Jedes Handy kann Dinge, die kein CIO je vorgesehen hatte. Jeder Lehrling trägt mehr Collaboration-Tools in der Jackentasche als sein Meister auf dem Unternehmens-Laptop. "Beim Thema Mobility ist jeder User weiter als sein Betrieb", resümiert Kai Höhmann, Vorstand der Seven Principles AG. Ein wenig übertreibt der Dienstleister dabei vielleicht. In einem Punkt hat er aber sicher recht: "Der Consumer ist die Benchmark, um den Erfolg einer Mobile-Strategie zu messen."
What's App et al. schaffen in der Belegschaft Begehrlichkeiten, mit denen sich die Unternehmen schwertun. "140 000 Mitarbeiter werden wir nicht mit mobilen Geräten ausstatten", sagt zum Beispiel Markus Voss, Senior Vice President für die Supply Chain bei DHL. Derzeit haben die Logistiker gerade einmal sieben Prozent der Mitarbeiter versorgt. Und bei jedem weiteren Prozent fragen sich die Verantwortlichen genau, was sie damit bei den Usern bezwecken: "Unsere Leute brauchen beide Hände, um Kartons aus den Regalen zu nehmen", so fasst Voss die Kritikerposition zusammen. Praktische Dinge wie "Pick by Voice" finden Eingang in die mobile Strategie. Wearables werden pilotiert: "Das könnte noch mal was ändern", sagt Voss, "aber so weit sind wir noch nicht."
Da geht es ihm wie den meisten CIOs. Bei allem, was neu, schön und sexy ist, müssen sie erst mal nachrechnen, was das dem Business bringen könnte. Das zeigt die Lünendonk-Studie "Mobile Enterprise Review". Auf die Frage: Würde Ihr Unternehmen erfolgreicher sein, wenn Ihre Mitarbeiter mit noch mehr mobilen Devices und mobilen Applikationen arbeiten könnten?, antworteten zunächst einmal 58 Prozent aller Befragten: Ja
(siehe Grafik 1). Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass CEOs, CFOs oder Einkaufsleiter die Frage sogar zu 73 Prozent bejahen. Die Gesprächspartner mit IT-Funktion, also CIOs, Bereichsleiter IT und CISOs, sehen das nur zu 55 Prozent so. Der Unterschied von 18 Prozent ist eine Kuriosität, die sich sonst an keiner Stelle in der IT findet.
Eigentlich müssten alle CIOs Hurra schreien: Zum ersten Mal schätzen Business-Verantwortliche den Wert einer IT-Lösung für das Unternehmen höher ein als die IT-Verantwortlichen selbst! Tatsächlich macht sich erst einmal Skepsis breit: "Als ITler denkt man sofort: Um Gottes Willen, wie kriege ich das eingebunden", sagt Alexander Nowotny, CIO der Scout24 Holding. Die einfachen Dinge wie E-Mail, Kalender oder Kontakte auf dem Smartphone machen ihn dabei nicht bange, wie übrigens kaum einem CIO (Grafik 2).
Mulmig wird Nowotny bei dem Gedanken, dass die Non-ITler ja noch ganz andere Erfahrungen aus ihrem privaten Leben mitbringen. Der automatische Calypso-Klang einer App zum Beispiel, falls der lang ersehnte Oldtimer endlich bei Autoscout24 angeboten wird. Oder Location-based Services, die dem Mobilphone auch noch sagen, wenn der Wagen in greifbarer Nähe steht. Solche, auf der Consumer-Seite erlernten Erfolgserlebnisse ließen sich auf der B2B-Seite nun mal nicht so eben erzeugen: "Ich glaube, dass das Integrationsthema deshalb bei den CIOs sehr großen Einfluss auf die Antworten hatte", meint der IT-Chef von Scout24. "Ich stelle den Business-Nutzen eher infrage, weil ich oft schon erahne, welche Erwartungen die Vertreter des Business haben."
Auf die Frage: "Welches sind Ihre wichtigsten geschäftlichen Ziele beim Thema Mobile?" lautet die beliebteste Antwort: Steigerung der Prozesseffizienz. Das ist die Königsdisziplin, an der alle arbeiten, über alle Branchen hinweg. Beispiele dafür gibt es reichlich: Die Restaurantbedienung, die die Bestellung in das Gerät tippt, das später auch die Rechnung ausspuckt. Der Autohändler, der sich mit dem Kunden in den Vorführwagen setzt und schon mal am Tablet registriert, dass der Autohimmel beige werden soll. Der Taxifahrer, der zum Kunden mit der My-Taxi-App eilt, ohne dass je eine Taxizentrale von dem Auftrag erfährt. Jürgen Martin vom Dienstleister Devoteam liefert beim Roundtable-Gespräch das anschaulichste Beispiel: "Die Bahn hat mir gerade eine SMS geschickt, dass mein Zug heute Mittag später abfahren wird."
Doch halt! "Nachrichten aufs Handy zu schicken, das ist nicht das, was wir mit Steigerung der Prozesseffizienz meinen", sagt Studienersteller Hartmut Lüerßen, Partner bei Lünendonk. Es entspannt sich eine kleine Debatte, ob es schon als Prozessveränderung gelten kann, wenn die Bahn aus den Tiefen ihrer Systeme Verspätungen an die Kunden meldet. Ein wirklich neuer Prozess wäre doch, wenn die Bahn gleich einen neuen Platz in einem anderen Zug reserviert, meint ein Teilnehmer. Alle stimmen zu. Dann wird es für ein paar Sekunden still im Konferenzraum von Computerwoche und CIO-Magazin. Alle erahnen, was das nun wieder für Anforderungen an die IT nach sich zieht.
"Wir haben als ITler die Verantwortung, das ganzheitlich zu denken", erklärt Reinhold Rehbichler, CIO der Teambank. Sein Haus schließt Ratenkredite mit den Kunden der genossenschaftlichen Volks- und Raiffeisenbanken ab. Rehbichler kann durchaus verstehen, dass CIOs das Thema Mobility etwas nüchterner betrachten als CEOs. Er hat schon Erfahrung, was es heißt, ein Kreditgeschäft auf dem Handy zu beginnen und dann kanalübergreifend am Schalter abzuschließen. Wenn ein Kunde von "easyCredit" seine Daten mühselig über das Handy in die Eingabemaske gefingert hat und dann online um ein Beratungsgespräch bittet, dann will er nicht vor Ort in der Bank wieder von vorne anfangen.
Banken, Dienstleister und alle, die B2C-Services anbieten, sehen in der Verbesserung der Kundenbeziehungen die edelste Aufgabe von Mobility - noch vor Prozessverbesserungen. Hartmut Lüerßen von Lünendonk unterscheidet in seiner Studie drei Cluster von Branchen, die den Nutzen von Mobility ganz unterschiedlich verorten. Während bei der Prozesseffizienz noch alle ganz nah beieinanderliegen, schätzen sie den Wert der Kundenbindung völlig unterschiedlich ein. Hier sind es die Banken, Dienstleister und B2C-Anbieter, die die größten Erwartungen hegen - deutlich höhere als zum Beispiel die Vertreter von Gesundheitswesen und öffentlichem Dienst.
Zurück zum Kernergebnis der Studie: Unabhängig von den Motiven glaubt die Mehrheit der Befragten, dass sie ihre Geschäftsziele mit Mobility noch viel besser unterstützen könnte, als das derzeit der Fall ist. Da drängt sich natürlich die Frage auf, warum die Befragten dann nicht einfach loslegen? "Collaboration wird sicher noch mehr kommen - nur dass wir das nicht nutzen können, weil wir da in rechtliche Probleme geraten", erklärt Rehbichler von der Teambank. Security, Datenschutz und Compliance sind nach wie vor die größten Hindernisse für Mobility, das bestätigt auch die Lünendonk-Studie. "Endanwender kümmern sich einfach nicht um Sicherheit", resümiert Nowotny von Scout24.
Eine weitere Hürde stellen aber immer noch die vielen Systeme dar, die derzeit unterstützt werden wollen. Von Apple iOS über Android bis hin zu den verschiedenen Windows-Systemen reicht das Betätigungsfeld (siehe Grafik 3). Erstaunlich gut hält sich in diesem Reigen auch noch Blackberry, das fast 50 Prozent der Befragten unterstützen. "Aber der von mir sehr geliebte Blackberry reicht den Entwicklern natürlich längst nicht mehr", erzählt Nowotny. "Als die iPhone-Bombe einschlug, hat mich das schon gefordert. Aber jetzt mit Android und den vielen Herstellereigenheiten ist es nahezu nicht mehr zu handhaben."
"Schade in dem Zusammenhang ist das Thema Windows Phone", ergänzt Voss von DHL. "Das wäre eigentlich unsere Präferenz gewesen. Wir wollten das wirklich. Aber es wäre vom Zusatzaufwand nicht gerechtfertigt gewesen." Voss hat gerade noch analysiert, welche Geräte in seinem Verantwortungsbereich laufen. "Bring Your Own Device" hat bei den Logistikern zu folgender Verteilung geführt: 1600 iOS, 1000 Androids, 40 Windows. "Das heißt aber nicht, dass Windows Phone nicht noch kommen kann", kommentiert Voss.
Kann sein. Denn natürlich würden alle CIOs am liebsten nur ein System unterstützen. Knapp 30 Prozent der Befragten machen im Augenblick auch genau das. 50 Prozent unterstützen immerhin zwei bis drei Systeme. Gut 20 Prozent leisten sich den Luxus, mehr als drei Systeme zu unterstützen. Dass das Unterstützen mehrerer Systeme kein Zustand ist, darüber sind sich alle einig. "Jetzt alles mobil zu machen, da läuft man in Kostenstrukturen, das lässt sich irgendwann nicht mehr rechtfertigen", sagt Rehbichler. So erklärt sich, warum CIOs nicht die volle Begeisterung der Business-Verantwortlichen teilen. Noch nicht. "Aber es wird irgendwann eine mobile Standardplattform geben, die alles abdeckt", sagt der Teambank-CIO.