COMPUTERWOCHE Research - Expertenrunde S/4HANA

Kein Königsweg zu SAP S/4HANA

28.02.2022
Von 
Dr. Andreas Schaffry ist freiberuflicher IT-Fachjournalist und von 2006 bis 2015 für die CIO.de-Redaktion tätig. Die inhaltlichen Schwerpunkte seiner Berichterstattung liegen in den Bereichen ERP, Business Intelligence, CRM und SCM mit Schwerpunkt auf SAP und in der Darstellung aktueller IT-Trends wie SaaS, Cloud Computing oder Enterprise Mobility. Er schreibt insbesondere über die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen IT und Business und die damit verbundenen Transformationsprozesse in Unternehmen.
Wann der richtige Zeitpunkt für den Umstieg und welcher Weg der richtige ist, welches Betriebsmodell am besten passt und warum Change Management ein Erfolgsfaktor ist: Diese und viele weitere Themen diskutierten die Teilnehmer der virtuellen SAP-S/4HANA-Expertenrunde.
Die Uhr tickt. Die S/4HANA-Migration auf die lange Bank zu schieben, gibt wenig Sinn. Wenn es dann mit einem Mal schnell gehen muss, folgt das böse Erwachen.
Die Uhr tickt. Die S/4HANA-Migration auf die lange Bank zu schieben, gibt wenig Sinn. Wenn es dann mit einem Mal schnell gehen muss, folgt das böse Erwachen.
Foto: Irina Levitskaya - shutterstock.com

Dem ERP-System kommt auch im Zeitalter der Digitalisierung eine zentrale Rolle bei der Unternehmensplanung und -steuerung sowie der Abwicklung von Kernprozessen zu. Vielerorts müssen die vorhandenen ERP-Lösungen jedoch fit gemacht werden für die mit der digitalen Transformation verbundenen Anforderungen.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'S/4HANA 2022'

Aufschieberitis bremst S/4HANA aus

Unternehmen, die SAP ERP beziehungsweise die SAP Business Suite einsetzen, können dies durch einen Umstieg auf die ERP-Suite S/4HANA tun, verspricht Hersteller SAP. Doch an diesem Punkt gibt es noch viel Erklärungsbedarf, wie die Expertenrunde zu SAP S/4HANA gezeigt hat. Vor allem bei mittelständischen Firmen ist die Beharrungskraft groß, das seit Jahren bewährte SAP-ERP-System vorerst nicht anzutasten.

Ein weiterer Grund für das Festhalten am Bewährten liegt auch darin, dass SAP den Support für die Anwendungen der SAP Business Suite, und damit für SAP ERP, bis 2030 verlängert hat. Stand heute stellt der Softwarekonzern die Mainstream-Wartung, die ursprünglich 2025 enden sollte, bis 2027 bereit und bietet für die Zeit danach optional eine erweiterte Wartung bis Ende 2030 an.

Dass die IT-Abteilung oft parallel an mehreren IT-Projekten arbeitet, stellt ebenfalls eine große Hürde dar. Dadurch ist so viel Personal gebunden, dass erforderliche Kapazitäten für den SAP-S/4HANA-Umstieg fehlen. Die Tatsache, dass SAP die Kunden beim Umstieg auf SAP S/4HANA auf die HANA-Datenbank zwingt, scheint für die meisten Unternehmen heutzutage offenbar kein Hinderungsgrund mehr für einen Wechsel zu sein.

Ob ein Unternehmen S/4HANA "auf den letzten Drücker" einführt oder bereits frühzeitig wechselt, hängt in vielen Fällen auch von der Entscheidungsfreude der Geschäfts- und IT-Entscheider ab, sich auf die neuen SAP-Technologien einzulassen. Eines steht dabei fest: Mit jedem Jahr, das ins Land geht, steigt der Druck auf SAP-Anwenderfirmen, was den Umstieg auf die neue ERP-Suite betrifft.

Das ist kontraproduktiv, da ein unter Zeitdruck durchgepeitschter Wechsel das Risiko eines Scheiterns erhöht. Wer den S/4HANA-Umstieg vor sich herschiebt, profitiert auch nicht von neuen Funktionen und End-to-End-Prozessen oder von der User Experience (UX) der Fiori-Oberflächen (SAPUI5), die vor allem Anwender der Generationen Y und Z zu schätzen wissen. Allerdings ist SAP Fiori nicht immer die beste Option. In gewissen Bereichen wird das "klassische" SAP GUI wegen seiner besseren Performance weiterhin das Mittel der Wahl sein.

S/4HANA: Viele Wege führen zum Ziel

Für den Umstieg auf SAP S/4HANA stehen mehrere Wege zur Auswahl:

  1. Die komplette Neueinführung nach dem Greenfield-Ansatz, was den radikalen Neuaufbau der SAP-Landschaft auf Basis der Standardfunktionalitäten von SAP S/4HANA bedeutet.

  2. Die System-Conversion nach dem Brownfield-Ansatz, also die Umstellung der bestehenden SAP-Landschaft auf die neue ERP-Softwaresuite, die sich im Wesentlichen auf Customizing, Entwicklung, die Stamm- und Bewegungsdaten, Berechtigungen und Schnittstellen beschränkt.

  3. Zu guter Letzt gibt es noch die Landscape Transformation. Dieser Ansatz eignet sich, wenn mit S/4HANA die im vorhandenen SAP-System abgebildete Organisationsstruktur reorganisiert oder eine Multi-ERP-Umgebung (SAP und Non-SAP) konsolidiert werden soll.

Den einen Königsweg für den Umstieg gibt es nicht. Welcher Ansatz am besten zu einem Unternehmen passt, hängt von den individuellen Gegebenheiten und Anforderungen ab. Erfahrungsgemäß erfolgt der Wechsel auf S/4HANA am häufigsten nach der Brownfield-Methode. Mit dem Cloud-Tool SAP Readiness Check wird eine technische Systemanalyse durchgeführt und geprüft, ob das aktuell eingesetzte SAP-System eins zu eins auf SAP S/4HANA umgezogen werden kann oder ob zuvor Änderungen vorzunehmen sind.

Um den Anpassungsbedarf der Eigenentwicklungen und individuellen Änderungen zu ermitteln, bietet SAP eine Reihe weiterer Tools (ABAP Test Cockpit, Custom Code Check, Modifikationsabgleich). Die angepassten Programme werden gegen die SAP Simplification List geprüft und direkt übernommen. Wichtig ist aber auch, die Erweiterungen zu identifizieren, die nicht mehr genutzt werden beziehungsweise nicht mehr lauffähig unter SAP S/4HANA sind. Diese gilt es, zu sperren oder zu löschen, sodass die neue ERP-Landschaft möglichst schlank bleibt. Wer eine System Conversion durchführt, sollte diese zuerst abschließen, bevor Innovationsprojekte gestartet werden. Das minimiert Projektrisiken.

Studie "S/4HANA 2022": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema S/4HANA führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, hilft Ihnen Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 161) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Change Management wird oft vernachlässigt

Ob Greenfield, Brownfield oder Transformation: Wichtige Voraussetzungen für den Erfolg einer solchen ERP-Migration sind ein "Big Picture" der künftigen Prozess- und Systemlandschaft und eine genaue Roadmap zur Umsetzung sowie ausreichend Pufferzeit für unliebsame Überraschungen. Genauso wichtig ist es, Führungskräfte und Mitarbeitende in den Fachbereichen durch ein aktives Change Management von Beginn an in ein solches Projekt einzubinden. Schließlich gehen mit einer S/4HANA-Implementierung wesentliche Änderungen einher, wie die Ablösung der klassischen SAP-Modulwelt durch End-to-End-Prozesse.

Obwohl das Change Management ein erfolgskritischer Faktor ist, wird es noch häufig vernachlässigt. Das führt nahezu zwangsläufig dazu, dass sich die Inbetriebnahme von SAP S/4HANA verzögert, Budgets überschritten werden, Zeitpläne aus dem Ruder laufen und Endanwender unzufrieden sind, weil Vorteile und Potenziale neuer Technologien, neuer (End-to-End-)Prozesse oder von SAP Fiori mangelhaft vermittelt werden. Im schlimmsten Fall kann das gesamte Projekt scheitern.

Cloud-Betrieb gewinnt an Bedeutung

Auch die Wahl des passenden Betriebsmodells - On-Premises, Software as a Service (SaaS), Private Cloud - ist ein wichtiger Aspekt. Neben dem On-Premises-Betrieb gewinnt der Cloud-Betrieb von S/4HANA mehr und mehr an Bedeutung - Stichwort Cloud-First-Strategie. Vom Betrieb in der Cloud erwarten Unternehmen in erster Linie, dass sie sich stärker auf das Business und seine Weiterentwicklung fokussieren können und zeitnah von technologischen Innovationen profitieren.

Unter dem Namen RISE with SAP hat der Walldorfer Softwarekonzern ein Angebot auf den Markt gebracht, um Kunden zum Wechsel auf die neue ERP-Suite in der Cloud zu "animieren". Zur Auswahl stehen eine "echte" SaaS-Lösung in der Public Cloud (SAP S/4HANA Cloud) und die SAP S/4HANA Private Cloud Edition. Wie immer steckt auch hier der Teufel im Detail. Hat ein Unternehmen sich nämlich bereits für die System Conversion (Brownfield) entschieden, ist SaaS-Cloud keine Option mehr, sondern nur die Managed Private Cloud oder alternativ das Hosting.

Der Trend geht zwar in Richtung Cloud, doch welches Betriebsmodell sich am besten eignet, ist im Einzelfall durch eine exakte Analyse zu ermitteln. Vorbehalte gegen die Speicherung kritischer Daten, etwa von Personal- und Finanzdaten, in der Cloud haben vor allen deutsche Firmen, wie die Teilnehmer feststellten. Diese als "typisch deutsch" angesehenen Einwände sind jedoch nur schwer nachzuvollziehen, da kritische Daten in redundant ausgelegten Hochleistungsrechenzentren von SAP oder von großen Hyperscalern in der Regel deutlich besser und sicherer aufgehoben sind als im firmeneigenen Rechenzentrum im Keller.

Ob der Wechsel auf die neue ERP-Suite auch der Digitalisierung im Unternehmen großen Schub verleiht, wurde durchaus skeptisch beurteilt. So arbeiteten Firmen schon früher nicht mit "Hammer und Meißel", zudem ist eine Digitalisierung um ihrer selbst willen keine Option, sondern sie muss stets einen klaren Nutzen und Mehrwert für das eigene Geschäft bieten. Oft genügen auch "Quick Wins", etwa in Form einer digitalen, automatisierten, vereinfachten und beschleunigten Reisekostenabrechnung statt einer manuellen mit fehleranfälliger Datenübertragung von Hand.

Einigkeit herrschte bei den Diskussionsteilnehmern am Ende des Tages darüber, dass SAP mehr Klarheit in die eigene Kommunikationsstrategie zu S/4HANA bringen muss, etwa in Bezug auf das Ende der Mainstream-Wartung für die Business Suite oder Programme wie RISE with SAP.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'S/4HANA 2022'