Experten diskutieren Cloud Transformation

Migration heißt nicht Transformation

08.01.2024
Von 

Gerhard Holzwart begann 1990 als Redakteur der COMPUTERWOCHE und leitete dort ab 1996 das Ressort Unternehmen & Märkte.  Ab 2005 verantwortete er den Bereich Kongresse und Fachveranstaltungen der IDG Business Media GmbH und baute „IDG Events“ mit jährlich rund 80 Konferenzen zu einem der führenden Anbieter von ITK-Fachveranstaltungen in Deutschland aus. Seit 2010 ist Gerhard Holzwart geschäftsführender Gesellschafter der h&g Editors GmbH und ist in dieser Funktion als Event Producer, Direktmarketingspezialist und ITK-Fachredakteur tätig.        

Trotz eines vielfältigen Modernisierungsdruckes zögern viele IT-Verantwortliche die wahre Cloud-Transformation heraus und offenbaren dadurch große Defizite.
Cloud Migration heißt nicht automatisch Cloud Transformation. Auf dem Weg in die Wolke gibt es zahlreiche Hindernisse zu überwinden.
Cloud Migration heißt nicht automatisch Cloud Transformation. Auf dem Weg in die Wolke gibt es zahlreiche Hindernisse zu überwinden.
Foto: IgorZh - shutterstock.com

Applikationen und Services aus der Cloud zu beziehen, schien seit geraumer Zeit auch in Deutschland längst Commodity zu sein. Vordergründig betrachtet stimmt dies auch, doch erst jetzt geht es für viele Unternehmen ans Eingemachte. Nach der - oft aus den Fachbereichen initiierten - Nutzung einzelner Applikationen in Form einer Software-as-Service-(SaaS)-Lösung stehen nun oftmals die alten Legacy-Systeme und damit häufig die Kernprozesse zur Disposition. Denn lange, vielleicht zu lange, blieb die on-premises gehostete Legacy-Welt abgesehen von Wartungsarbeiten und regelmäßigen Updates unangetastet. Zu aufwändig und zu teuer, hieß es vielerorts. Und: "Never touch a running system" - gemünzt auf Anwendungen, die sich oft im jahrzehntelangen Einsatz als stabil, fehlerfrei und damit sicher erwiesen haben.

Doch mittlerweile zwingt die Digitalisierung Firmen und Organisationen, sich grundlegender als bisher zu verändern, mit entsprechenden Konsequenzen für die Geschäftsprozesse und IT-Infrastruktur. Einzelne Pilot- oder Leichtturmprojekte in der Cloud reichen nicht mehr, Cloud-native heißt vielmehr das Gebot der Stunde - für alle Applikationen und damit die Softwareentwicklung.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Cloud Transformation 2024'

Legacy gilt als Innovationsbremse

Damit steigt der Modernisierungsdruck auf vielfältige Weise. Auf der Agenda stehen jetzt vermehrt die Auslagerung geschäftskritischer Workloads, damit verbunden neue Herausforderungen beim Engineering cloud-nativer Applikationen und in Konsequenz daraus ergeben sich Veränderungen in nahezu allen Workflows und Geschäftsprozessen. Gleichzeitig entpuppt sich der Einzug von immer mehr KI-basierten Anwendungen als weiterer Katalysator für die Cloud. Vor diesem Hintergrund sieht inzwischen die Mehrzahl der CIOs, CTOs und IT-Verantwortlichen die eigene Legacy-Welt und damit den Großrechner als Innovationsbremse und zieht in Betracht, sich davon zu verabschieden.

"Der größte Treiber für die Cloud ist die Digitalisierung vieler Produkte sowie Dienstleistungen und in Konsequenz daraus vieler Geschäftsprozesse. Jedes Unternehmen, auch die kleinen Mittelständler, müssen daher massiv in ihre Modernisierung investieren und sich neu erfinden", bringt Mario-Leander Reimer, Geschäftsführer und CTO der QAware GmbH, im Rahmen der Expertendiskussion zum Thema "Cloud Transformation" auf Einladung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE die aktuelle Situation für die Anwender auf den Punkt.

Doch wie ausgeprägt ist aktuell die Bereitschaft zum nötigen Wandel? Wie stringent ist das Vorgehen der Firmen? Antwort: allenfalls durchschnittlich. Nach Ansicht nicht weniger Experten nehmen derzeit viele Unternehmen trotz des besagten Modernisierungsdrucks die Transformation in die Cloud immer noch halbherzig und daher nicht professionell in Angriff.

Keine strategische Vorbereitung

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Häufig wird der Prozess einer Cloud Transformation nicht strategisch vorbereitet und vom Ende her gedacht. Geht es lediglich um eine Reduktion der IT-Betriebskosten, wollen die Business-Verantwortlichen neue digitale Geschäftsmodelle samt verbesserter Customer Experience mit Hilfe der Cloud lancieren oder geht es allgemein um eine Optimierung der IT-Kerndisziplinen Security, Agilität und Skalierbarkeit? Wählt man einen "Big-Bang"-Ansatz, der die Migration aller wichtigen Anwendungen auf einmal vorsieht, oder will man eher schrittweise vorgehen? Setzt man auf weitestgehend neu entwickelte Prozesse und Workflows oder sollen bestehende Anwendungen und Daten via "Lift-and-Shift" in die Cloud übertragen werden? Entscheidend ist: Von der jeweiligen Zielsetzung hängt die Wahl der richtigen Transformations-Strategie ab.

Letzteres klingt selbstverständlich, findet dennoch im Tagesgeschäft zu wenig Beachtung. Bernd König, Head of Business Development DACH bei Fortinet, wirbt in diesem Zusammenhang für eine fundierte Vorgehensweise: "Es geht nicht darum, in die Cloud um ihrer selbst willen zu gehen, nur weil es gerade populär ist. Die essenzielle Frage für jedes Unternehmen ist: Wo will das Business hin und inwieweit kann eine Cloudifizierung dabei helfen?"

Was tatsächlich häufig in den Unternehmen geschieht, beschreibt Thomas Strigel, Leiter Geschäftsfeldentwicklung Managed Solutions & Consulting bei der SPIRIT/21 GmbH, so: "Viele Firmen nehmen lediglich eine Migration, aber keine Transformation in Angriff. Die Cloud kommt häufig in Form einer vom Fachbereich initiierten SaaS-Lösung oder U-Boot-mäßig aufgesetzten Umgebungen bei Hyperscalern in das Unternehmen. Die IT versucht dann, mit möglichst geringem Aufwand die Infrastruktur zu modernisieren - auch da kommt dann sehr schnell die Cloud ins Spiel. In Summe führt dies häufig zu einem Wirrwarr in den Prozessen sowie Applikationen und trägt zur Verunsicherung der Mitarbeiter bei. Gleichzeitig ist diese Vorgehensweise Spiegelbild einer in sich nicht konsistenten Strategie."

Mit ein Grund, warum sich so manches Unternehmen von einer trügerischen Cloud-Euphorie hat leiten lassen, war natürlich auch der Lockdown während der Pandemie, wie Orli Shahidi, Account Manager bei Getronics, feststellt: "Als es darum ging, quasi über Nacht im großen Stil Home-Office-Arbeitsplätze einzurichten, lernten viele Unternehmen die Vorzüge der Office-365-Welt kennen."

Doch für nicht wenige CIOs bedeutete es bereits einen nicht unerheblichen Kraftakt, Home Workplaces für die Beschäftigten einzurichten. Für weitergehende Auslagerungsprojekte waren und sind weder die Unternehmen noch deren IT-Organisationen richtig vorbereitet. Fehlende Fachkräfte und damit Skills, vermeintlich hohe Kosten einer Cloud-Migration sowie eine eingeschränkte Innovationsfähigkeit und Agilität im Bereich der Softwareentwicklung sind oft die weiteren Motive für das Zögern oder das unvorbereitete Wagnis, in die Cloud zu gehen.

Umso wichtiger ist es, neben den genannten grundsätzlichen Entscheidungen hinsichtlich der eigenen Cloud-Strategie diese dann auch mit einem konkreten Migrationsplan zu hinterlegen, der einzelne wichtige Schritte abdeckt. Zu diesen gehören Datenmigration und -Integration ebenso wie die Vertraulichkeit und Integrität der Unternehmensdaten während des Migrationsprozesses. Hinzu kommen die klassischen Aufgaben wie Projektmanagement sowie Mitarbeiterschulung.

Studie "Cloud Transformation 2024": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Cloud Transformation führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Verantwortlichen durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (regina.hermann@foundryco.com, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (manuela.raedler@foundryco.com, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Mittelständler sind oft überfordert

Insbesondere kleinere mittelständische Unternehmen sind in der Regel mit dieser Aufgabenfülle heillos überfordert und müssen sich externe Unterstützung von einem Cloud Services Provider dazu holen. Orli Shahidi bekräftigt: "Die Rolle eines Dienstleisters sehe ich insbesondere darin, den Kunden zu beraten und dessen Transformations-Strategie vorab zu beleuchten. Beleuchten heißt, konkret zu sagen, was geht - und was nicht geht. Wir verstehen uns nicht als Partner für die reine Umsetzung und bloßen Erfüllungsgehilfen. Viele Unternehmen leiden enorm unter dem Fachkräftemangel und sind auf externes Know-how angewiesen. Und mit dem Thema Künstliche Intelligenz wird deren Situation nicht einfacher."

Doch in der Zusammenarbeit mit einem externen Services Provider kommen weitere Faktoren ins Spiel: Reputation des Dienstleisters und dessen Zuverlässigkeit, Kosten, Sicherheit, Bereitstellung der nötigen Rechenleistung, Service Level Agreements und vieles mehr. Mit anderen Worten: Vendor Management ist gefragt. Und spätestens hier trennen Großunternehmen und ein erheblicher Teil der Mittelständler Welten.

Andre Engelbertz, VP Strategy und CTO der T-Systems International GmbH, attestiert der deutschen Wirtschaft die seit langem bekannte, sehr heterogene Cloud Readiness: "Man muss bei der Cloud-Reife von Unternehmen deutlich differenzieren. Nahezu jedes Großunternehmen verfügt heutzutage über eine ausformulierte Cloud-Strategie, die auch umgesetzt wird. Es gibt dort also hinlänglich Erfahrung bei Themen wie Multi-Cloud, der Modernisierung von Legacy-Applikationen oder dem Vendor-Management. Häufig arbeitet man bereits mit mindestens zwei der etablierten Hyperscaler zusammen. Ganz anders sieht es bei den Mittelständlern aus. Dort liegt häufig der Fokus auf Business Operations. Die IT ist lediglich Mittel zum Zweck. Im Hinblick auf die notwendige Modernisierung und Digitalisierung fehlt es an Know-how, Ressourcen und zum Teil auch noch am Willen zur Umsetzung."

Zu einer sehr ähnlichen Einschätzung kommt Ralf Schnell, Head of IT Service Management Solutions EMEA Central bei ServiceNow: "Im Gegensatz zu dem ein oder anderen Mittelständler, wo die Familienpolitik auch die IT-Strategie und die Digitalisierung bestimmt, sehe ich bei fast allen größeren Unternehmen einen hohen Professionalisierungsgrad - sei es in der IT, der Produktentwicklung oder bei den Business-Verantwortlichen. Das Problem dort ist aber, dass diese unterschiedlichen Bereiche sehr unterschiedlich arbeiten und nicht kontinuierlich miteinander reden. Sie verfügen über kein adäquates Tool für die abteilungsübergreifende Kommunikation und Zusammenarbeit und sie werden an unterschiedlichen KPIs gemessen, was zu Konfliktpotenzial führt."

Cloud-Strategie muss gelebt werden

Deutlich härter geht Fortinet-Manager König mit der vermeintlichen Cloud-Reife der größeren Unternehmen ins Gericht: "Es mag ja sein, dass die meisten Großunternehmen eine Cloud-Strategie haben. Aber wird sie auch gelebt? Viele Cloud-Projekte scheitern oder werden erst gar nicht begonnen, weil die betroffenen Fachbereiche und Mitarbeiter nicht rechtzeitig ins Boot geholt und davon überzeugt werden, dass es für sie persönlich und das Unternehmen insgesamt von strategischem Vorteil ist, die Prozesse zu ändern und so weit wie möglich cloud-basiert zu betreiben. Häufig wird dann beim Canceln einer Cloud-Migration mit zu hohen Kosten und einer zu großen Komplexität argumentiert - in Wahrheit ist es ein Change-Management- und damit Führungsthema."

Stichwort Führung: Dieses Paradigma ist nicht nur, aber auch eine Frage der Organisation. Nicht wenige Unternehmen setzen hier inzwischen auf ein so genanntes Cloud Center of Excellence (= CCoE) als ein weiteres Kompetenzzentrum, dessen Aufgabe es im übertragenen Sinne ist, die Balance zwischen Modernisierungsdruck und -tempo auf der einen, sowie Sicherheit und Stabilität im IT-Betrieb auf der anderen Seite zu wahren. In diesem Gremium arbeiten - wenn es richtig zusammengesetzt und implementiert wurde - alle für die Cloud Transformation entscheidenden Verantwortlichen zusammen.

Benedikt Ernst, Director bei Kyndryl Consult, präzisiert die Rolle eines CCoE wie folgt: "Ein CCoE kann wichtig und hilfreich sein - aber immer nur temporär. Wichtig ist, dass Unternehmen dabei über den Tellerrand hinausblicken und sich in dieses Gremium auch externes Know-how sowie detaillierte Branchenkompetenz holen. Intern geht es darum, alle Stakeholder an einen Tisch zu bekommen, insbesondere auch Architekten, IT-Risk- und Security-Verantwortliche sowie die führenden Applications Engineers."

Cloud Center of Excellence kein Allheilmittel

Doch der Teufel steckt auch hier im Detail. Denn ein CCoE sollte, um seinen Zweck zu erfüllen, nicht nur als ein übergeordnetes Aufsichtsorgan fungieren, indem es etwa die lediglich die Cloud-Strategie absegnet und einige Governance-Funktionen übernimmt, sondern ganz konkrete Verantwortung im Tagesgeschäft übernehmen. Nach Ansicht von Thomas Strigel gehört dazu unter anderem die Beantwortung folgender Fragen: "Welche Workloads können beziehungsweise sollen überhaupt in die Cloud? Welche Prozesse lassen sich modernisieren und so vereinfachen, dass sie sinnvoll und wirtschaftlich in der Cloud betrieben werden können? Wie stelle ich das Engineering cloud-nativer Anwendungen sicher? Wie sicher sind meine IT-Operations und welche Konsequenzen hat die Auslagerung vieler Workloads in die Cloud für meine Netzwerk-Infrastruktur?"

Entscheidend für die Arbeitsweise und damit den Erfolg eines CCoE ist somit, dass dieses nicht nur das Regelwerk und die Strategie vorgibt, sondern letzten Endes auch die End-to-End-Verantwortung für die Umsetzung übernimmt und behält. Das kann gut funktionieren, wenn alle bisherigen Instanzen und Hierarchien in der IT-Organisation samt zuständigen Business-Verantwortlichen einen solchen Paradigmenwechsel akzeptieren und ihre neuen Rollen "leben" - die IT sich beispielsweise von einer reinen Operations-Einheit zu einem Technologie-Broker und Business-Partner wandelt.

Es kann aber auch schiefgehen, wenn Zuständigkeiten und Funktionen nicht klar definiert und abgegrenzt sind. Ralf Schnell bemerkt dazu: "Ein CCoE kann auch sehr schnell kontraproduktiv wirken, wenn dort Personen von außen kommend neu im Unternehmen installiert werden und Funktionen ausüben, die eigentlich schon besetzt sind - zum Beispiel in den Bereichen Governance und IT Service Management." Und sein Branchen-Kollege Mario-Leander Reimer ergänzt: "Es ist fatal, wenn ein CCoE quasi aus einem Elfenbeinturm heraus agiert, indem es völlig losgelöst vom Tagesgeschäft den einzelnen fachspezifischen Domänen schlaue Ratschläge erteilt."

Summa summarum gibt es also nicht den einzig entscheidenden und empfehlenswerten Königsweg. Jedes Unternehmen muss bei der Transformation von Workloads in die Cloud spezifische Wege gehen - in Abhängigkeit von Größe, Ressourcen sowie den dedizierten Anforderungen der jeweiligen Branche und Geschäftsmodelle. Unabhängig davon ist es aber immer ein Motivations- und Change-Management-Thema. Andreas Bachmann, CEO von Adacor, stellt dazu abschließend fest: "Man muss beim Thema Cloud-Migration genau hinschauen, wie einzelne Maßnahmen von den Mitarbeitern wahrgenommen werden. Eine On-Premises-Anwendung in die Cloud zu verlagern und dann als SaaS-Lösung zu nutzen, wird in der Regel als reines IT-Projekt angesehen. Anders verhält es sich, wenn mehrere strategische Workloads gleichzeitig in die Cloud transferiert werden, denn dies zieht ja meistens auch signifikante Veränderungen in den Geschäftsprozessen nach sich."

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Cloud Transformation 2024'