Die Bundesregierung war früh dran: Sie hat mit dem 2012 ins Leben gerufenen Zukunftsbild "Industrie 4.0" vorweggenommen, was heute in aller Munde ist: eine umfassende Digitalisierung in Automobil- und Anlagenbau, Elektrotechnik, chemischer Industrie und Logistik. Ziel ist es, den internationalen Wettbewerbsvorteil der industriellen Produktion Deutschlands durch eine nachhaltige Strategie bis hin in das Jahr 2025 zu sichern und weiter auszubauen. Diese Branchen sind gemäß Angaben des Statistischen Bundesamts für das Jahr 2014 mit einem wertschöpfenden Anteil von 26 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Wirtschaftsstandort Deutschland lebenswichtig.
Was genau ist Industrie 4.0?
Das Zukunftsbild Industrie 4.0 sei als "Instrument der Strategieentwicklung, mit deren Hilfe komplexe Zukunftsthemen in illustrativen Beschreibungen vorgestellt werden", zu verstehen - so steht es in der Hightech-Strategie aus dem Jahr 2012. "Unter Industrie 4.0 wird die beginnende vierte industrielle Revolution nach Mechanisierung, Industrialisierung und Automatisierung verstanden" - so die Arbeitsdefinition des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO), die im Rahmen seiner umfassenden Studie "Produktionsarbeit der Zukunft - Industrie 4.0" formuliert worden ist. Der Lenkungskreis der Plattform Industrie 4.0 der Industrieverbände Bitkom, VDMA und ZVEI hat diese Definition im vergangenen Jahr als Grundlage seiner Arbeit adaptiert.
Nüchtern betrachtet steckt hinter Industrie 4.0 also ein recht einfaches Bild: Die Industrieproduktion von morgen wird fähig sein, selbst Einzelstücke automatisiert, flexibel, wirtschaftlich und ressourcenschonend zu produzieren. Das Ideal dieser neuen Fertigung: Jeder Kunde definiert selbst seinen Auftrag, der sich anschließend über ganze Wertschöpfungsnetze hinweg komplett eigenständig steuert - von der Bestellung des Rohmaterials über die Reservierung von Bearbeitungsmaschinen, Montagekapazitäten, Lagerhallen und Logistik bis hin zur Qualitätskontrolle und Auslieferung.
Doch wie soll das gehen? Die Bitkom und das Fraunhofer IAO bringen es in ihrer gemeinsamen Studie "Industrie 4.0 - Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland" auf den Punkt: "Im Mittelpunkt von Industrie 4.0 steht die echtzeitfähige, intelligente, horizontale und vertikale Vernetzung von Menschen, Maschinen, Objekten und IKT-Systemen zum dynamischen Management von komplexen Systemen." Im Klartext: die vollständige Digitalisierung der industriellen Produktion.
Wo stehen wir heute?
Alexander Horch, Forschungsleiter Automation der ABB, sagte bereits vor einem Jahr in einem Interview zum Thema Industrie 4.0 in der schweizerischen Fachzeitschrift für die Maschinen-, Elektro und Metallindustrie "Technica": "Flexibilität ist in der Fertigung ein Schlüsselfaktor." Diese Flexibilität wird durch den Einsatz neuer Technologien bereits heute ständig verbessert.
Die Wachstumschancen durch Industrie 4.0 laut einer Fraunhofer/Bitkom-Studie.
Die historische Entwicklung: Von Industrie 1.0 zu Industrie 4.0
Eingebettete Systeme, Barcodes oder RFID-Chips sind ein Kernelement von Industrie 4.0.
Die Smart Factory ist ein Netzwerk von miteinander verknüpften und interagierenden Objekten.
In der Smart Factory interagieren alle Objekte miteinander – Maschinen, Produkte, IT-Systeme, Menschen.
Die horizontale und vertikale Integration sind eine große Herausforderung bei der Umsetzung von Industrie 4.0
Wie eine flexible Fertigung praktisch aussehen kann, hat das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Zusammenarbeit mit verschiedenen Herstellern bereits im letzten Jahr eindrucksvoll demonstriert: Auf allen größeren Industriemessen war eine funktionierende Modellfabrik, die sogenannte Smart Factory, zu sehen. Sie besteht aus fünf Produktionsmodulen, einem Handarbeitsplatz und einer Vielzahl von Informationssystemen. Die Smart Factory verwirklicht drei Grundideen: das intelligente Produkt, die kommunizierende Maschine und den assistierenden Bediener. Das Produkt kennt seine Auftrags- und Produktionsdaten und beeinflusst seine eigene Produktion. Auch die vernetzte Produktionsmaschine interagiert mit dem Produkt. Der Mensch als Bediener wird nur noch über für die Endmontage notwendige Schritte informiert - und zwar ebenfalls vom intelligenten Produkt.
Die Konzepte, die hinter Smart Factory stehen, haben vereinzelt bereits Einzug in die Industrie gefunden - unter anderem beim österreichischen Unternehmen Stiwa, das Teile für Fahrzeuglenkungen produziert. "Wir haben unseren Produktionsprozess vollständig automatisiert und vernetzt. Dadurch produzieren wir schneller, präziser und zu niedrigeren Stückkosten als unsere Konkurrenz in Niedriglohnländern" sagt Geschäftsführer Raphael Sticht im Youtube-Video "Lokalaugenschein Stiwa - die Fabrik der Zukunft". Kernelemente sind vernetzte Maschinen, die die Fertigung auf die Beschaffenheit von Rohmaterialien und Zwischenprodukten hin abstimmen und direkt mit dem Lager inter-agieren. Auch das intelligente Industriegebäude spielt eine entscheidende Rolle: Es sorgt für optimierte Produktionsprozesse und reduziert die Energiekosten.
Industrie 4.0 nimmt Gestalt an
Die Konkretisierung der Vision Industrie 4.0 nimmt also zunehmend Gestalt an. Bereits heute ist es möglich, die Produktion bis auf die Ebene eines einzelnen Industriegebäudes weitgehend zu digitalisieren - auch wenn das Konzept des intelligenten Produkts noch in den Kinderschuhen steckt. Gleiches gilt für die Idee der firmenübergreifenden Wertschöpfungsketten und die Integration der zugehörigen Transportlogistik.