research-Roundtable "Future Connectivity", dass IT-Projektverantwortliche zwar schnell mit Superlativen sind, dabei die Basics aber entweder nicht berücksichtigen oder als gegeben hinnehmen.

Auch Phil Horn von Verizon sieht in dieser fehlenden Awareness eine Hürde, an der viele Projekte schon im Vorfeld scheitern. "Leider sitzt die Netzwerk-Kompetenz oft nicht mit am Tisch, wenn Entscheidungen getroffen werden. Berater erstellen über Jahre die schlausten Konzepte und dann funktioniert nichts, weil niemand an die Infrastruktur-Ebene gedacht hat."

Und wenn auf der konzeptionellen Ebene die Voraussetzungen stimmen, dann kommt oft noch der Faktor Compliance ins Spiel: "Die Umsetzung von 5G in der Fabrik ist immer noch ein Painpoint, weil oft die Compliance große Hürden darstellt. Das wird von vielen Unternehmen unterschätzt", so Schneider-Electric-Maanger Weigle. Für ihn ist es deswegen wichtig, organisatorisch gegenzusteuern und Stellen zu schaffen, die das Thema Digitale Transformation in ihrem Verantwortungsbereich bündeln.

Eine Strategie kann sein, einen eigenen "Chief Transformation Officer" zu bestellen, der die Stakeholder aus OT und IT an einen Tisch bringt. Aber auch technologisch fehlten oft die Voraussetzungen, etwa in Form der richtigen Sensorik auf dem Shopfloor. Der Status Quo vor Ort bildet in der Regel den limitierenden Faktor bei der Modernisierung der Infrastruktur. "Ich sollte immer bereit sein, eine Technologie in die bestehende Infrastruktur einzupassen und nicht auf die nächste "grüne Wiese" zu warten", sagt Horn.

Studie "Future Connectivity 2024": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Future Connectivity führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Verantwortlichen durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (regina.hermann@foundryco.com, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (manuela.raedler@foundryco.com, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

KI demokratisiert das Netzwerk

Natürlich findet auch eine Connectivity-Diskussion nicht abseits allgemeiner Trends statt. Auch hier ist das Thema KI einerseits omnipräsent und andererseits unklar definiert. Diese Mentalität kritisiert auch Nutanix-Manager Huber: "KI ist sicher ein tolles Buzzword. Aber Data Analytics ist erstmal nur Analytics und noch keine KI. Alleine davon würden viele Unternehmen schon profitieren, ohne gleich die große KI-Klaviatur spielen zu müssen."

Die Devise lautet also auch hier: Erst einmal mit einer vernünftigen Datenstrategie anfangen, bevor man gleich die großen KI-Utopien aufmacht. Beispiele für gelungene Use Cases gibt es mittlerweile genügend: Bei der Funkzellenpaarung, im Kundenservice, aber auch in sogenannten "self-optimizing networks" wird schon auf Machine Learning und künstliche Intelligenz zurückgegriffen. Die Provider machen bereits heute ihre Erfahrungen mit der Technologie. In der Reduktion von Komplexität sehen die Teilnehmer des Roundtables auch einen Hauptnutzen von KI.

Peter Gaspar von A1 Digital leitet daraus auch einen neuen Anspruch ab: "Es ist Aufgabe unserer Branche, die Technologie durch einfache Handhabung zu demokratisieren. Das bedeutet, dass wir die Integrierbarkeit von Diensten, die nötige Abdeckung, aber auch ein hohes Maß an Servicequalität bieten."

Provider sollten ihren Teil zu dieser Demokratisierung leisten und unvoreingenommen, lösungsorientiert und einfach kommunizieren. Die Consulting-Rolle rückt dadurch mehr in den Mittelpunkt und es liegt in der Hand der Branche, aus der vorhandenen Technologie ein nützliches zu machen. Die Schlussfolgerung des Verizon-Vertreters Horn lautet deswegen: "Auch wenn Unternehmen ein ganz ordentliches Netzwerk hinbekommen, bleiben sie doch oft hinter dem technisch Machbaren zurück. Das können wir nur mit Zusammenarbeit beheben. Die zentralen Fragen: Was ist möglich und was will man erreichen?"

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Future Connectivity 2024'