Künstliche Intelligenz im Elfenbeinturm: 1965 bis 1975
Die zweite Ära der KI lässt sich etwa zwischen 1965 und 1975 ansiedeln und mit dem Schlagwort KI-Winter und Forschung im Elfenbeinturm umschreiben. Weil nicht genügend Fortschritte erkennbar waren, wurde die Finanzierung der US-Regierung für KI-Projekte gekürzt. KI-Forscher zogen sich daraufhin in den Elfenbeinturm zurück und agierten in Spielzeugwelten ohne praktischen Nutzen.
Frustriert von der Komplexität der natürlichen Welt bauten die Forscher in dieser Phase Systeme, die auf künstliche Mikrowelten beschränkt waren. Die Wissenschaftler hofften damit, sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können und durch Erweiterung der Mikrowelt-Systeme nach und nach natürliche Umgebungen in den Griff zu bekommen. In dieser Phase erkannten die KI-Forscher die Bedeutung von Wissen für intelligente Systeme.
Ein typisches Programm dieser Periode mit einigem Aufmerksamkeitswert ist SHRDLU von Terry Winograd (1972). Das natürlichsprachliche System agiert in einer überschaubaren Klötzchenwelt, beantwortet Fragen nach der Lage von Klötzchen und stellt Klötzchen auf Anfrage symbolisch um. SHRDLU gilt als das erste Programm, das Sprachverständnis und die Simulation planvoller Tätigkeiten miteinander verbindet.
Ebenfalls in einer überdimensionalen Klötzchenwelt lebte der Ende der sechziger Jahre in Stanford entwickelte erste autonome Roboter - aufgrund seiner ruckartigen Bewegungen SHAKEY genannt. Der Kopf ist eine drehbare Kamera, der Körper ein riesiger Computer. Man konnte ihm Anweisungen geben, wie etwa einen Block von einem Zimmer in ein anderes Zimmer zu bringen. Das dauerte allerdings ziemlich lange. SHAKEY funktionierte leider nur in dieser Laufstall-Umwelt, in der realen Welt war er zum Scheitern verurteilt.
Ende der 1960er Jahre war die Geburtsstunde des ersten Chatbots: Der KI-Pionier und spätere KI-Kritiker Joseph Weizenbaum (1923-2008) vom MIT entwickelte mit einem relativ simplen Verfahren das "sprachverstehende" Programm ELIZA. Simuliert wird dabei der Dialog eines Psychotherapeuten mit einem Klienten. Das Programm übernahm den Part des Therapeuten, der Nutzer konnte sich mit ihm per Tastatur unterhalten. Weizenbaum selbst war überrascht, auf welch einfache Weise man Menschen die Illusion eines Partners aus Fleisch und Blut vermitteln kann. Er berichtete, seine Sekretärin hätte sich nur in seiner Abwesenheit mit ELIZA unterhalten, was er so interpretierte, dass sie mit dem Computer über ganz persönliche Dinge sprach.
Denkende KI-Maschinen? - Starke und schwache KI
In den siebziger Jahren begann ein heftig ausgefochtener Streit um den ontologischen Status von KI-Maschinen. Bezugnehmend auf die Arbeiten von Alan Turing formulierten Allen Newell und Herbert Simon von der Carnegie Mellon University die "Physical Symbol System Hypothesis". Ihr zufolge ist Denken nicht anderes als Informationsverarbeitung, und Informationsverarbeitung ein Rechenvorgang, bei dem Symbole manipuliert werden. Auf das Gehirn als solches komme es beim Denken nicht an.
Diese Auffassung griff der Philosoph John Searle vehement an. Als Ergebnis dieser Auseinandersetzung stehen sich bis heute mit der schwachen und starken KI zwei konträre Positionen gegenüber. Die schwache KI im Sinne von John Searle behauptet, dass KI-Maschinen menschliche kognitive Funktionen zwar simulieren und nachahmen können. KI-Maschinen erscheinen aber nur intelligent, sie sind es nicht wirklich.
Ein zentrales Argument der schwachen KI lautet: Menschliches Denken ist gebunden an den menschlichen Körper und insbesondere das Gehirn. Kognitive Prozesse haben sich historisch im Zuge der evolutionären Entwicklung von Körper und Gehirn entwickelt. Damit ist Denken notwendigerweise eng verknüpft mit der Biologie des Menschen und kann nicht von dieser getrennt werden. Computer können zwar diese Denkprozesse imitieren, aber das ist etwas ganz anderes als das, wie Menschen denken. Sowenig, wie ein simuliertes Unwetter nass macht, sowenig ist ein simulierter Denkprozess dasselbe wie menschliches Denken.
Im Gegensatz dazu sagen die Anhänger der von Newell und Simon inspirierten starken KI, dass KI-Maschinen in demselben Sinn intelligent sind und denken können wie Menschen. Das ist nicht metaphorisch, sondern wörtlich gemeint. Für die starke KI spricht: So wie Computer aus Hardware bestehen, so bestehen auch Menschen aus Hardware. Im ersten Fall ist es Hardware auf Silizium-Basis, im zweiten Fall biologische "Wetware". Es spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass sich Denken nur auf einer spezifischen Form von Hardware realisieren lässt. Nach allem was man bislang aus der Gehirn- und Bewusstseinsforschung weiß ist eine gewisse Komplexität der Trägersubstanz eine notwendige (und vielleicht auch hinreichende) Bedingung für Denkprozesse. Sind KI-Maschinen also hinreichend komplex, denken sie in der gleichen Weise wie Sie und ich.