Streichungen unausweichlich?
Ähnlich sieht es Forrester-Analyst Andre Kindness, der darauf hinweist, dass das fusionierte Unternehmen mehrere Produktlinien für Wireless Access Points sowie redundante Routing- und Switching-Betriebssysteme und Verwaltungsplattformen haben wird. "Produkte werden verschwinden müssen, auch wenn dies nicht sofort der Fall sein wird", prognostiziert Kindness.
KI als Kronjuwel
Doch wo liegt nun das Asset der Übernahme, wenn HPE sich nicht nur einen Sack an Problemen einkaufen will? Das Kronjuwel ist die KI-Technologie von Juniper. Diese hatte das Unternehmen 2019 mit dem Kauf von Mist Systems 2019 erworben und in sein Produktportfolio integriert. So drehte sich auch jede öffentliche Aussage von HPE-CEO Antonio Neri zur Juniper-Übernahme um das Thema KI.
Zwei Jahre Vorsprung
Laut Kindness ist der KI-gestützte virtuelle Netzwerkassistent Juniper Marvis, "die bei weitem fortschrittlichste KI-Lösung auf dem Netzwerkmarkt". In seinen Augen hat Juniper dabei einen geschätzten Vorsprung von zwei Jahren gegenüber der Konkurrenz. Auch Townsend weist darauf hin, dass HPE weitere KI-Tiefe benötigt, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Juniper könnte in diesem Bereich liefern.
Vielleicht war es deshalb kein Zufall, dass sich HPE-Chef Neri Juniper gleich nach der Übernahme von Splunk durch Cisco geschnappt hat. Schließlich betonte Cisco-CEO Chuck Robbins, dass der Splunk-Deal Cisco in die Lage versetze, "die Art und Weise zu revolutionieren, wie unsere Kunden Daten nutzen, um jeden Aspekt ihrer Organisation zu verbinden und zu schützen, während wir helfen, die KI-Revolution voranzutreiben und zu schützen."
Dem kontert nun Neri mit dem Argument, dass ein konsolidierter Juniper/HPE-Stack mit Schlüsselkomponenten wie dem Slingshot-Interconnect von HPE in allen Bereichen mit Cisco konkurrieren könne. Tatsächlich wird HPE mit der Übernahme von Juniper zu einem Unternehmen, das sich in erster Linie auf Netzwerke konzentriert.
HPE wird zur Netz-Company
So entfallen künftig 31 Prozent des Gesamtumsatzes auf den Bereich Netzwerke, der damit zum größten Geschäftsbereich von HPE wird. Außerdem werden 56 Prozent des operativen Gewinns auf diesen Bereich entfallen. Dies spiegelt, so Forschungsdirektorin Morgan, die höheren Gewinnspannen rund um Netzwerkausrüstung wider. Dies könnte für HPE wichtig sein, denn das Unternehmen hat Schwierigkeiten, seinen Umsatz mit Servern und Speichern zu steigern.
Neue Chancen für Arista und Extreme
Allerdings weist Morgan auch daraufhin, dass selbst das kombinierte Unternehmen HPE-Juniper - unter der Prämisse, dass es seinen gesamten Umsatz mit Unternehmensnetzwerken ohne Kannibalisierung aufrechterhalten kann - immer noch weniger als ein Viertel des Marktanteils von Cisco erreichen würde. Mit Blick auf die Netzwerkbranche im weiteren Sinne haben Arista und Extreme laut Chefanalyst Kerravala bei der Übernahme am meisten zu gewinnen. So habe sich Arista als High-End-Alternative zu Cisco positioniert und arbeite sich auf dem Markt nach unten vor. Extreme habe die Übernahmen von Avaya, Brocade und Aerohive erfolgreich integriert, und "das Timing könnte nicht perfekter sein, da das Unternehmen jetzt konkurrenzfähig ist".
Schwere Zeiten für Dell?
Doch noch ein anderer Aspekt sollte bei der Übernahme von Juniper durch HPE nicht vergessen werden: Das Konkurrenzverhältnis von HPE zu Dell. Beide Unternehmen buhlen um Kunden, die ein Komplettangebot aus einer Hand wünschen, das ASICs, Netzwerke, Computerhardware, Software, KI und Dienstleistungen umfasst. "Und HPE hat hier jetzt einen deutlichen Vorteil gegenüber seinem größten Konkurrenten im Bereich Computing und Services. Denn Dell hat sich im Bereich Netzwerke schon immer schwergetan", meint Morgan.