Künstliche Intelligenz

In sieben Schritten zum AI-enabled Enterprise

06.03.2018
Von 


René Büst ist Research Director in Gartners Managed Business and Technology Services Team mit Hauptfokus auf Infrastructure Services & Digital Operations. Er analysiert Entwicklungen im Bereich Cloud Computing (Anbieter von Managed Cloud-Services und Public Cloud sowie Cloud-Strategien wie IaaS, PaaS und Multicloud), digitale Infrastrukturen und Managed Services sowie den Einfluss der digitalen Transformation auf die IT. Seit Mitte der 90er Jahre konzentriert sich Herr Büst auf den strategischen Einsatz der IT in Unternehmen und setzt sich mit deren Einfluss auf unsere Gesellschaft sowie disruptiven Technologien auseinander.
Lesen Sie, warum Unternehmen eine KI-Strategie brauchen, um ihren IT-Betrieb und andere Geschäftsprozesse autonom zu betreiben.
Unternehmen der Old Economy brauchen eine übergreifende KI-Strategie, wenn Sie im Wettbewerb mit Plattformriesen wie Google oder Amazon bestehen wollen.
Unternehmen der Old Economy brauchen eine übergreifende KI-Strategie, wenn Sie im Wettbewerb mit Plattformriesen wie Google oder Amazon bestehen wollen.
Foto: Phonlamai Photo - shutterstock.com

Heutzutage stehen Unternehmen der Old Economy gleich mehreren Herausforderungen gegenüber. Dazu gehören der oft zitierte War for Talent oder die Unfähigkeit großer Unternehmen, sich nicht schnell genug den dynamischen Marktbedingungen anpassen zu können. Aber es existiert eine weitere oft unterschätze Bedrohung - der Wettbewerb. Allerdings nicht der Wettbewerb aus dem eigenen Wirkungskreis, sondern von High-Tech Unternehmen, die unaufhaltsam in alle Märkte und Industrien einmarschieren.

Diese sogenannten Plattform-Unternehmen, genauer Google, Amazon, Facebook, Alibaba, Baidu oder Tencent, dringen mit unvorstellbaren finanziellen Mitteln in die bekannten Wettbewerbsbereiche ein und kapern den Lebenszyklus der Kundenbeziehungen. Dies führt dazu, das Unternehmen der Old Economy überzeugende Antworten finden müssen, wenn sie ihren Fortbestand sichern wollen. Die folgenden drei Bedrohungen gehen von den Plattform-Unternehmen aus:

1. Die Möglichkeit, Geld zu verbrennen

Plattform-Unternehmen stehen große finanzielle Mittel zur Verfügung, die sie investieren, ohne Budgets großartig priorisieren zu müssen. Das Geld setzen sie schlichtweg dafür ein, um zu experimentieren. Im Vergleich dazu steht Unternehmen aus der Old Economy nur ein kleiner finanzieller Spielraum zur Verfügung, den sie nutzen können, um zu investieren oder um zu spielen. Das hängt damit zusammen, dass sie ständig dem Druck durch externe Stakeholder wie dem Kapitalmarkt, Aktionären und Kunden ausgesetzt sind.

Stellen Sie sich etwa vor, dass ein Pharma-Riese wie Pfizer aus den USA oder Bayer aus Deutschland ein neues Mittel zur Krebsbekämpfung entwickeln will und 500 Millionen US-Dollar in dieses Abenteuer investiert. Dieses Projekt muss funktionieren. Andernfalls werden die CEOs beider Unternehmen höchstwahrscheinlich noch am selben Tag gefeuert und der Aktienkurs fällt um mindestens 30 Prozent, wenn das Projekt scheitert. Warum? Weil das Kerngeschäft von Pfizer und Bayer die Forschung & Entwicklung (F&E) von Medikamenten ist. Das bedeutet, dass jeder Dollar, der von beiden in F&E investiert wird, einen direkten Einfluss auf das Kerngeschäft hat.

Nun stellen Sie sich vor, dass ein Plattform-Unternehmen wie Google oder Alibaba exakt dasselbe machen würde. Ein Medikament entwickeln, um Krebs zu bekämpfen. Ebenfalls mit einem Projektvolumen von 500 Millionen US-Dollar. Was würde passieren, wenn das Projekt scheitert? Nun, das wäre eine ganz andere Geschichte. Jack Ma von Alibaba würde sich vor die Finanzanalysten und andere Stakeholder stellen und etwa folgendes sagen: "Wir haben versucht Krebs zu heilen.

Wir haben versagt. Wir haben 500 Millionen US-Dollar verbrannt. ABER, wir werden aus unseren Fehlern lernen und wir werden es weiter versuchen!". Ma würde als Held dargestellt werden. Schließlich liegt Alibabas Kerngeschäft nicht darin, ein Pharma-Unternehmen zu sein, sondern Güter über einen Webshop zu vertreiben. Und dennoch "opfert" sich Alibaba auf, um eine Lösung gegen Krebs zu finden. Hinzu kommt, dass die gemachten Fehler keinen Einfluss auf das eigene Kerngeschäft hatten. Ähnlich verhält es sich bei Google oder Amazon.

Allerdings ist der Zugang zu Geld nur die eine Seite der Medaille. Denn viel wichtiger ist die Einstellung. Plattform-Unternehmen haben die Fähigkeit und die Einstellung, das Risiko einzugehen, Geld "zu verbrennen". Etwas, was Unternehmen aus der Old Economy fehlt. Nehmen Sie Jeff Bezos als Musterbeispiel. Anstatt ständig die Shareholder mit Dividenden zu befriedigen reinvestiert Bezos konsequent den Großteil der Erträge in F&E (16,1 Milliarden US-Dollar im Jahr 2016) und lässt Amazon experimentieren. Zum Vergleich: Bayer hat im Jahr 2016 nur 5,2 Milliarden US-Dollar in F&E investiert.

2. Die Strategie, direkte Kundenbeziehungen zu kapern

Plattform-Unternehmen kapern die direkten Beziehungen zwischen den Unternehmen der Old Economy und deren Kunden. In der Vergangenheit hat eine Marke seine direkten Kundenbeziehungen aufgebaut und gepflegt, indem Kunden über mehrere Kanäle wie den Einzelhandel, kundenspezifische Werbung oder e-Commerce erreicht wurden. Über diese Form von Plattformen waren Marken in der Lage, Kunden so zu beeinflussen, dass diese ihre Produkte und Dienstleistungen kauften. Allerdings war es der Kunde, der sich die entsprechende Plattform (Kanäle) ausgesucht hat, um die Güter und Dienstleistungen zu kaufen.

Heute wandert der Point of Sale verstärkt in die Plattformen von Unternehmen wie Google, Amazon, Alibaba oder Facebook. Und zwar deswegen, weil jeder Social-Media-Berater den Ratschlag gibt, mit Kunden über Facebook anzubandeln, auf Google Werbung zu schalten und Produkte über Amazon oder Alibaba zu vertreiben. Von einer Seite betrachtet ist dieser Ratschlag völlig richtig. Schließlich erreicht man über die genannten Plattformen ein viel größeres Zielpublikum.

Schaut man jedoch aus einer anderen Perspektive auf den Hinweis, lässt er Social-Media-Berater als alles andere dastehen als gute Freunde. Warum? - Wenn Sie sich entscheiden, ihre Marketing- und Vertriebsaktivitäten zu einem Plattform-Unternehmen zu verlagern, verlieren Sie unmittelbar die direkte Kundenbeziehung. Sie erhalten möglicherweise von Facebook, Google, Amazon & Co. ein paar Daten und Analysen, aber sie verlieren die viel wertvollere direkte Beziehung zu Ihren Kunden.

Eine Konsequenz daraus besteht darin, dass sich ein Kunde (möglicherweise einer Ihrer existierenden Kunden) damit auf einer Plattform mit KI-Assistent befindet (KI = Künstliche Intelligenz). Sie denken nun vermutlich "Na und?". Nun, in einem Interview mit The Drum" erklärt Alibabas Principal Engineer Rong Jin, dass Alibaba KI-Technologien einsetzt, um Produktempfehlungen zu verbessern und dabei hilft, exakt die Phasen im Einkaufsprozess zu identifizieren, um den Kunden bei seiner finalen Kaufentscheidung zu beeinflussen.

Zudem setzt Alibaba auf KI, um für jeden Kunden ein maßgeschneidertes Einkaufserlebnis und zielgerichtetes Marketing für Marken zu schaffen. Jin erwähnt dabei auch, dass KI-Technologien das Geschäft von Alibaba in der Zukunft verändern werden, indem sämtliche Daten, die über das Unternehmen hinweg entstehen, besser verknüpft werden, um die Kunden besser zu verstehen und somit deren Einkaufsprozess zu optimieren.

Somit wird eine Plattform, die KI-Technologien einsetzt, alles Mögliche tun, den Kunden zu befriedigen, um ihn am Verlassen oder Wechseln zu hindern. Hierzu wählt die Plattform Güter und Dienstleistungen aus einem Pool von Marken, die zu den Anforderungen des Kunden passen. Dies ist gut für den Kunden und die Plattform, aber alarmierend für Unternehmen aus der Old Economy, da die Marke selbst potentiell in den Hintergrund rückt.

3. Die Macht, unendliche Datenmengen zu sammeln um eine Künstliche Intelligenz zu entwickeln

Plattform-Unternehmen sammeln unendliche Mengen an Daten und erstellen auf dieser Basis ihre eigene Künstliche Intelligenz. Diese kann Aufgaben aus unterschiedlichen Bereichen handhaben. Hierfür wendet sie Erfahrungen, welche sie in einem Bereich gesammelt hat, in einem anderen Bereich an. Damit ist sie in der Lage, schneller zu lernen. Allerdings ist der dafür notwendige Wissenstransfer nur möglich, wenn eine semantische Verbindung zwischen den unterschiedlichen Bereichen existiert. Und je stärker diese Verbindung ist, desto schneller lässt sich der Übergang des Wissens vornehmen.

Für den Aufbau ihrer KI folgen Plattform-Unternehmen dem Quidproquo Prinzip. Endkunden geben ihre Daten und Wissen an die Plattformen und erhalten im Gegenzug kostenlos Zugriff auf die angebotenen Services. Intelligent Private Assistants wie Amazon Echo oderGoogle Home sind der nächste Evolutionsschritt. Sie lassen sich einsetzen, um Smart-Home-Lösungen zu steuern oder unser Leben einfacher zu gestalten, indem wir unsere Stimme nutzen.

Diese technologische Entwicklung zeigt uns eine wichtige Erkenntnis: Amazon, Google & Co finden neue Wege, um uns über andere Kanäle an sich zu binden. Sie sammeln Daten und Informationen, die sie benötigen, um bessere Entscheidungen zu treffen und uns bessere Antworten zu liefern. Die Absicht dahinter ist klar: Jeder von uns wird schlichtweg dafür genutzt, um die KI-Systeme auf einer täglichen Basis zu trainieren. Das bedeutet, dass alle Services, die Google & Co. ihren Kunden anbieten, letztlich dazu dienen, ihre KI-Systeme zu bauen, die auf den gesammelten Daten basieren.

Im Gespräch mit "The Drum" geht Rong Jin exakt auf diese Thematik ein, indem er erläutert, dass Datenanalysen und Pattern Matching Alibaba dabei helfen, Datenmodelle auf andere Bereiche anzuwenden, die über das eCommerce-Geschäft hinausgehen. So hat Alibaba angefangen, seine KI-Technologie zu nutzen, um andere Geschäftsbereiche wie Finanzen, Versand, Gesundheitswesen und Entertainment aufzurüsten und zu verknüpfen. Und das ist nichts anderes, als die Entwicklung einer KI.

Plattform-Unternehmen nutzen KI für disruptive Ansätze und stellen damit eine Gefahr für Unternehmen aus der Old Economy dar. Hinzu kommt, dass ausschließlich die Plattform-Unternehmen Zugriff auf ihre KI-Systeme besitzen und Dritten keinen Zugriff gewähren.

KI ist zugleich eine der Lösungen - möglicherweise die einzige - mit denen Unternehmen aus der Old Economy sich gegen diesen Wettbewerb stemmen können. Hierzu können sie auf das stärkste Mittel zurückgreifen, das Unternehmen aus der Old Economy besitzen: ihre langjährigen Erfahrungen. In Kombination mit KI können Unternehmen jeden Prozess organisationsweit autonom betreiben, während sie ihr Wissen behalten und ihre Daten und Erfahrungen gewinnbringend einsetzen.

Hierfür benötigt die Old Economy einen eigenen unabhängigen Plattform-Ansatz, da jedes einzelne Unternehmen selbst zu wenig Daten besitzt, die notwendig sind, um eine eigene KI zu bauen. Der Zugang zu dieser Form von KI-Plattform hilft ihnen dabei, die Erfahrungen und das geistige Eigentum zu multiplizieren und voneinander zu lernen.

Auch wenn die KI Zugriff auf einen vollumfänglichen Daten-Pool benötigt, müssen die individuellen Daten sowie die das geistige Eigentum und die Erfahrungen stets unter der vollen Kontrolle des einzelnen Unternehmens liegen. Dafür ist eine unabhängige dritte Instanz notwendig, welche die Daten sicher organisiert und semantisch in Verbindung setzt.

Eine Strategie für die Künstliche Intelligenz

Die folgende Strategie zeigt, wie Unternehmen aus der Old Economy diesen Ansatz umsetzen können:

  1. Ein Unternehmen sammelt sämtliche Daten, die innerhalb der Organisation existieren.

  2. Die Daten werden an eine unabhängige und sichere Plattform übergeben, welche einen geteilten Daten-Pool für die Old Economy betreibt.

  3. Im Gegenzug erhält das Unternehmen Zugriff auf den geteilten Daten-Pool, in welchem Daten gesammelt und semantisch organisiert werden.

  4. Das Unternehmen nutzt die Daten und die notwendige Technologie, um eine eigene KI für die Organisation zu entwickeln.

  5. Das auf der KI basierende Ergebnis: Neue Geschäftsmodelle, Angebote, Services, etc.

  6. Daten, die aus den neuen Geschäftsmodellen, Angeboten und Services resultieren, wandern anschließend wieder in den geteilten Daten-Pool.