"Nie war mehr weibliche Macht in Europa." Zu diesem Schluss kommt die Süddeutsche Zeitung mit Blick auf die europäische Politik. In der Wirtschaft hingegen besteht Nachholbedarf. Deswegen beschließt der Bundestag gerade das "Zweite Führungspositionen-Gesetz". Einer der wichtigsten Punkte ist dabei die Forderung nach einem Mindestfrauenanteil für Vorstände mit mehr als drei Mitgliedern in großen deutschen Unternehmen. Doch die Diskussion um die Besetzung der Vorstandsetagen von Großunternehmen betrifft nur einen ganz kleinen Anteil von Frauen mit wirtschaftlichen Ambitionen. Mindestens genauso wichtig und volkswirtschaftlich interessanter ist die Stärkung des Frauenanteils bei Gründerinnen und Business Angels (Startup Angels).
Weibliche Business Angels als Wegbereiter
Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe: Zum einen gibt es auch hier ein klares Frauendefizit. Und zum anderen zeigen Gründerinnen oft ein wesentlich stärkeres Engagement für nachhaltige und gesellschaftlich relevante Ziele als ihre männlichen Kollegen.
Die Statistiken sprechen für sich: Nach den Zahlen des KfW-Start-up-Report 2019 beträgt der Anteil von Frauen an Erwerbspersonen (Personen mit bezahlter Tätigkeit) 46 Prozent. Doch bei den Startup-Gründerinnen sinkt der Anteil dann laut KfW auf gerade einmal 19 Prozent. Der Deutsche Startup-Monitor kommt für das gleiche Jahr sogar nur auf 15,7 und für 2020 auf 15,9 Prozent. Nur ein gutes Drittel erwerbstätiger Frauen wagt derzeit den Schritt zur Gründung eines Startups. Der Startup-Aspekt ist ausschlaggebend, weil es hier um Gründungsprofile im Sinne eines gewerbetreibenden Vollerwerbs geht (also nicht freiberuflich), ein Gründungsteam oder Angestellte beinhaltet und das Geschäftsmodell innovations- und wachstumsorientiert ist.
Es stellen sich folgende Fragen: Wieso sind Frauen bei der Gründung von Startups unterrepräsentiert? Und wäre es nicht wünschenswert, den Anteil deutlich zu erhöhen? Das 'Wieso' beantworten Männer gerne mit einem Klischee. Frauen seien wohl einfach weniger risikoorientiert, hört man immer wieder. Doch wer so denkt, ist auf dem Holzweg. Ein vermeintliches Jäger-und-Sammler-Syndrom scheint keineswegs ausschlaggebend dafür zu sein, dass Frauen weniger häufig Start upsgründen. Das Problem liegt vielmehr im System.
Lesetipp: Startup vs. Unternehmensgründung - Worauf Jungunternehmer achten sollten
Männliche Business Angels, männerdominierte Startups
So zeigt die Statistik von Kauffman Fellows, einem im Silicon Valley ansässigen Trainingsprogramm für Gründer/-innen, das von Venture Capital-Unternehmen finanziert wird, dass Männer geführte Startups in der Regel eher Männer einstellen. Startups mit zumindest einer Frau im Gründungsteam stellen dagegen 2,5 mal häufiger Frauen ein. Der Schluss liegt nahe, dass es vor allem an tradierten männlichen Strukturen liegt, dass Frauen in Startups auf der Führungsebene wie als Teammitglied unterrepräsentiert sind.
Lesetipp: Frauenförderung und Digitalisierung - Es liegt nicht an den Frauen, sondern anden Strukturen
Diese Struktur setzt sich auf anderen Ebenen fort. Darauf verweisen mit einem provokanten Diskussionspapier vom September 2020 etwa Dr. Alexandra Wuttig und Dr. Susanne Theresia Weber, beide Professorinnen an der IUBH Internationale Hochschule, Deutschlands größter Online-Hochschule. Der positiv gewendete Titel lautet: Mehr weibliche Business Angels führen zu mehr Startup-Gründerinnen. Die beiden Autorinnen zeigen in diesem Paper die Abhängigkeit der Startups von Finanzierungsinstrumenten, besonders in der Gründungsphase. Die These: Wer Zugang zu Gründungskapital wie einer Seed-Finanzierung durch Business Angels hat, sichert sich eine erste finanzielle Grundlage und meist auch noch ein gutes Kontaktnetzwerk. Die ernüchternde Erkenntnis fasst Alexandra Wuttig so zusammen: "Männliche Gründer erhalten im Schnitt zehnmal öfter eine Seed-Finanzierung durch Business Angels als weibliche Gründerinnen."
Der Grund: Die männliche Dominanz setzt sich bei den Business Angels fort. Der Frauenanteil liegt hier nach Zahlen der Europäischen Kommission bei 7,2 Prozent. Kein Wunder also, dass damit dann auch mehr männlich dominierte Startups entstehen als weibliche. Dabei wäre mehr Weiblichkeit in der Wirtschaft und insbesondere in der innovativen Startup-Szene Deutschlands gerade heute wünschenswert. In einer Zeit, in der immer mehr international agierende Unternehmen ihre Portfolios an Nachhaltigkeitsindizes orientieren und ihre Investitionen in fossile Energieträger, Waffen, Alkohol, Tabak, Pornographie und Glückspiel auflösen, würde ein weiblicher Impuls in dieser Richtung auch der Gründerszene mehr als gut tun.
Gründerinnen setzen andere Schwerpunkte
Alexandra Wuttig fasst ihre Erfahrungen aus der Befragung von mehr als 3.000 Gründerinnen so zusammen: "Frauen gründen viel öfter als Männer nicht nur aus ökonomischen Gründen. Sehr oft haben sie ein höheres Ziel im Blick, etwa weil sie einen neuen Umgang mit einem medizinischen, sozialen oder ökologischen Thema anstreben. Es geht also darum, ein wirtschaftlich tragfähiges Konzept, das einen innovativen Ansatz hat, mit dem Engagement für eine bessere Zukunft zu verbinden." Dabei, so Wuttig, gehe es eben nicht um den schnellen Erfolg, sondern um nachhaltige Wertschöpfung.
COMPUTERWCHE-Sonderheft Karriere 2020 gratis herunterladen
Die aktuelle politische Entwicklung unterstützt die Aussage von Alexandra Wuttig. Gerade haben die vier europäischen Regierungschefinnen Angela Merkel, Mette Frederiksen, Kaja Kallas und Sanna Marin der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen einen Brief geschrieben. Die vier fordern darin eine Offensive zur Stärkung der digitalen Souveränität der EU und schlagen der Kommissionspräsidentin vor, einen "Aktionsplan für digitale Souveränität" ins Leben zu rufen. Dabei soll der Wiederaufbaufonds passende Zukunftsprojekte fördern. Damit könnten die Mittel für die Gründung von Startups mit nachhaltigen Geschäftsideen bereitstehen, die sich Wuttig und Weber wünschen. Und vielleicht käme dabei auch die Idee zum Tragen, mehr weiblichen Gründerinnen den Weg in die Selbständigkeit mit Ideen zu ebnen, die wirtschaftliche, soziale und ökologische Innovationen in Deutschland und Europa befördern. (bw)