Zu den unbestrittenen Errungenschaften der IT-Geschichte in den letzten zehn bis 15 Jahren gehört, dass die Prozessorientierung auch im IT-Management Fuß gefasst hat. Diese Entwicklung ist eng mit dem Regelwerk ITIL (IT Infrastructure Library) verknüpft; ohne dieses Framework wäre sie nicht möglich gewesen. ITIL stellte erstmals ein durchgängiges Methodenwerk für die Strukturierung und Steuerung der Abläufe bei den IT-Services zur Verfügung.
Selbstverständlich gab es auch ohne ITIL bereits eine Vielzahl funktionierender Prozesse in den Informatikabteilungen der Unternehmen. Allerdings folgten sie keiner durchgängigen Gestaltungsidee - weshalb prozessuale Improvisationen nach dem bekannten Hey-Joe-Prinzip vorherrschten. Die Konsequenz waren eine latente Intransparenz, unzureichende Effizienz und Schwächen im Leistungs-Level der IT-Services.
Solche Bedingungen widersprechen schon damals den Leistungs- und Qualitätserfordernissen, die von den Business-Abteilungen der Unternehmen an die IT-Organisationen gestellt werden. Und in den vergangenen Jahren sind diese Anforderungen mit großer Dynamik gestiegen. Das liegt daran, dass die Geschäftsprozesse bis hin zu den Kunden in immer umfassenderer Weise informationstechnisch unterstützt werden; so können die Verfügbarkeit und andere Qualitätsparameter unmittelbar im Kundengeschäft bemerkbar machen.
Nicht ohne Grund gehören deshalb die IT-Services zu den IT-Disziplinen, die immer wichtiger werden. Seit geraumer Zeit weisen Tools und Dienstleistungen in diesem Umfeld ein überdurchschnittliches Marktwachstum auf. Wie der Branchenverband Bitkom gerade erst prognostizierte, werdne die Ausgaben der deutschen Industrie für IT-Produkte in diesem Jahr voraussichtlich um 3,8 Prozent auf 20,8 Milliarden Euro steigen. Der größte Anteil fällt mit 58 Prozent auf die IT-Services.
Zu komplex für den Mittelstand
Diese besondere Bedeutung der IT-Dienstleistungen resultiert aus dem Bemühen der Unternehmen, die IT-Servicequalität in ihrem Leistungsprofil auf die wachsenden Business-Erfordernisse auszurichten. Die Prozessorientierung spielt dabei eine wichtige Rolle. Und ITIL bestimmt fast überall in den großen Unternehmen die Prozessstrategien im IT-Service-Management (ITSM). Folglich erlebt auch das Framwork nach wie vor eine Hochkonjunktur.
- Was ohne Itil geht - und was nicht
Die IT Infrastructure Library, kurz Itil, hat sich zum Quasi-Standard im IT-Service-Management entwickelt. Manche sagen, es ginge auch ohne Itil. Was allerdings zu beweisen wäre. - Ohne Itil ...
... fehlt die Grundordnung für komplexe ITSM-Strukturen. - Ohne Itil ...
... kann die IT die Wettbewerbsanforderungen des Unternehmens nicht erfüllen. - Ohne Itil ...
... büßen die ITSM-Verantwortlichen strategische Durchsetzungkraft ein - Ohne Itil ...
... verlieren sich IT-Services im Dickicht schlecht abgestimmter Einzelprozesse. - Ohne Itil ...
... lassen sich viele Einsparungspotenziale nicht ausschöpfen. - Ohne Itil ...
... muss die Qualitätssteuerung ohne Kennzahlensysteme auskommen. - Ohne Itil ...
... hat die IT Schwierigkeiten, ihren Wertbeitrag konkret nachzuweisen. - Ohne Itil ...
... sind die Möglichkeiten der Compliance-Kontrolle eingeschränkt.
Doch ist dieses Regelwerk durch einen entscheidenden Nachteil geprägt: ITIL hat den Mittelstand vergessen. Gemeint sind die Firmen, deren IT-Organisationen etwa 50 bis 100 Mitarbeiter umfassen. Für Servicestrukturen in dieser Größenordnung erweist sich ITIL als zu wenig praxistauglich. In seiner Komplexität ist das Framework nur äußerst bedingt auf die Prozesse in solchen Organisationsverhältnissen anwendbar.
Mehr Rollen als Prozessbeteiligte
"Welcher Mittelständler braucht eine Prozessstruktur, mit der sich die IT eines Dax-Konzerns steuern lässt?" Mit dieser Frage stellte etwa der Verantwortliche einer IT-Abteilung mit rund 100 Mitarbeitern kürzlich das Thema ITIL zur Diskussion.
Wie berechtigt diese Frage ist, zeigt ein Beispiel aus der Beratungspraxis in einem Mittelstandsunternehmen. Dort wurde ein ITIL-basierender Prozess für das Asset and Configuration Management implementiert - mit einem Projektaufwand von eineinhalb Jahren. Was dort aufgrund spezifischer Anforderungen als Ausnahmefall noch eine Berechtigung hatte, ist für die mittelständischen Firmen insgesamt sicher nicht tragbar. Sie verfügen weder über die wirtschaftlichen Möglichkeiten, derart hohen Aufwand für einzelne Prozesse zu treiben, noch können sie die personellen Ressourcen für einzelne Projekte in dieser Großenordnung bereitstellen.
Aus dem Kreis dieser Unternehmen gibt es noch weitere Kritikpunkte. Sie leiten sich ebenfalls aus der Komplexität des Regelwerks ab. Dazu zählt beispielsweise die Vielzahl von Rollen, die jeder ITIL-Prozess vorsieht. Im Mittelstand ist deren Zahl mitunter höher als die der Prozessbeteiligten. So entstehen möglicherweise sieben definierte Rollen entlang eines IT-Service, obwohl lediglich drei Mitarbeiter an diesem Prozess beteiligt sind.