Für die Top-Manager ist es oft ein Höhepunkt ihrer Karriere, wenn sie verkünden können: "Unser Unternehmen übernimmt einen Wettbewerber." Entsprechend zuversichtlich sind zu diesem Zeitpunkt meist ihre Prognosen: "Durch die Fusion steigt unser Marktanteil um 15 und unser Umsatz um 20 Prozent. Außerdem können wir hohe Synergieeffekte erzielen." Oder: "Durch die Fusion erschließen sich uns neue Geschäftsfelder und Absatzmärkte. Dadurch eröffnen sich uns ganz neue Perspektiven."
Umso ernüchternder ist oft der Alltag nach dem Verkünden der Übernahme oder Fusion. Denn oft unterschätzen die Top-Manager die Tücken des damit verbundenen Integrationsprozesses - speziell auf der kulturellen Ebene. Denn die Kultur eines Unternehmens lässt sich anders als dessen Strukturen und Prozesse nur begrenzt mit solchen Instrumenten wie Organigrammen und Ablaufdiagrammen erfassen. Und ihre Entwicklung? Sie lässt sich nur bedingt am "Reißbrett" planen.
Fusionen und Umstrukturierungen lösen bei den Mitarbeitern der betroffenen Unternehmen stets Unsicherheiten und Ängste aus - denn hierbei gibt es neben Gewinnern stets auch Verlierer. Oder zumindest Personen, die sich als solche empfinden. Diese meist diffusen Ängste und Befürchtungen gilt es aufzufangen. Andernfalls verdichten sie sich zu Widerständen. Bei Fusionen können unter anderem folgende Ängste zu Widerständen führen:
Angst vor Einkommenseinbußen,
Angst vor einem Arbeitsplatzverlust,
Angst vor neuen Aufgaben,
Angst vor dem Verlust wichtiger persönlicher Beziehungen (zum Bespiel aufgrund einer Versetzung),
Angst vor einem Verlust an Sozialprestige,
Angst vor einem Verlust von Handlungsspielräumen und Entscheidungsbefugnissen und
Angst vor geringeren Entwicklungs-/Karriere-Chancen.
Diese Ängste werden in der Regel umso größer, je länger die Mitarbeiter nicht wissen: Was kommt auf mich zu? Deshalb sollte das Management diese Fragen so schnell wie möglich beantworten. Sonst beginnt die Gerüchteküche zu brodeln, und der mit der Fusion verbundene Veränderungsprozess erscheint für die Mitarbeiter in einem stets negativeren Licht. Deshalb stellen sich sogar Personen gegen ihn, die faktisch zu den Gewinnern zählen.
Nicht im Detail planbar
Viele Manager sind überzeugt: Wir sollten die Mitarbeiter erst informieren, wenn alles "in trockenen Tüchern" ist und ein für allemal feststeht - sonst erzeugen wir Unsicherheit. Entsprechend zurückhaltend sind sie oft mit der Information der Mitarbeiter. Dabei sind die Mitarbeiter spätestens dann in Alarmstimmung versetzt, wenn zumindest bei börsennotierten Unternehmen aufgrund der bestehenden Informationspflicht erste Meldungen über eine mögliche Fusion durch die Presse geistern.
Hinzu kommt: Fusionsprozesse lassen sich nicht im Detail planen. Viele Entscheidungen haben einen vorläufigen Charakter - auch weil nicht alle Einflussfaktoren und Wechselwirkungen präzise erfasst werden können. Zudem betreten das Unternehmen und sein Management bei Fusionen und Übernahmen oft Neuland. Es haben also noch keine oder wenig praktische Erfahrung hiermit. Deshalb führt die Angst davor, falsch oder unvollständig zu informieren, oft dazu, dass die Betroffenen fast keine offizielle Information erhalten. Dieses Informationsvakuum nährt Gerüchte und Halbwahrheiten, die wiederum Ängste schüren. Deshalb sollte im Vorfeld jeder (angedachten) Fusion ein Kommunikationskonzept erstellt werden - mit folgenden Zielen:
1. Verständnis für die Notwendigkeit der Fusion schaffen,
2. Vertrauen für die damit verbundenen Entscheidungen aufbauen,
3. Akzeptanz bei den Mitarbeitern erzeugen,
4. Motivation für die einzelnen Schritte erzeugen und
5. die Grundlage für die Identifikation mit dem neuen Unternehmen schaffen.
Jedes Unternehmen hat seine eigene Geschichte und Kultur. Fusionieren zwei Unternehmen, entbrennt meist ein Kampf um das neue Leitbild. Diesen gewinnt, sofern dieser Prozess nicht gesteuert wird, in der Regel das übernehmende Unternehmen, selbst wenn offiziell eine "Hochzeit unter gleichen" verkündet wird. Der Übernehmer dominiert also das übernommene Unternehmen. Das verstärkt die Ressentiments von dessen Mitarbeitern, was zu unnötigen Widerständen führt. Deshalb empfiehlt es sich, bei Fusionen eine Analyse durchzuführen, welche Elemente in den Kulturen der beiden Unternehmen die Zielerreichung fördern und deshalb in die neue Kultur einfließen sollten.
Beim Versuch, eine Unternehmenskultur zu verändern, spielt das Top-Management eine Schlüsselrolle. Es muss die neue Kultur vorleben. Jeder Versuch, Kulturveränderungen ausschließlich über das mittlere Management herbeizuführen, scheitert. Unterschätzt werden darf auch nicht die Langwierigkeit von kulturellen Veränderungsprozessen. Sie dauern in der Regel mindestens 3 Jahre.
Abschiednehmen erfordert Zeit
Größere Unternehmen investieren viel Zeit und Geld in den Aufbau einer Corporate Identity, also einer Firmenkultur. Denn die Mitarbeiter sollen stolz auf "ihr Unternehmen" sein und sich mit ihm identifizieren. Bei einer Fusion bricht jedoch - speziell beim übernommenen Unternehmen - diese Identität weg. Vielen Mitarbeitern, insbesondere denen, die sich stark mit ihm identifizieren, fällt es schwer, sich vom bisherigen Unternehmen mit seinen Gepflogenheiten und Ritualen zu verabschieden. Sie trauern. Im Privatleben erachten wir es als selbstverständlich: Das Abschiednehmen erfordert seine Zeit und kann kaum forciert werden. Im Unternehmenskontext existiert hierfür meist wenig Verständnis. Ein vorübergehend lethargisches und manchmal sogar aggressives Verhalten wird selten als Ausdruck von Trauer interpretiert und respektiert.
Folgende Grafik zeigt, wie der Prozess des Sich-Lösens verläuft und dass Menschen meist erst wieder eine neue Bindung eingehen können, wenn die alte "verdaut" ist. Dies gilt es beim Planen von Integrationsprozessen zu bedenken.
Gewisse Überparteilichkeit
Bei Fusionen leben die Mitarbeiter bis zum Übergang in die neue Struktur oft in einem "Schwebezustand". Wie geht es weiter? Was wird aus mir? Gibt es meinen Job nachher noch? Solche Fragen bewegen sie. In dieser Situation zeigen Mitarbeiter oft folgende Verhaltensmuster:
Dienst nach Vorschrift: Sie identifizieren sich nicht mehr mit dem Unternehmen, machen nur noch Dienst nach Vorschrift oder folgen nur noch bedingt den Anweisungen ihrer Vorgesetzten.
Operative Hektik: Sie verfallen in Aktionismus. Es werden zahllose Projekte generiert. Die Mitarbeiter wollen überall mitmischen, um in einem guten Licht zu erscheinen. Nicht die Qualität der Arbeit, die "Show nach oben" zählt.
Deshalb ist es wichtig, dass das Top-Management insbesondere den Führungskräften in der Organisation in der Übergangszeit eine Orientierung bietet, damit diese wissen, wie sie sich verhalten sollen. Sonst verpufft viel Energie wirkungslos.
Bei Fusionen werden meist in kurzer Zeit viele folgenschwere Entscheidungen getroffen - zum Beispiel über IT-Systeme, Stellenbesetzungen, Markt- und Produktstrategien. Häufig setzt sich dabei nicht das bessere, sondern das Konzept des Übernehmers durch. Felder werden besetzt und Territorien neu verteilt, wobei auch Eigeninteressen eine große Rolle spielen. Deshalb sollte das Top-Management auf eine gewisse Überparteilichkeit achten, damit insbesondere im übernommenen Unternehmen keine überflüssigen Verlierer produziert werden, die den Prozess blockieren.
Fusionen sind ein schwieriges Geschäft - auch, weil die eigentliche Arbeit erst nach Vertragsabschluss und dem Verkünden der Fusion beginnt. Unternehmensführer müssen sich bewusst sein: Eine gelungene Integration gibt es nicht zum Nulltarif. In den Monaten und Jahren nach dem Verkünden der Fusion muss das Unternehmen viel Energie in das Gestalten dieses Prozesses investieren. Außerdem sollte dieser Prozess professionell gesteuert und durch externe Experten begleitet werden - auch um sicher zu stellen, dass bei den (Folge-)Entscheidungen stets die drei Aspekte Strategie, Struktur und Kultur beachtet werden, die sich wechselseitig beeinflussen.