TradeLens, IBM Food Trust, We.trade

IBM erklärt seine Blockchain-Strategie

25.06.2019
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Auch wenn die Blockchain-Nutzung noch am Anfang steht, beschäftigen sich inzwischen fast alle Großunternehmen mit den Potenzialen der Technologie. Christian Schultze Wolters, Geschäftsbereichsleiter Blockchain Solutions bei IBM Deutschland, erklärt, warum sein Unternehmen hier so große Chancen sieht.
  • Zusammen mit Walmart betreibt IBM "Food Trust", eine Plattform zur Rückverfolgung von Lebensmitteln
  • Maersk und andere Reederei sind IBMs Partner bei "TradeLens", einem Ökosystem für die weltweite Container-Schifffahrt
  • Bei diesen und weiteren Projekten ist die Technologiebasis immer das Open-Source-System Hyperleger Fabric

Zum Thema Blockchain und Distributed Ledger gibt es momentan noch viel Skepsis im Markt. IBM steigt aber voll ein und investiert hier viel Geld. Wie ist Ihre Strategie?

Christian Schultze-Wolters leitet den Geschäftsbereich Blockchain Solutions bei IBM für die Region Deutschland, Österreich und Schweiz (DACH).
Christian Schultze-Wolters leitet den Geschäftsbereich Blockchain Solutions bei IBM für die Region Deutschland, Österreich und Schweiz (DACH).
Foto: IBM

Schultze-Wolters: Wir verfolgen drei Stoßrichtungen: Join, Coordinate und Build. Join heißt, wir bauen weltweite Plattformen auf, zum Beispiel gemeinsam mit Walmart IBM Food Trust für die Rückverfolgung von weltweit gehandelten Lebensmitteln. Ein zweites Großprojekt ist TradeLens, dass wir gemeinsam mit der weltweit größten Reederei Maersk umsetzen. Mit Ford und Volkswagen arbeiten wir an einem System, dass es uns erlauben wird nachzuvollziehen, ob das für Batterien essenzielle Mineral Kobalt aus einer nachhaltig bewirtschafteten Mine stammt, in der prekäre Arbeitsbedingungen oder Kinderarbeit ausgeschlossen sind.

Wir sehen die Blockchain also als ein Branchenthema. Unsere Strategie ist es in diesen Szenarien, jeweils mit einem oder zwei wirklich großen Playern in einer Industrie globale Plattformen aufzubauen. Dann bieten wir anderen Unternehmen aus diesem Ökosystem weltweit an, mit aufzuspringen - Join also. Aus unserer Sicht ist das auch eine große Chance für mittelständische Unternehmen, weil große Konzerne wie Walmart und IBM die Vorabinvestitionen tätigen.

Was verbirgt sich hinter Coordinate und Build?

Schultze-Wolters: Beim Coordinate-Ansatz finden sich vier, fünf oder sechs Unternehmen aus einer Branche zusammen, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen und deshalb beschließen, im Rahmen einer konsortialen Struktur mit einem Technologiepartner eine Lösung zu bauen. We.trade ist so ein Beispiel, da haben sich sechs europäische Großbanken zusammengetan, die Plattform haben wir ihnen gebaut.

Es geht um Themen wie Trade Finance, Akkreditive und die Optimierung regulatorisch vorgegebener Bankenprozesse. Das funktioniert seit einem Dreivierteljahr, mittlerweile sind dem Ansatz insgesamt 15 Banken beigetreten. Fast jeden Monat kommt also mindestens eine europäische Großbank dazu, die mit den anderen im täglichen Wettbewerb steht.

Und beim dritten Blockchain-Ansatz Build stehen individuelle Lösungsansätze im Vordergrund. Kunden möchten bestimmte Herausforderungen in ihrer Branche lösen, und wir schauen uns dann gemeinsam an, ob die Blockchain-Technologie ein geeigneter und sinnvoller Ansatz ist. Wir schicken auch immer wieder mal Kunden nach Hause und sagen: Es gibt Software- und Datenbanklösungen, die sich besser eignen.

Deshalb sind für uns Ideation-, Discovery- und Design-Thinking-Workshops wichtig. Wir müssen die Herausforderung kennen und sicher sein, dass Blockchain die Lösung der Wahl ist. Wenn das der Fall ist, gehen wir Schritt für Schritt weiter mit einem Proof of Concept, einem Minimum Viable Product (MVP) und der iterativen Weiterentwicklung.

Hyperledger Fabric ist gesetzt

Wie sieht das technische Backbone aus?

Schultze-Wolters: Egal, ob es sich um eine große oder kleine Lösung handelt: Am Ende entsteht eine Plattform- oder Netzwerkstruktur auf der IBM Cloud. Es geht darum, das Ganze international rund um die Uhr performant zur Verfügung stellen zu können. Auf dieser Infrastruktur liegt die Blockchain, und hier arbeiten wir fast ausschließlich mit Hyperledger Fabric, einer Technologie, die auf Basis von Open Source in der Linux Foundation entwickelt wird.

Wir haben eine Reihe von Designkriterien, die uns wichtig sind. Open Source ist gesetzt, außerdem bauen wir auf eine Private oder Permissioned Blockchain, keine Public Blockchain. Wir bekennen uns klar zu offenen Standards und APIs damit alle Unternehmen, auch Mittelständler, schnell und kostengünstig mitmachen und ihre IT anbinden können.

Unsere Layer sind also die Cloud, darüber Hyperledger Fabric mit offenen Standards und darauf setzen wir dann die jeweilige Lösung auf: Food Trust, TradeLens oder was auch immer. Die können wir dann an die Systeme der Kunden anbinden. Natürlich bieten wir auch Schnittstellen zu den Plattformen unserer Cloud-Wettbewerber AWS, Google Cloud und Microsoft Azure. Wir wollen einen Vendor Lock-in möglichst ausschließen.

Bleiben wir beim Beispiel Maersk. Damit das Projekt TradeLens funktioniert, müssen sich viele Stakeholder beteiligen: nicht nur Reedereien, auch Häfen, Zollbehörden, Logistiker und große Industriekonzerne. Wie gelingt es, diese Parteien an einen Tisch zu bekommen?

Schultze-Wolters: TradeLens beinhaltet die Begriffe Trade für Handel und Lens für Linse, was für Visibilität und Transparenz steht. Wir suchen uns bei solchen Projekten immer einen großen Player, der das entsprechende Branchen-Know-how, die Prozesskompetenz und auch die Kenntnis der wesentlichen Schwachstellen in den Ökosystemen mitbringt. IBM bringt Plattform-, Technologie-, Integrations- und Open-Source-Kompetenz sowie langjähriges Projekt-Know-how ein.

Natürlich ist das ein Ökosystem-Play. IBM, aber auch die anderen müssen die Plattform in ihren Ökosystemen pushen. Maersk geht zu den Terminals, wo die Schiffe beladen werden, zu den Häfen, zu den Logistik- und Frachtunternehmen, mit denen sie eng zusammenarbeiten. Dort erklären sie die TradeLens-Idee. Wir tun dasselbe, wir reden mit unseren Kunden weltweit und beschreiben die inhaltlichen Mehrwerte.

Nachdem wir 2017 begonnen haben die Plattform zu designen und die Lösung zu bauen, konnten wir 2018 in ein Early-Adopter-Programm gehen. Immerhin 92 Unternehmen weltweit sagten: Wir machen mit. Sie wollten - ohne selbst Kosten zu haben - herausfinden, ob sich ein Mehrwert einstellt. So konnten wir die Plattform zur Marktreife führen. Das haben wir ein halbes Jahr gemacht mit den 92 und sind dann im Frühherbst letzten Jahres live gegangen. Mittlerweile haben wir so um die 120 Unternehmen auf der Plattform, darunter neun Reedereien.

TradeLens ermöglicht es den Teilnehmern, sich über das gesamte Ökosystem der Lieferkette hinweg zu verbinden, Informationen auszutauschen und digital zusammenzuarbeiten. Die Mitglieder erhalten einen umfassenden Überblick über ihre Daten, während sich die Fracht um die ganze Welt bewegt. So kann eine transparente, sichere und unveränderbare Aufzeichnung der jeweiligen Transaktionen erstellt werden.