Warnschreie von Affen, wenn sich ein Raubtier nähert, Walgesänge, die über Kilometer hinweg in den Tiefen der Ozeane hörbar sind, oder einfach nur der Stubentiger, der Sonntagmorgens viel zu früh ins Bett springt und mit lautem Maunzen kundtut, dass es Zeit fürs Frühstück sei: Der Wunsch des Menschen, Tiere zu verstehen, ist groß - und das nicht erst seit Dr. Dolittle.
Weltweit gibt es etliche Projekte, die daran arbeiten. So haben sich die Initiatoren des Earth Species Project (ESP), einer kalifornischen Non-Profit-Organisation, zum Ziel gesetzt, die nicht-menschliche Kommunikation mit Hilfe von Machine Learning (ML) zu entschlüsseln. Die 2017 gegründete Non-Profit-Organisation wird von Großspendern wie dem LinkedIn-Mitbegründer Reid Hoffman unterstützt.
ESP verfolgt einen anderen Ansatz als konkurrierende Projekte. Bis dato hatten sich die Forscher meistens auf eine bestimmte Spezies fokussiert und versucht, deren artspezifische Kommunikation zu entschlüsseln. "Wir können heute die Emotionen von Schweinen dekodieren", hieß es vor einigen Monaten in einer Mitteilung der Universität Kopenhagen. "Wir haben Tausende von akustischen Aufnahmen über die Lebensdauer der Tiere gesammelt, von der Geburt bis zum Tod." Die Forscher haben die Tonaufnahmen ausgewertet und einen ML-Algorithmus entwickelt, der interpretieren kann, ob ein Schwein Glücksgefühle oder Begeisterung zeigt. Auch negative Signale wie Stress oder Angst lassen sich erkennen.
Ein anderer Algorithmus namens DeepSqueak, den Wissenschaftler an der Universität Washington entwickelt haben, beurteilt anhand der Ultraschallrufe von Nagetieren, ob sie sich gerade in einem Stresszustand befinden. Eine weitere Initiative - das Projekt CETI (Cetacean Translation Initiative) - will mit Hilfe von KI die Kommunikation von Pottwalen ergründen.
Von Würmern bis zu Walen
ESP plant dagegen, eine Art Universalwerkzeug zu entwickeln. "Wir sind artenunabhängig", sagt Mitbegründer Aza Raskin im Gespräch mit The Guardian. "Die Werkzeuge, die wir entwickeln, können in der gesamten Biologie eingesetzt werden, von Würmern bis zu Walen." Ermutigend für die Wissenschaftler sei gewesen, dass andere Forschungsarbeiten gezeigt hätten, wie mit ML-Algorithmen automatisierte Übersetzungen zwischen völlig unterschiedlichen menschlichen Sprachen möglich wurden - ohne dass es dazu irgendwelcher Vorkenntnisse oder Wörterbücher bedürft hätte.
Dafür haben Forscherinnen und Forscher einen Algorithmus entwickelt, der Wörter in einem physikalischen Raum darstellt. In dieser vieldimensionalen geometrischen Darstellung beschreibt der Abstand und die Richtung zwischen einzelnen Punkten (Wörtern), wie diese sinnvoll zusammenhängen, also ihre semantische Beziehung. Zum Beispiel hat das Wort "König" in dem gleichen Abstand und der gleichen Richtung eine Beziehung zu dem Wort "Mann", wie "Frau" zu "Königin". Es kommt also nicht darauf an, zu wissen, was bestimmte Wörter bedeuten, sondern zu erkennen, in welcher räumlichen Beziehung sie zueinanderstehen.
Geometrie einer Sprache hilft bei der Entschlüsselung
Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass diese Abstands- und Richtungsregeln für viele Sprachen ähnlich sind. Demzufolge sei es möglich, durch die Angleichung der geometrischen Formen eine Sprache in eine andere zu übersetzen. Dafür müsse man nur die sich einander entsprechenden Punkte finden. "So kann man die meisten Wörter recht gut übersetzen", sagt Raskin.
Das Ziel von ESP ist es, diese Art musterhafter Darstellungen auch für die tierische Kommunikation zu ermöglichen. Sind die Muster erkannt, wollen die Forscher untersuchen, ob es Überschneidungen mit den universellen Merkmalen der menschlichen Sprache gibt. Man wisse nicht, wie Tiere die Welt erleben, räumt Raskin ein. Aber es gebe Emotionen, wie zum Beispiel Trauer und Freude, die einige Tiere mit uns teilen und über die sie vielleicht auch mit Artgenossen kommunizieren.
Kommunikation ist nicht automatisch Sprache
Dass viele Tierarten nur zum Teil verbal kommunizieren, macht die Sache nicht einfacher. Man denke etwa an die Körpersprache von Hunden oder den Schwänzeltanz der Bienen, über den die Sammlerinnen anzeigen, wo es ein vielversprechendes Nektarangebot gibt. Raskin dämpft deshalb überzogene Erwartungen. Es gehe nicht darum, alles auf einmal zu erreichen und sofort einen Universalübersetzer zu finden. Vielmehr müsse man sich über die Lösung vieler kleiner Probleme an die Sprache der Tiere herantasten.
Andere Wissenschaftler sind skeptisch. Robert Seyfarth, ein emeritierter Psychologieprofessor an der University of Pennsylvania, verweist laut einem Bericht des Guardian darauf, dass viele Tiere zwar hochentwickelte, komplexe Gesellschaften bilden können, aber ein viel kleineres Repertoire an Lauten hätten als Menschen. Daher könne ein und derselbe Laut in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen haben. Seyfarth bezweifelt, dass sich die tierische Kommunikation auf sinnvolle Weise mit der menschlichen korrelieren lässt. "Ich halte diesen KI-Ansatz für unzureichend", sagt der Psychologe. "Man muss hinausgehen und die Tiere beobachten."
Raskin von ESP ist indes zuversichtlich. Möglicherweise reiche KI allein nicht aus, um sich mit anderen Arten zu verständigen. Viele Spezies kommunizierten jedoch auf eine Art und Weise, die komplexer sei, als man es sich je habe vorstellen können. Bis dato konnte man nie genug Daten sammeln und sie in großem Maßstab analysieren. Jetzt gebe es die Werkzeuge, die es ermöglichten, "die menschliche Brille abzunehmen und ganze Kommunikationssysteme zu verstehen".
Vielleicht kann man seiner Katze also doch irgendwann mitteilen, dass man noch schlafen möchte und es mit dem Frühstück noch ein bisschen dauert. Welche Gegenargumente sie dann ins Feld führt, darauf sind wir gespannt.