Veränderungsdruck durch IoT und Industrie 4.0

ERP-Anwender brauchen einen neuen Plan

11.03.2016
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Die ERP-Systeme in den Unternehmen müssen sich massiv verändern, um mit den neuen Anforderungen hinsichtlich der Digitalisierung Schritt halten zu können. Die monolithische Suite ist ein Auslaufmodell, die Zukunft gehört flexiblen Anwendungssystemen. Doch die richtig zu handeln, stellt eine neue ungewohnte Herausforderung für die Anwender dar.

Vielen Firmenverantwortlichen wächst die Komplexität rund um das Enterprise Ressource Planing (ERP) derzeit über den Kopf. In aller Regel treibt das ERP-System als Herz die gesamte Enterprise-Software-Infrastruktur an. Doch an diesem für die Unternehmen lebenswichtigen Kreislauf hängen mittlerweile immer mehr flankierende Systeme.

Nachdem sich in den vergangenen Jahren zunehmend Systeme wie Customer Relationship Management (CRM), Enterprise Content Management (ECM) und Business Intelligence (BI) aber auch E-Commerce- und Webshop-Anwendungen im Umfeld von ERP etabliert haben - und natürlich auch entsprechend integriert werden mussten -, erweitern sich die Software Infrastrukturen in den Anwenderunternehmen derzeit um eine völlig neue Dimension - mit neuen Herausforderungen.

Neue Techniken und Lösungen aus den Bereichen des Internet of Things (IoT) sowie Industrie 4.0 sorgen dafür, dass immer mehr Geräte, Produkte, Maschinen und Produktionsanlagen vernetzt werden. Das bedeutet allerdings auch, dass diese Systeme mit in die bestehenden IT-Infrastrukturen eingebettet werden müssen. Schließlich geht es darum, mit den neu hinzu gewonnenen Informationen und entsprechenden Analysen einen Mehrwert für das eigene Business zu schaffen - sei es durch einen effizienteren Produktionsprozess, besseren Service oder zusätzliche Erkenntnisse für die Entwicklung.

Das Internet der Dinge gehört zum Alltag

Für viele Unternehmen wird das Internet der Dinge 2016 Alltag, haben die Analysten von Gartner jüngst im Rahmen einer Studie herausgefunden. Zwar nutzten derzeit mit 29 Prozent noch weniger als ein Drittel der Unternehmen das IoT, doch deren Zahl wird in nächster Zukunft deutlich zulegen, so die Prognose. Wie aus den Antworten von 465 IT- und Business-Managern aus 18 Industriesektoren in Nordamerika, der Region EMEA, dem asiatisch-pazifischen Raum und Lateinamerika hervorging, soll die Zahl der Organisationen, die IoT nutzen, in diesem Jahr um die Hälfte auf 43 Prozent wachsen, zusätzliche 21 Prozent planen die Einführung nach 2016.

Dabei liegt der Fokus der IoT-Projekte Gartner zufolge bei den bereits umgesetzten IoT-Vorhaben primär (52 Prozent) darauf, interne operative Prozesse zu verbessern, mehr Effizienz zu erzielen, Kosten einzusparen und die eigenen Anlagen besser auszulasten. Doch diese Ziele auch tatsächlich zu erreichen, ist alles andere als trivial. Anwender müssen sich im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge auch einer Reihe von Herausforderungen stellen. Teilnehmer, die bereits ein IoT-Projekt umgesetzt haben, sehen Cybersecurity, Integration und die Verwaltung von Geschäftsanforderungen als größte Probleme, während IoT-Neulinge die Orchestrierung der Workflows und Prozesse als größte Herausforderung nannten.

Eine Frage der richtigen Integration

Die Ergebnisse der Gartner-Umfrage machen deutlich, dass die Unternehmen derzeit vor allem damit beschäftigt sind, IoT und Industrie 4.0 richtig in ihre bestehenden Prozesse und Infrastrukturen zu verankern. Bei dieser Aufgabe geht es aus Sicht der Analysten jedoch nicht allein darum, neue Technik an alte Technik anzuflanschen. Vielmehr müssten auch die bestehenden Systeme auf den Prüfstand und gegebenenfalls modernisiert werden, postulieren die Gartner-Analysten. Die steigende Komplexität - gerade auch im ERP-Umfeld - erfordert eine moderne Integrationsstrategie, so das Credo der Analysten.

Gelingt es den Unternehmen nicht, die anstehenden Integrationsaufgaben strategisch anzupacken und in den Griff zu bekommen, drohen Komplexität und damit auch die Kosten aus dem Ruder zu laufen, warnen die Experten. All die Vorteile, die IoT und Industrie 4.0 versprechen, könnten damit zunichte gemacht werden. Ein solches Szenario ist aus Gartner-Sicht gar nicht so unwahrscheinlich. Die Analysten gehen davon aus, dass bis 2018 in neun von zehn Unternehmen eine Integrationsstrategie für die eigene Applikationslandschaft fehlen wird. Resultat: Unordnung sowie höhere Komplexität und höhere Kosten.

Monolithische Mega-Suiten sind out

Um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, sind Renovierungs- und Umbaumaßnahmen erforderlich. "Postmodernes ERP steht für einen fundamentalen Systemwandel", sagt Gartner-Analystin Carol Hardcastle. Der Trend gehe weg von den monolithischen Mega-Suiten einzelner Anbieter hin zu lose gekoppelten und miteinander zu einem ERP-System verbundenen Funktionsbausteinen. "Eine solche Umgebung verspricht mehr Flexibilität und Agilität", sagt Hardcastle, aber eben nur, wenn es auch gelinge, die damit verbundene Komplexität in den Griff zu bekommen.

Die Infrastruktur in den Unternehmen verändert sich also. Die Mehrheit der Organisationen operiert in hybriden Landschaften, die das Applikationsportfolio insgesamt komplexer machen. Gründe dafür sind neue Herausforderungen in Sachen Integration, Analytics und Governance. Die Verantwortlichen müssten sich darüber im Klaren sein, dass der Weg zu einem modernen ERP nicht einfach ist, mahnt die Gartner-Analystin. Den Organisationen mit ihren monolithischen ERP-Stacks fehle in aller Regel das notwendige Knowhow, agile ERP-Systeme aufzubauen und zu betreiben. Außerdem mangele es an einer Integrationsstrategie. Anzunehmen, dass die Softwarehersteller dafür sorgen, sei naiv, meint Hardcastle. Das tun die Anbieter nicht, und letzten Endes müssten sich die Anwenderunternehmen selbst darum kümmern.