Vor drei Jahren sprach Bundeskanzlerin Merkel den Satz: "Das Internet ist für uns alle Neuland." Seither haben Politik und Verbände viel verstanden und versuchen, mehr digitale PS auf die Straße zu bekommen - zum Beispiel bei dem aktuell drängenden Thema für einen Industrie-4.0-Standard aus Deutschland ("DIN-4.0-Stecker").
Doch wir müssen die Schlagzahl erhöhen. Mit der Digitalisierung erleben wir eine tektonische Verschiebung in Wirtschaft und Gesellschaft. Doch im führenden Industriestandort Deutschland begegnen wir dieser Revolution offenbar mehrheitlich noch mit "German Angst".
So schlussfolgert die frische Studie "Industrie 4.0 im internationalen Vergleich" (Huawei Technologies Deutschland / Handelsblatt Research Institute) für Deutschland: "Neben dem schwierigen Zugang zu Risikokapital ist hier auch ein Mentalitätswandel erforderlich: Es herrscht eine zu geringe Bereitschaft, Risiken einzugehen."
Das Urteil ist erschreckend. Der Wohlstand in Deutschland fußt auf industriellem und technologischem Vorsprung in vielen Branchen - Vorsprung durch Technik. Unser Industriesektor hat sich in der Nachkriegsära breit und bestens aufgestellt. Und heute liegt bereits ein gutes Fundament für einen modernen Smart-Factory-Standort - mit führender IT-4.0-Technologie und zahlreichen Leuchtturm-Projekten.
Doch die notwendige Geschwindigkeit für einen Innovationsschub in der Breite fehlt ganz offensichtlich noch. Wollen wir unseren Wohlstand sichern und ausbauen, muss sich ein Mentalitätswandel hin zu mehr Risikobereitschaft schnell vollziehen.
- Smart Factory in der Praxis
179 Anwender hat die Staufen AG für ihren Industrie 4.0 im Jahr 2015 befragt. Aufgezeigt werden Veränderungen gegenüber dem Stand der Ding in 2014. Unsere Bildergalerie präsentiert wichtige Ergebnisse der Studie: 4 Prozent der Firmen haben Industrie 4.0 inzwischen gänzlich umgesetzt. 2014 lag der Anteil bei lediglich 1 Prozent. - Sprung bei der Logistik
Die Grafik zeigt, in welchen Bereichen die Firmen Industrie 4.0 einsetzen oder das planen. Gegenüber dem Vorjahr gab es bei der Logistik und Lagerhaltung einen großen Sprung. - Konkurrenz holt auf
Der internationale Vergleich zeigt die deutschen Firmen an der Spitze. Aber die Konkurrenz aus Asien und Übersee holt auf. - Selbstkritische Töne
Die Befragten meinen mehrheitlich, dass das Thema Industrie 4.0 in der Vergangenheit unterschätzt wurde. Insgesamt beurteilen sie die Lage kritisch und selbstkritisch. - Erwarteter Erfolg
Die Studienteilnehmer gehen überwiegend davon aus, dass sich dank Industrie 4.0 in fünf Jahren wirtschaftlicher Erfolg eingestellt haben wird. Gerechnet wird außerdem mit veränderter Produktpalette und neuem Geschäftsmodell. - Führung durch Kommunikation
Staufen wollte auch wissen, wie sich Industrie 4.0 auf das Thema Führung auswirkt. Die hier dargestellten Antworten auf diese Fragen zeigen insbesondere einen Bedeutungszuwachs der Kommunikation. - Angepasstes Leitbild
Diese Übersicht zeigt, welche Maßnahmen die Firmen im Hinblick auf Industrie 4.0 in Sachen Führung bereits umgesetzt haben. Mehr als 70 Prozent haben Leitbild und Führungsrichtlinien angepasst.
US-Firmen vor gleichen 4.0-Herausforderungen
Die USA und Asien sind in Sachen Innovationsfreude und Risikobereitschaft eine Länge voraus - ein Vorsprung durch Technikfreundlichkeit. Doch es lohnt sich weiter, auf das Gaspedal 4.0 zu drücken. Denn der Wettlauf der Industrieländer ist noch nicht entschieden.
Aus der Praxis kann ich berichten, dass sich Fertigungsverantwortliche in den USA den gleichen Herausforderungen der digitalen Transformation stellen müssen wie deutsche. Das wurde auf dem Smart Factory World Symposium meines Unternehmens Anfang Juni im US-Regierungsinstitut DMDII in Chicago deutlich.
So arbeiten auch in den USA viele Fabriken noch mit Maschinen, die nicht vernetzt sind. Oder es sind zwar erste Maschinen digital angeschlossen, doch der Big-Data-Tsunami wird nicht beherrscht. Auch erfolgt das Stör- und Fehlermanagement mancherorts noch handschriftlich auf Papier - wie in den 90er Jahren.