Gescheiterte, gestoppte oder in Schieflage befindliche IT-Projekte
1. Schufa: Kein Freibrief für Big Brother
Mutig hatte die Wirtschaftsauskunft Schufa ("Wir schaffen Vertrauen") angekündigt, soziale Netzwerke wie Facebook auf nutzbare Informationen für die Durchleuchtung von Verbrauchern zu scannen. Es handelte sich um ein Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit dem Hasso-Plattner-Institut.
Die Idee löste eine Welle der Empörung aus. Ilse Aigner, Bundesministerin für Verbraucherschutz, sagte, die Schufa dürfe nicht zum Big Brother des Wirtschaftslebens werden. Die Schufa stoppte den Plan. Die Rechtslage auf diesem Gebiet ist nicht eindeutig, es gibt Experten, die eine solche zweckfremde Nutzung von Facebook-Postings schlicht für illegal halten. Vielleicht hätte die Schufa vorher entsprechenden Rat einholen sollen.
2. Otto und SAP: zu komplex
Das "größte IT-Projekt in der Geschichte" des Versandhändlers Otto wurde im September 2012 gestoppt. 2009 hatte der Konzern aus Hamburg das Vorhaben mit dem Ziel gestartet, die große und vielschichtige Anwendungslandschaft des Multi-Marken- und Multi-Plattform-Händlers mit Hilfe von SAP-Standardsoftware zu zentralisieren. Doch "Passion for Performance" wurde vor allem zur Leidensgeschichte und sorgte bereits im Frühjahr 2011 für den Abschied von CIO Thomas Tribius. Die Komplexität wuchs den Beteiligten schlicht über den Kopf. Den finanziellen Schaden beziffert das Unternehmen auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Mittlerweile sortiert Christoph Möltgen als Chief Transformation Officer die Otto-IT neu. Eine einzelne, zentrale Plattform wird es dabei nicht geben.
3. Elektronische Gesundheitskarte: Ein Millionengrab
Eine elektronische Versichertenkarte, auf der alle relevanten Informationen zur Gesundheit des Patienten gespeichert sind, sollte die Behandlung effizienter und billiger machen und außerdem die Arbeit der Ärzte erleichtern. Der Beschluss dazu ist zehn Jahre alt. Das Vorhaben hat bisher über 700 Millionen Euro an Beitragsgeldern gekostet. Einzig erkennbares Ergebnis: Die Versichertenkarten tragen neuerdings ein Foto. Die Schuld für das Desaster schieben sich Krankenkassen und Ärzteverbände gegenseitig zu. Die Zukunft des Projekts ist mehr als ungewiss.
4. Berlin: Keine elektronische Akte für die Strafjustiz
Modesta lautete der Projektname der geplanten elektronischen Akte für die Strafjustiz in Berlin. Nach sieben Jahren musste das Ganze ohne angemessenes Ergebnis gestoppt werden. Der Landesrechnungshof hatte in seinem Bericht von "grundlegenden Fehlern" der beteiligten Behörden gesprochen. Gar nicht modest waren die Kosten des Desasters. Die finanziell ohnehin klamme Hauptstadt hat mit dem Projekt 8,5 Millionen Euro versenkt.
5. Keine Gesichtserkennung beim KSC
Ein weiteres Beispiel für missglückte Kommunikation liefert ein Feldversuch in Karlsruhe. Der Fußballverein KSC wollte mit Hilfe des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) bei drei Heimspielen ein neues Verfahren zur Gesichtserkennung testen. Ziel war es, Testpersonen in einer Menschenmenge durch Kameras automatisch zu identifizieren. Zuschauer fanden die Idee ebenso wenig brilliant wie der Landesdatenschützer Jörg Klingbeil. Der sagte: "Wir haben als Bürger das Recht, unbeobachtet zu sein." Die Projektpartner hatten vor allem den Fehler gemacht, im Vorfeld nicht über Hintergründe und Details des Projekts zu informieren.
6. Fehlende Akzeptanz für Funktechnik NFC
Banken wünschen sich seit Jahren, dass Kunden häufiger bargeldlos bezahlen. Dazu braucht es vor allem Vertrauen. Die von der Finanzbranche gelobte Funktechnik NFC (Near Field Communication) ist dem allerdings wenig zuträglich. Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein, lässt an den bereits verbreiteten NFC-fähigen Plastikkarten kein gutes Haar: "Es werden Karten ausgegeben, die problematisch und nicht im Ansatz zukunftssicher sind." Nach Auskunft von Datenschützern ist es möglich, die Informationen der letzten 15 Abbuchungs- und Rückbuchungstransaktionen mit Datum, Zeit, Händlerkartennummer, gezahltem Betrag und vielem mehr ganz einfach auszulesen.
7. Kalifornien: Keine Personalverwaltung durch SAP
Der US-Bundesstaat Kalifornien legte die Kooperation mit SAP auf Eis. Mit dem Projekt sollte die Personalverwaltung für alle festen und freien Mitarbeiter des Staates erneuert werden. Nachdem 254 Millionen Dollar verbrannt waren, trat Kaliforniens Finanzchef John Chiang auf die Bremse. Er bemängelte, dass es keinen einzigen fehlerfreien Abrechnungslauf gegeben habe. Chiang bezweifelte in einem Statement, dass das SAP-System die erforderlichen Datenmengen würde bewältigen können.
Kalifornien prüft rechtliche Schritte gegen SAP, und für die Personalabrechnung will man zum Legacy-System zurückkehren. "Das ist zwar alt - aber es funktioniert", so John Chiang.
8. Elena: Nicht zu Ende gedacht
Ursprünglich als JobCard gestartet, sollte das elektronische Entgeltnachweis-Verfahren der Agentur für Arbeit und weiterer Einrichtungen Arbeitnehmerdaten mit Hilfe von Chipkarte und elektronischer Signatur zur Verfügung stellen. Zunächst wurde die Einführung verschoben, im Sommer 2011 beerdigten die beteiligten Ministerien schließlich die Idee. Begründung: Die flächendeckende Verbreitung von Signaturkarten würde aus Datenschutzgründen noch Jahre auf sich warten lassen.
9. DaZu: Politik der offenen Hände
Anfang Februar 2013 stoppte das schweizerische Bundesamt für Umwelt (Bafu) das IT-Projekt "Datenzugang für Umweltdaten" (DaZu). Die Berner Zeitung berichtete, das Projekt habe "in den Bereichen Projektführung und Projektmanagement gravierende Mängel" aufgewiesen. Die Zeitung zitierte aus einem vertraulichen Bericht, demzufolge mindestens 14 Firmen an dem Projekt verdient hatten, von denen 13 "direkt oder zumindest indirekt nachweisbar in Geschäftsbeziehungen mit dem Projektleiter" standen.
10. Insieme: Nach sieben Jahren bei zehn Prozent
Auch kein Musterbeispiel für schweizerische Gründlichkeit war das IT-Großprojekt Insieme ("gemeinsam'", mit der die Steuerverwaltung ihre alten Informatiksysteme zusammenführen und erneuern wollte. Nachdem Ende September 2012 nach sieben Jahren lediglich zehn Prozent der notwendigen Programmierarbeiten abgeschlossen waren, dafür aber sowohl der Zeit- als auch der Budgetrahmen gesprengt war, zog das Eidgenössische Finanzdepartement die Notbremse. Eine Weiterführung des Projekts wurde aufgrund der heute vorliegenden Erkenntnisse und Fakten als zu risikobehaftet beurteilt. Gekostet hatte der Versuch 124 Millionen Euro an Steuergeldern. (pg)