ChatGPT im Bildungssektor

Mehr Chancen als Risiken

08.03.2023
Von   IDG ExpertenNetzwerk


Rahild Neuburger ist Dozentin an der Forschungsstelle für Information, Organisation und Management an der LMU München (Fakultät für Betriebswirtschaft) und Geschäftsführerin vom MÜNCHNER KREIS.

Potenziale von ChatGPT in der Bildung

Dies führt uns zu den Chancen von ChatGPT im Bildungskontext. Sowohl bei Lehrenden wie auch bei Lernenden liegen sie primär darin, bestimmte Aufgaben mit Unterstützung von ChatGPT durchzuführen, beziehungsweise an ChatGPT abzugeben und dadurch zeitliche Freiräume zu gewinnen, um sich anderen Tätigkeitsfeldern widmen zu können.

So gewinnen Lehrende beispielsweise Zeit, um sich stärker auf Kommunikation und Interaktion mit Lernenden zu konzentrieren. In Folge könnten sie zum Beispiel gewisse Fragestellungen intensiver diskutieren, sich um Lernende mit Lernschwierigkeiten stärker kümmern oder auch Arbeitsergebnisse der Lernenden gemeinsam mit ihnen reflektieren. Mit Unterstützung von ChatGPT könnten Lehrende mehr und mehr die Rolle eines Lern-Coach übernehmen, während elektronische Tools wie ChatGPT oder auch Video-Tools Aufgaben der Wissensvermittlung übernehmen.

Ähnliche Potenziale lassen sich bei den Lernenden erkennen. Lassen sie bestimmte kognitive Aufgaben mit Hilfe oder durch ChatGPT durchführen, gewinnen sie Freiräume, um sich gezielt auf die Aneignung derjenigen Kompetenzen zu fokussieren, die zukünftig immer wichtiger werden und bei denen es sich nicht unbedingt um reine Wissensaneignung handelt.

Als zunehmend wichtige Kompetenzen zählen insbesondere persönliche Fähigkeiten wie Kreativität, Reflexionsfähigkeit, kritisches Denken, Beurteilungsfähigkeit oder auch lösungsorientiertes Denken. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Ausbreitung von generativer KI im Arbeitsleben, durch die letztlich jeder Einzelne mehr und mehr gefordert ist, Inhalte aller Art kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren. Auch soziale Kompetenzen wie Kommunikation oder Empathie oder auch Mensch-Maschine-Interaktions-Kompetenzen werden in vielen Studien als wichtige "future skills" genannt. Umso wichtiger wird es zukünftig, dies frühzeitig in der entsprechenden Aus- und Weiterbildung zu berücksichtigen.

In einem Bildungskontext, der teilweise noch eher auf Wissensaneignung und Wissensreplikation ausgerichtet ist, spielt die Befähigung zu derartigen Kompetenzen zumTeil noch eine untergeordnete Rolle. In einem zielgerichteten Einsatz KI-unterstützter Tools wie zum Beispiel ChatGPT, aber auch anderer Tools wie Übersetzungs-Tools, könnte somit eine große Chance liegen, für das zukünftige Arbeitsleben zu befähigen.

Veränderte Aufgabenteilung zwischen Mensch und KI

Dies betrifft sowohl die Fähigkeit, mit derartigen Tools problemorientiert umgehen zu können wie auch die Fähigkeit, souverän und kompetent in der zukünftigen Arbeitswelt agieren zu können. Denn gerade KI-unterstützte Tools wie ChatGPT und viele andere, deren Entwicklung zukünftig noch zu erwarten ist, werden das Arbeitsleben zunehmend durchdringen und zu einer neuartigen Arbeits- und Aufgabenteilung zwischen Mensch und Maschine führen. Dabei wird es immer mehr darum gehen, die unterschiedlichen Stärken von Mensch und Maschine problem- und aufgabenorientiert zu verknüpfen.

Die wesentliche Stärke der generativen KI liegt dabei darin, große Mengen existierender Daten für die Generierung von Inhalten zu nutzen.

Die Stärke des Menschen liegt in der Fähigkeit, Kontexte zu erfassen, zu beurteilen, kritisch zu hinterfragen und Entscheidungen auf der Basis dieser generierten Inhalte zu treffen.

In Folge wird sich die Aufgaben- und Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine verschieben, indem sich bestimmte kognitive Aufgaben auf die Maschine auslagern lassen. Andere Aufgaben, für die mehr und mehr die oben schon angesprochenen Kompetenzen notwendig werden, bleiben beim Menschen. Hierauf vorzubereiten, ist eine wesentliche Kernaufgabe der Bildung - egal ob es sich um Aus- oder Weiterbildung handelt. Realisierbar wird dies zum Beispiel durch den gezielten und bewussten Einsatz von generativer KI wie ChatGPT in der Lehr- und Lernsituation mit dem Ziel einer Fokussierung auf den Erwerb zukünftig relevanter Kompetenzen, bei denen der Mensch, zumindest gegenwärtig, der KI noch überlegen ist.

Den Einsatz von ChatGPT sinnvoll gestalten

Denkbar sind Konzepte, bei denen Lernende ChatGPT einsetzen und die kreierten Inhalte im Anschluss beurteilen, bewerten, verbessern oder vergleichen. Oder Lernende könnten von ChatGPT erstellte Inhalte unter bestimmten Fragestellungen gemeinsam diskutieren oder vor dem Hintergrund verschiedener Theorien beurteilen, sie könnten erstellte Inhalte durch eigene Recherchen auf den Wahrheitsgehalt prüfen oder sie lassen selbst erstellte Texte durch ChatGPT beurteilen.

Ähnliche Ideen sind auch aus dem Einsatz von KI-unterstützten Übersetzungstools in Schulen bekannt. Schüler sollten zum Beispiel DeepL für die Übersetzung nutzen und dann nach den am besten zum Kontext passenden Synonymen suchen. Aber auch die Nutzung von ChatGPT, um sich den Lernprozess zu erleichtern und sich in kürzerer Zeit bestimmte Inhalte besser oder verständlicher anzueignen oder Zusammenfassungen zu erstellen erscheint sinnvoll und effizient.

Die Möglichkeiten, ChatGPT im Bildungsbereich bewusst so einzusetzen, dass sowohl bei Lehrenden als auch Lernenden zum einen zeitliche Freiräume entstehen, zum anderen wichtige zukünftige Kompetenzen gefördert werden, sind sicherlich viele. Diese Potenziale gilt es zukünftig kreativ auszuschöpfen und innovative Konzeptideen für einen sinnvollen Einsatz von ChatGPT zu generieren, auszuprobieren und weiterzuentwickeln.

Denn je früher der sinnvolle Umgang mit derartigen Tools gefördert und gelehrt wird, desto besser werden in Schulen aller Art und auch Universitäten Menschen auf die zukünftige Arbeitswelt vorbereitet. Hierzu gehört auch die Fähigkeit, zu entscheiden, wann ChatGPT zum Einsatz kommt, um sich auf andere Aufgaben oder Tätigkeiten konzentrieren zu können. Damit dies gelingt, ist der frühzeitige Aufbau entsprechender Fähigkeiten im Umgang und beim - auch kritischen - Einsatz von ChatGPT schon in der Lehrenden-Ausbildung zu integrieren und zu fördern. Nur so lässt sich auch das oben angesprochene Risiko, von ChatGPT generierte Inhalte unkritisch in den Unterrichtskontext zu übernehmen, reduzieren.

Umdenken bei Prüfungsleistungen

Bewusst zu gestalten sind jedoch auch Regelungen und Modalitäten, um die Missbrauchsgefahr gerade im Prüfungskontext zu vermeiden. Auch hier ist Kreativität gefragt. Denkbar sind verstärkt mündliche Prüfungen, Präsentationen oder auch das klassische Format der Verteidigung der selbst erstellten Abschluss-, Haus- oder Seminararbeiten sowie die Erfordernis fundierter Quellenarbeit. Auch ganz neue Ansätze wie die Erstellung von Filmen, die Bewertung von Co-Referaten oder auch die Bewertung von Moderation und Diskussionsleistung sind denkbar. Letztlich werden durch derartige Prüfungsformate wiederum genau diejenigen Stärken gefördert, die - wie oben angesprochen - als relevant für die zukünftige Arbeitswelt gelten.

Chancen statt Pfadabhängigkeit

ChatGPT und alle weiteren KI-unterstützten Technologien stellen letztlich Instrumente dar, die dem Menschen kognitive Aufgaben abnehmen. Dies gilt auch und gerade für Lehrende und Lernende im Bildungssektor. Auch hier ändert sich durch generative KI das Zusammenagieren von Lehrenden und Lernenden, da beide KI-unterstützt ihren Tätigkeitsbereich unterstützen können. Umso wichtiger ist es, den Einsatz von ChatGPT im Bildungskontext strategisch und kompetenzorientiert zu gestalten, von der KI generierte Ergebnisse kontextorientiert und kritisch zu bewerten und Missbrauch weitestmöglich zu vermeiden.

Möglicherweise bedeutet dies aber auch, in zukünftigen Bildungskonzepten neben der sicherlich wichtigen Wissensaneignung darüberhinausgehende Kompetenzen nochmal stärker zu forcieren und dabei die Chancen einer veränderten Mensch-KI-Interaktion in den Fokus zu stellen. Denn letztlich geht es - wie bei allen Technologien - darum, diese so einzusetzen, dass sie den Menschen unterstützen, um Zeit zu sparen und Arbeitsprozesse zu erleichtern. Hier gilt es, Herausforderungen zu erkennen, aber vor allem kreativ die Chancen zu nutzen. (bw)