Wie wird der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) die Tätigkeiten der Menschen an ihrem Arbeitsplatz verändern? Welche Aufgaben entstehen neu, welche fallen weg - und welche Wirkung entfaltet KI auf Mitarbeiter? Fragen wie diese waren Anlass für IBM und die Gewerkschaft ver.di nach Antworten auf die Frage zu suchen, wie wir künftig arbeiten werden.
Das wurde dann in einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit Unterstützung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales realisiert und vom Research Centre for Education and the Labour Market der Universität Maastricht umgesetzt (PDF-Download). Über das Projekt und die Ergebnisse berichten Marie-Christine Fregin, Research Leader von der Universität Maastricht und Wolfgang Braun, Leiter Tarifpolitik, Compensation & Benefits bei IBM, im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE.
Neue Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine
Was können KI-Lösungen heute schon am Arbeitsplatz leisten und in welchen Bereichen werden sie bereits eingesetzt?
Braun: In Bereichen wie Sachbearbeitung, Personalwesen, Karriereplanung, Kundenberatung oder in der Produktion sind KI-Anwendungen bereits regelmäßig im Einsatz. Das sind zum Beispiel Chat- und Voicebots, die mit uns über natürliche Sprache in Dialog treten, sei es geschrieben oder gesprochen, und Auskunft geben. Cognitive Advisors, also kognitive Assistenzsysteme, können eigenständig Zusammenhänge in großen Datenmengen erkennen und Aufgaben unterstützen oder übernehmen, bei denen es um Informationsbeschaffung und -bewertung geht. Oder das sogenannte Machine Vision, das Bildzusammenhänge erkennt und dadurch beispielweise fehlerhafte Fertigungsteile aussortieren kann. Diese und andere Anwendungen von künstlicher Intelligenz ermöglichen zunehmend selbststeuernde Prozesse und verändern, was und wie wir arbeiten. Daraus ergibt sich eine neue Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine, die längst nicht hinreichend erforscht ist.
Eine Lücke, die Sie nun durch das gemeinsame Forschungsprojekt von IBM und ver.di füllen wollen. Was genau wurde dabei untersucht?
Fregin: Im Zentrum des Forschungsprojektes stand die noch wenig erforschte Identifikation und Quantifizierung der Auswirkungen des KI-Einsatzes auf Produktivität und Qualität des Arbeitslebens. Wir haben Antworten gesucht auf Fragen wie: Inwiefern verändert der Einsatz von KI die Tätigkeiten? Welche Arbeitsaufgaben entstehen neu, was fällt weg? Welchen Effekt hat KI am Arbeitsplatz zum Beispiel auf Produktivität und Servicequalität oder auch auf zum Beispiel Stress und Arbeitszufriedenheit?
Wie sind Sie vorgegangen?
Fregin: Um diese Fragen zu beantworten, haben wir unterschiedliche Forschungsmethoden kombiniert. Neben einem wissenschaftlichen Feldexperiment kamen statistische Datenanalysen zum Einsatz, Interviews und Beschäftigtenbefragungen. Das Besondere an diesem Projekt war aber auch die Möglichkeit, agil in diversen Teams zu arbeiten, mit Kollegen aus den Fachbereichen Ökonomie und Soziologie, KI-Experten von IBM, Gewerkschaftsvertretern und Betriebsräten, der Denkfabrik des Bundesministerium für Arbeit und Soziales und mit Mitarbeitern von Siemens und der Deutschen Telekom, die in Fallstudien eingebunden waren.
In einem der Fallbeispiele geht es um CARL, einer SPoC-Lösung (Single Point of Contact) mit Chatbot, die in der Siemens-Personalverwaltung im Einsatz ist. Ein Ergebnis der Untersuchungen besagt nun, dass die Mitarbeiter "Carl" eher als Unterstützung denn als Jobkiller wahrnehmen. Wie war das Feedback der Mitarbeiter?
Fregin: Die HR-Experten bei Siemens sehen die Lösung als eine nützliche Assistenz an. Carl ist rund um die Uhr für die Beschäftigten da und beantwortet Fragen zu HR-Themen, -Applikationen und -Prozessen und wird heute schon pro Monat über eine Million Mal von Mitarbeitern in 30 Ländern genutzt. Die Lösung entlastet die HR-Experten von einigen sich wiederholenden Aufgaben und schafft Freiraum für neue Aufgaben, die auch im Zusammenhang mit dem KI-Einsatz entstanden sind, wie die Bereitstellung von Daten für das Chatbot-Training. In Interviews bestätigten Mitarbeiter zudem eine subjektive Steigerung ihrer Produktivität und Effizienz, was dann zu einer positiven Bewertung des KI-Einsatzes führte. Dazu kommt, dass sich bislang zwar die Art und Weise der Arbeit geändert hat, nicht aber die Gesamtarbeitsmenge. So, wie sie heute eingesetzt wird, ist die KI nach Erfahrung der HR-Experten also keine Bedrohung für ihre Arbeitsplätze.
Allerdings leistet eine Lösung wie Carl heute weniger, als sie in Zukunft leisten kann. Noch gibt es diverse technologische, organisatorische, strategische wie auch kulturelle und gesellschaftspolitische Engpässe, die den Aufbau einer potenten KI verzögern. KI-Lösungen wie Carl können und werden in der Zukunft dazu beitragen, dass die Berufe sich wandeln und weniger Menschen gebraucht werden als heute.
Braun: Wir stehen vor einer Chance und einer Herausforderung zugleich. Eine Herausforderung, die im Zuge der Sozialpartnerschaft gemeinsam angegangen werden muss und zwar unter der Prämisse, dass KI dem Menschen dienen soll. Wir haben ihren Einsatz selbst in der Hand und können dafür sorgen, dass aus technologischem Fortschritt auch sozialer Fortschritt wird. Damit das gelingt, muss das Miteinander zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften gelingen. Nur so lassen sich gemeinsame Rahmenbedingungen für den Einsatz von KI ableiten, die sowohl politisch und wirtschaftlich als auch gesellschaftlich verankert sind.
Neue Skills und klarer Rahmen
Braun: Ja, das sind sie schon in vielen Fällen. Allen Beteiligten ist klar, wenn KI in Unternehmen sozialpartnerschaftlich und wirtschaftlich zum Einsatz kommen soll, dann gilt es, eine Vielzahl von konkreten Fragen zu klären und einen Anwendungskontext zu finden. Eine elementare Rolle beim Einsatz von KI wird beispielsweise der Aufbau von neuen Fähigkeiten spielen. In jedem Fall braucht der Einsatz von KI aber einen klaren Rahmen. Gemeinsam mit dem Konzernbetriebsrat haben wir 2020 eine Vereinbarung über die Einführung und den Einsatz von KI-Systemen abgeschlossen. Ein wichtiger Bestandteil der Vereinbarung ist zum Beispiel ein KI-Ethikrat, der Arbeitgeber und Mitbestimmung bei der Einführung und Anwendung von KI-Systemen berät und auf die Einhaltung der festgelegten Werte achtet, wie zum Beispiel der Transparenz der KI-Systeme, der Erklärbarkeit der Ergebnisse und der Fairness der Empfehlungen.
Fregin: Und da noch niemand genau weiß, welche Herausforderungen KI und intelligente Automatisierung im Einzelnen mit sich bringen werden, heißt das für uns WissenschaftlerInnen: dranbleiben. Wir müssen weiter Daten und Wissen generieren und so dazu beitragen, die Debatte zu versachlichen, begründete Entscheidungen zu erleichtern und soziale Innovationen zu unterstützen, mit denen der technologische und gesellschaftliche Wandel wirksam und sinnvoll gestaltet werden kann.
Basierend auf den Ergebnissen des Forschungsprojektes - wie erreichen Unternehmen einen sozialpartnerschaftlichen und unternehmerisch effektiven Einsatz von KI?
Braun: Die Rahmenbedingungen ebenso wie konkrete Anwendungen von KI sind gemeinsam im Rahmen der Sozialpartnerschaft auf der betrieblichen Ebene zu entwickeln. Das fördert das Vertrauen und die Technologieakzeptanz bei den Beschäftigten. Nur durch Akzeptanz lassen sich Widerstände gegen den Einsatz neuer Technologien abbauen. Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft Qualifizierung, Training und Anwendung von KI. Werden Führungs- und Fachkräfte intensiv im Umgang mit KI geschult, entsteht Vertrauen in KI und der einzelne Mensch behält die Kontrolle darüber. Zur Qualifizierung gehört übrigens auch die Anpassung der Aufgabenprofile in der Ausbildung.
Fregin: In der Auseinandersetzung mit KI in der Arbeitswelt sollte weder die Praxis noch die Forschung diejenigen übersehen, die in Organisationen am unmittelbarsten vom Technikeinsatz betroffen sind - die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die an Technologien arbeiten oder an der Implementierung von KI und dem Training von Algorithmen beteiligt sind. KI-Anwendungen sind von Anfang an aus der Perspektive von Beschäftigten und Führungskräfte zu betrachten und die Technikfolgen schon bei der Implementierung in den Blick zu nehmen. Aus der Organisations- und Managementforschung wissen wir zudem, wie hilfreich es ist, wenn bei der Gestaltung von Arbeitsplätzen auf Kriterien geachtet wird, wie Anforderungsvielfalt, ein klarer Aufbau und Umfang der Aufgaben, das Aufzeigen des Sinns der Aufgabenstellung, Autonomie und Freiraum bei der Umsetzung und regelmäßiges Feedback durch Führungskräfte, Kollegen, Kolleginnen und Kunden.