Experten diskutieren Nachhaltigkeit

Greenwashing den Garaus machen

08.12.2022
Von 
Iris Lindner ist freiberufliche Journalistin für Elektronik und Automatisierung.
Neue Gesetze verpflichten dazu, Nachhaltigkeit von Anfang bis Ende zu denken. IT-Lösungen sollen Unternehmen dabei nicht nur unterstützen. Sie sind auch selbst davon betroffen.
Greenwashing funktioniert in Zeiten von Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) nicht mehr - echte Nachhaltigkeit ist gefragt.
Greenwashing funktioniert in Zeiten von Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) nicht mehr - echte Nachhaltigkeit ist gefragt.
Foto: Ivan Marc - shutterstock.com

In der Vergangenheit wurde IT verstärkt genutzt, um Energie, Material, Wasser und andere Ressourcen in verschiedensten Produktions- und Logistikprozessen einzusparen. Heute hingegen geht es auch darum, wie nachhaltig die IT selbst ist. Das Bewusstsein dafür beruht zum einen auf den Ambitionen der Software-Hersteller, sowohl die Software als auch die Softwareentwicklung nachhaltiger zu gestalten. Zum anderen sind Unternehmen durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz dazu gezwungen, sich auch mit ihrer IT auseinanderzusetzen, die - verbannt in Rechenzentren oder in die Cloud - in puncto Nachhaltigkeit gerne vergessen wurde.

Dabei ist der CO2-Fußabdruck der IT nicht zu unterschätzen. Eine E-Mail ohne Anhang hinterlässt beispielsweise einen CO2-Fußabdruck von 10 Gramm, ein angefügtes Foto erhöht diesen bereits auf 50 Gramm. So fallen an einem Arbeitstag Im Durchschnitt pro Mitarbeiter, der im Mittel 55 E-Mails empfängt und 33 versendet, 2,65 Kilogramm CO2 an. Übersetzt in Flugstrecken könnte man damit 26 Kilometer zurücklegen. Den meisten ist das ebenso nicht bewusst wie der Energieverbrauch einer Google-Suche: Das World Wide Web in Sekundenschnelle nach einem Suchwort zu durchstöbern, benötigt genau so viel Energie wie eine 60-Watt-Glühbirne, die eine Stunde brennt.

Der unstillbare Hunger nach Rechenleistung

Jedem ist klar: Durch die Digitalisierung werden wir in Zukunft noch mehr Rechenleistung benötigen. Und mit jeder Erhöhung der Rechenleistung ergeben sich auch wieder mehr Möglichkeiten, Nutzen aus dem zu ziehen, was vorher nicht berechnet werden konnte. Man geht davon aus, dass Rechenzentren im Jahr 2050 weltweit die größten Verbraucher von elektrischer Energie sein werden. Natürlich ist es im Sinne der Nachhaltigkeit dann ganz wesentlich, wie diese elektrische Energie erzeugt wird. Der Nachhaltigkeitsgedanke darf hier aber nicht enden, denn physikalisch gesehen ist ein Rechenzentrum eine Elektroheizung. Das heißt, die gesamte elektrische Energie wird in Wärme umgewandelt. Deshalb ist von Anfang an zu planen, wie diese Abwärme nachhaltig genutzt werden kann: Etwa, um umliegende Wohnungen zu heizen.

Schon jetzt stoßen viele Unternehmen mit ihrer verfügbaren Rechenleistung immer häufiger an Grenzen. Versuche mit Quantencomputing bleiben daher nicht aus. Im Gegensatz zu Halbleiterchips, die umso mehr Wärme produzieren, je schneller sie rechnen, skalieren supraleitende Quantenprozessoren ihre Energieaufnahme nicht mit der Rechenleistung. Da die supraleitenden Computerchips nur auf Betriebstemperatur gehalten werden, sind sie bezüglich Abwärme sehr nachhaltig. Unterm Strich kommt es aber auch wieder darauf an, wie nachhaltig ihr erhöhter Energiebedarf gedeckt wird, da zehn Kilowatt erforderlich sind, um einen Quantencomputer auf Betriebstemperatur zu halten.

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Ohne Druck geht es nicht

Nachhaltigkeit hat viel mit Innovationskraft zu tun. Aber auch mit wirtschaftlichen Zwängen. So sind für Unternehmen, die ihren Standort wechseln und gleichzeitig grüner machen wollen, völlig andere Beratungsprofile notwendig, um Nachhaltigkeit in verschiedene Richtungen denken zu können. Ein Standortwechsel erfolgt jedoch nicht nur aus Nachhaltigkeitsgründen, sondern wegen wirtschaftlicher Vorteile. Sicherlich hat die neue Marktsituation mit gestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen dazu geführt, dass mehr und mehr Unternehmen verstehen, dass ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit nicht mehr zwei getrennte Welten sind. Zudem setzt sich auch langsam die Erkenntnis durch, dass man auch wirtschaftliche Vorteile hat, wenn man sich bemüht, nachhaltiger zu sein.

Allerdings wachsen Digitalisierung, wirtschaftliches Handeln und Innovation nicht automatisch zusammen. Es braucht den Druck von aussen. Sei es durch Kundenausschreibungen, in denen Sachzwänge vorgegeben sind, die man umsetzen muss. Oder durch die Politik, die Unternehmen mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) oder der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) in die Pflicht nimmt. Nicht zuletzt kommt der Druck auch von den Menschen. Denn: Wer glaubt als Unternehmen unter wirtschaftlichen Aspekten das Thema Nachhaltigkeit zurückstellen zu können, macht die Rechnung ohne die junge Generation. Sowohl junge Bewerber als auch die eigenen Mitarbeiter haben bezüglich Nachhaltigkeit konkrete Vorstellungen und Ansprüche. Nachhaltigkeit ist im Recruiting definitiv ein Erfolgsfaktor im Sinne der eigenen Wirtschaftlichkeit. Und gerade die Zeit des Fachkräftemangels ist nicht der Moment, Nachhaltigkeit auf die lange Bank zu schieben.

Kultureller Wandel muss vorgelebt werden

Wirtschaftliche Zwänge leiten so zwar die Veränderung ein, sie muss sich jedoch auch in der Unternehmenskultur widerspiegeln. Wenn Nachhaltigkeit nicht ernsthaft vom Management vorgelebt und Innovationsfähigkeit, Nachhaltigkeit und Unternehmenskultur zusammengebracht werden, wird Nachhaltigkeit als Greenwashing wahrgenommen - und von Kunden und Mitarbeitern abgestraft. Dass der kulturelle Wandel, der mit der Nachhaltigkeit einhergehen muss, schwerer zu bewältigen ist, zeigt sich oft im Umgang mit Rebound-Effekten. Bestes Beispiel dafür ist das Videostreaming. Seit Videotheken wegdigitalisiert wurden, ersetzt das Streaming die Autofahrten zur Videothek. Auf den ersten Blick bringt das Videostreaming also eine enorme CO2-Einsparung. Diese wurde jedoch durch eine geänderte Verhaltensweise wieder aufgefressen, seit man sich fast täglich ein oder gar mehrere Blockbuster rechenintensiv aus dem Internet ins Wohnzimmer lädt.

Es reicht also nicht, an einer Stelle effizienter und nachhaltiger zu werden. Gleichzeitig gilt es, zu verhindern, dass nicht fahrlässig, leichtsinnig oder sogar vorsätzlich bestimmte Dinge viel häufiger genutzt werden als vorher und dadurch die Einsparungseffekte wieder verloren gehen. So muss die Nachhaltigkeits-Journey im Unternehmen gemeinsam von allen Key-Stakeholdern, die bei unternehmerischen Entscheidungen eine Rolle spielen, unterstützt werden: Also nicht nur das Management, das den Rahmen vorgibt, sondern auch Stakeholder aus IT und Einkauf. Erhält der Einkauf keine klare Vorgaben, dann hat die IT zum Teil keine Chance, nachhaltiger einzukaufen. Ebenso brucht es in der Produktion neue Performance-Indikatoren, in denen sich Nachhaltigkeit widerspiegelt. Zum anderen muss Nachhaltigkeit gemessen und für die Management-Stakeholder transparent gemacht werden, zum Beispiel auf Dashboards. Um diese auch zielführend zu nutzen, ist eine CMDB (Configuration Management Database) heute wichtiger denn je, da sie die Quelle ist, die eine akkurate Bewertung ermöglicht.

Nachhaltigkeit darf kein Luxus bleiben

Als wäre es nicht schon komplex genug, den Überblick über Nachhaltigkeit in all ihren Facetten zu behalten, so wird die Komplexität durch regulatorische Vorschriften noch zusätzlich erhöht. Seit 2017 müssen große, börsennotierte Unternehmen, Banken und Versicherungen bereits entsprechend der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) nicht-finanzielle Kennzahlen berichten. Ab 2025 werden die Anforderungen verschärft und Unternehmen, die aktuell unter die NFRD fallen, müssen dann nach der sehr viel detaillierteren CSRD berichten.

Ein Jahr später wird es Unternehmen treffen, die zwei der drei Kriterien erfüllen:

  • mehr als 250 Mitarbeitende,

  • 40 Millionen Euro Turnover,

  • 20 Millionen Euro in Total Assets.

Abgesehen von der Herausforderung für Mittelständler, die dafür notwendigen Daten zu sammeln, müssen Unternehmen auch Mitarbeiter finden, die einen Weg aufzeigen, um auf die ständig ändernden Gesetzeslagen reagieren zu können. Ein wichtiger Faktor wird hier der Zusammenhalt unterschiedlicher Bereiche und verschiedener Unternehmen sein.

Aber auch Standards, an denen sich Unternehmen orientieren können, sind erforderlich, um eine wirkliche Vergleichbarkeit zu erhalten. Aktuell misst jeder seine Nachhaltigkeit in der einen oder anderen Art und Weise. Wenn jeder für sich einen Standard definiert, dann gibt es keinen Standard. Deshalb sind hier DIN- und ISO-Normen wichtig, um eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Nur so kann Nachhaltigkeit zur Normalität werden. Und das muss sie auch, denn die wirtschaftliche Realität ist immer noch von kommerziellen Sachzwängen getrieben.

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