Was ist eigentlich Industrie 4.0? Für die einen ist Industrie 4.0 lediglich ein Unterbegriff des Internet of Things (IoT), oder treffender wie im englischsprachigen Raum das Industrial Internet of Things (IIoT) - oder schlicht Smart Manufacturing. Andere wiederum unterscheiden zwischen IoT und seiner mechanistischen Herangehensweise und der prozessorientierten Herangehensweise von Industrie 4.0, wo die Auswertung der gewonnenen Daten wichtiger sei. Der kleinste gemeinsame Nenner dürfte wohl sein, dass Industrie 4.0 ein Begriff für die Veränderung in der industriellen Produktion ist.
Die Technik hinter Industrie 4.0
Doch schon bei der Frage, welches die technologischen Voraussetzungen für diese Veränderung sind, trennen sich die Geister. Für Oliver Edinger, Head of IoT/ Industrie 4.0 bei SAP, ist die Entwicklung der Speicherpreise ein wesentlicher Punkt. "Hätten sich die Preise nicht so nach unten entwickelt", so Edinger, "könnten gar nicht die Informationen generiert werden, die bei Industrie 4.0 benötigt werden." Eher bremsend wirke sich dagegen das Thema Connectivity aus, für das heute in Deutschland noch immer viel Geld zu bezahlen sei. Zudem wird in den Augen von Edinger das Thema viel zu technisch adressiert. Für ihn sollte ein Schwerpunkt auf der Semantik liegen, um so die Kommunikation zwischen unterschiedlichsten Komponenten zu ermöglichen.
Auch Andreas Kaiser, Director von Rohde & Schwarz Cybersecurity, verweist auf die Connectivity als Herausforderung: "Aufgrund der langen Investitionszyklen müssen in der Produktion unterschiedlichste Netzwerke zusammengebracht werden." Henning von Kielpinski, Vice President Business Development bei Consol Consulting, sieht noch weitere Grundthemen wie Services in der Cloud und die Frage, wie die Daten überhaupt dorthin kommen. Das führt für Edinger zu der grundsätzlichen Überlegung, was ist lokal, was ist zentral und was kann bereits mit Edge Computing bearbeitet werden. Michael Jochem, Leiter AG "Sicherheit vernetzter Systeme" bei der Plattform Industrie 4.0 und Director bei Bosch Connected Industry, sieht bereits zuvor ein Hindernis: "Datenaustausch setzt Vertrauen voraus. Mit welchem Ausweis identifiziert sich eine Maschine oder ein IoT-Device? Ein Ansatz könnte die Mobilfunk-SIM-Karten oder ihr elektronisches Pedant, die eSIM sein.
Knackpunkt Datenaustausch
Grundsätzlich skeptisch ist Christian Kastl, Senior Product Manager SCM bei SupplyOn: "Die Unternehmen wollen keine Daten rausgeben, sondern diese intern halten. Wie kann ein Vertrauen entstehen, um zu wissen welche Daten mit wem zu tauschen sind?" Zumal davor noch die Frage nach dem wie steht. Schließlich bedeutet Industrie 4.0 auch, mit völlig verschiedenen Geräten eine Einheit herzustellen. Und hier kommt der Plattformgedanke ins Spiel. Eine solche einheitliche Plattform könnte die gemeinsame Basis sein, um Daten auszutauschen. Doch damit ist es für Christian Dornacher, Director Storage und Analytics Solutions EMEA bei Hitachi Data Systems, nicht getan, denn "die Frage ist, was will ich mit den Daten tun?" Steht Predictive Maintenance im Vordergrund oder etwa eine bessere Auslastung der Maschinen - egal, mit dem reinen Datensammeln sei es nicht getan.
Gerade mit der Einschätzung der Daten seien viele Unternehmen überfordert, so Andreas Kaiser. Sie wüssten teilweise nicht welche Daten sie hätten. Jochem rät deshalb mittelständischen Unternehmen, erst einmal ihre Assets zu definieren und zu klassifizieren, um dann festzulegen, wo der Mehrwert ist. Von Kielpinski bezeichnet die Situation im Mittelstand schlicht als ernüchternd. Edinger warnt aber davor einfach zu sagen, der Mittelstand könne es nicht. Oft werde dort der Aufwand unterschätzt und der erhoffte Datensee entpuppe sich als Datensumpf. Zudem falle es gerade kleineren Unternehmen schwer, die entsprechenden Vorarbeiten zu leisten und das Personal dazu bereitzustellen.
IT trifft auf OT
Jochem weist noch auf einen anderen Knackpunkt hin: "Office- und Shopfloor sprechen eine unterschiedliche Sprache und kommen oft im eigenen Haus nicht miteinander klar." Wie solle man nun die Produktion dazu ertüchtigen, Daten sicher bereitzustellen. Und das vor dem Hintergrund der grundlegenden Angst der Mittelständler, dass die Datenintegrität gefährdet sein könnte. Letztlich stelle sich die Frage, wer die treibende Kraft ist, die IT oder der operative Bereich (OT). Oft habe die IT erste Vorstellungen, so ein Diskutant, aber keine Vorstellungen, wie einfach es sein sollte. Zudem würden die Herausforderungen des Shopfloors oft nicht erkannt. Eine Argumentation, die Jochem nur unterstreichen kann: "In der Office-IT sind Backups eigentlich ein Selbstverständlichkeit, nicht so im Maschinenbau, da haben Sie kein redundantes System. Der Shopfloor hat ein anderes Verständnis von Verfügbarkeit, Patchen, Backup etc., als die Kollegen in der Office-IT."
Erfahrungen die von Kielpinski nur bestätigen kann. Er erlebte erst kürzlich in einem Projekt wieder, das nicht die Technik das Problem war, sondern die Menschen, die über 20 Jahre die unterschiedlichsten Befindlichkeiten aufgebaut hatten. Für Edinger ist deshalb bei Industrie 4.0 nicht die Technik die Herausforderung. Die sei oft schon vorhanden, so der Manager, und müsse nur noch verknüpft werden. Der begleitende Teil - also Organisation, Partnering oder etwa Skills - stehe einer Umsetzung viel mehr im Weg. Erschwerend kommt hinzu, wie Oboyo ergänzt, dass es auf Gewerkschaftsseite viel Skepsis gebe. Zumal ungeklärt sei, was mit denen passiert, die den Weg nicht mitgehen können, die die Skills nicht haben etc. Nicht nachvollziehbar ist für Edinger zudem, warum dies immer wieder ein Problem ist, denn Unternehmen haben schon mehrfach einen Wandel durchlaufen, nur die handelnden Personen in der Regel nicht.