Umworbene IT-Freiberufler

Drei Projektanfragen in einer Woche

26.10.2016
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Der Markt für Vermittlung freiberuflicher IT-Profis brummt, von der Digitalisierung erhoffen sich die Personaldienstleister zusätzliche Nachfrage. Je gefragter Freiberufler sind, desto schneller muss der Auftrag erteilt werden. Das haben noch nicht alle Auftraggeber verstanden.
  • IT-Freiberufler sind sehr gefragt
  • Das bestätigen die Personaldienstleister und erhoffen sich von der Digitalisierung weiteren Aufschwung
  • Auftraggeber sollten versuchen, die begehrten Freiberufler mit innovativen Projekten überzeugen

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Auch für 2017 rechnen die Vermittler von IT-Freiberuflern mit steigenden Umsätzen. Diese Zuversicht teilten alle Personaldienstleister, die die COMPUTERWOCHE zum Gipfeltreffen geladen hatte. Aufschwung erwarten sie sich durch die digitale Transformation, so Maxim Probojcevic, Marketingleiter bei Solcom: "Digitalisierung ist ein Prozess, der immer wieder neue Projekte und Veränderungen nötig macht. Die heute hohe Nachfrage nach IT-Freiberuflern wird steigen, weil im IT-Umfeld neue Themen angestoßen werden, die Firmen weder von der Kapazität noch vom Know-how her abdecken können."

Hoher Bedarf im Bereich SAP, Netzwerke und Infrastruktur

Dass sich digitale Projekte schon deutlich auf den Freiberuflermarkt niederschlagen, konnte Stefan Frohnhoff, Geschäftsführer von Emagine Deutschland, nicht bestätigen: "Die Digitalisierung ist noch nicht in allen Branchen angekommen. Auch wenn wir eine hohe Kompetenz in dem Bereich haben, so vermitteln wir nach wie vor die meisten Freiberufler in Projekten, die im Infrastruktur-, Netzwerk- oder SAP-Bereich angesiedelt sind." Für iPAXX-Vorstand Shahin Pour treiben "Logistik, Pharma und Telekommunikation die Digitalisierung voran, und wir können sie als Vermittler von freiberuflichen IT-Profis gut unterstützen."

Zum Gipfeltreffen lud die COMPUTERWOCHE die wichtigsten Personaldienstleister ein, die freiberufliche IT-Experten in Projekte vermitteln. Unser Bild zeigt von links: Stefan Frohnhoff (Emagine), Konstantin von Witzleben (Ferchau), Marco Raschia (Top IT-Services), Shahin Pour (iPAXX), Rolf Schultheis (Ferchau), Ulrich Wantia (Questax), Markus Reefschläger (GECO), Luuk Houtepen (Sthree), Alexandra Mesmer (COMPUTERWOCHE) und Maxim Probojceviv (Solcom).
Zum Gipfeltreffen lud die COMPUTERWOCHE die wichtigsten Personaldienstleister ein, die freiberufliche IT-Experten in Projekte vermitteln. Unser Bild zeigt von links: Stefan Frohnhoff (Emagine), Konstantin von Witzleben (Ferchau), Marco Raschia (Top IT-Services), Shahin Pour (iPAXX), Rolf Schultheis (Ferchau), Ulrich Wantia (Questax), Markus Reefschläger (GECO), Luuk Houtepen (Sthree), Alexandra Mesmer (COMPUTERWOCHE) und Maxim Probojceviv (Solcom).
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Ob die Vermittler die Kundennachfrage bedienen können, hängt von vielen Fakto­ren ab. Einer davon ist der Freiberufler selbst. Geco-Geschäftsführer Markus Reefschläger: "Der Zugriff auf Freiberufler in Feldern wie Javaentwicklung ist stark limitiert." Aufgrund der starken Nachfrage habe die Fluktuation zugenommen, so Reefschläger: "Projekte werden zum Teil vorzeitig abgebrochen, um bessere Angebote wahrzunehmen." Luuk Houtepen, Director Business Development DACH bei Sthree, kann das nachvollziehen: "Ein Freiberufler ist in erster Linie selbst Unternehmer. Er muss auf wirtschaftliche Entscheidungen achten. Bekommt er zwei bis drei Projektanfragen in der Woche, ist es selbstverständlich, dass er sich für das schnellste Angebot entscheidet."

Vermittler müssen schneller werden

Dienstleister müssten schneller werden, so Houtepen: "Ein Vermittlungsauftrag sollte binnen 48 Stunden unter Dach und Fach sein, sonst besteht die Gefahr, dass der umworbene Freiberufler ein weiteres Angebot angenommen hat." Die Rechnung geht nur auf, wenn die Einsatzunternehmen mitziehen. In der Realität ist das oft nicht der Fall. "Leider haben diverse Kunden ihre Onboarding-Prozesse nicht auf die Marktsituation angepasst. Sie agieren oft zu träge und nehmen den Absprung von guten freiberuflichen Kandidaten in Kauf, " sagt Geco-Mann Reefschläger. Mitunter vergehen bis zu zwei Monate, bis der Kunde ein Feedback gibt, ob er den IT-Freiberufler einsetzen will. Dann ist es zu spät.

Finden Vermittler genügend Freiberufler?

Laut Frohnhoff suchen Freiberufler "die Gewinnmaximierung ihres Einkommens. Dies führt in Einzelfällen dazu, dass jemand kurz vor Projektbeginn noch abspringt, obwohl die vertragliche Einigung bereits erzielt wurde." Unter solchen Vorzeichen werde die Frage, ob man effizient liefern könne, zum entscheidenden Erfolgsfaktor für Personaldienstleister, so Frohnhoff weiter: "Die Fokussierung auf Skills oder Fachbereiche wird dabei immer wichtiger. Die Anzahl neuer Vermittlungsaufträge ist nicht mehr alleiniger Erfolgsfaktor. Es macht keinen Sinn, sich 100 neue Vermittlungsaufträge zu sichern, wenn vorher schon klar ist, dass in bestimmten Feldern die nötigen Experten nicht vorhanden sind."

Marco Raschia, Director Global Competence Center Finance bei top itservices, ist sich bewusst, dass Dienstleister "immer die Interessen zweier Kundengruppen im Blickfeld haben müssen: Die der beauftragenden Unternehmen und die der IT-Freiberufler." Auch die Unternehmenskunden machen die Vermittlung nicht immer einfach, so Pour von iPAXX: "Wir stehen oft vor der Herausforderung, dass die Anforderungen des Kunden zu unspezifisch sind. Aus den gesuchten Profilen geht nicht genau hervor, welchen IT-Experten er genau sucht. Dann müssen wir uns etwas einfallen lassen."

Kunde verlagert Verantwortung auf Dienstleister

Zudem prägt die Verunsicherung hinsichtlich der Scheinselbständigkeit den Markt, so Ulrich Wantia, Geschäftsführer von Questax und Vorstandsvorsitzender der Conet-Gruppe. Sthree-Mann Houtepen kann das bestätigen: "Der Vermittler soll eine Lösung liefern und alle Organisation und Risiken abnehmen. Damit verlagert sich die Verantwortung in Richtung Dienstleister." Dem pflichtet Raschia von top itservices bei: "Die Kunden gehen mehr in Richtung Fixpreis und Gewerke - sie wollen ein definiertes Leistungsspektrum bezahlen."

Eine große Rolle im Vermittlungsgeschäft spielen die richtigen Themen. Laut Rolf Schultheis, Leiter des Geschäftsfelds IT bei Ferchau Engineering, werden Freiberufler eingesetzt, wenn es "um exotische Skills oder hohe Seniorität geht. Die Branchenexpertise ist entscheidend. Einen freien Mitarbeiter, der technologienah im Automotive-Umfeld tätig war, können wir häufig nicht ad hoc im Maschinenbau platzieren."

Innovative Projekte locken Freiberufler

Umgekehrt messen auch Freiberufler den Themen eine hohe Bedeutung zu, so Schultheis: "Loyal gegenüber Kunden oder Vermittler verhalten sich Freiberufler, wenn die Aufgaben stimmen. Im Engineering stehen Loyalität und Innovationsgrad des Projektes in direkter Abhängigkeit: Bei Projekten mit hohem Innovationsgrad wie autonome Fahrzeuge, Big Data oder Robotik bleiben Freelancer uns gern treu. In Grenzen hält sich der Willen zur Bindung, wenn ein Freiberufler im Prozess Management unterwegs ist und die hundertste Aris- oder BPM-Tapete erstellen soll - dann ist Loyalität eine Frage der Konditionen und des Projektstandortes."

Solcom-Mann Probojcevic hat die Erfahrung gemacht, dass "IT-Freiberufler überdurchschnitt­lich leistungsbereit sind: Sie wollen viel und in unterschiedlichen Projekten arbeiten, um ihr Know-how zu erweitern." Damit sie gefragt bleiben, sollten sie sich "genau anschauen, wie sich die Themen entwickeln und dementsprechend ihr Wissen erweitern. Nischenskills und neue Technologien können schnell an Bedeutung gewinnen, etablierte Qualifikationen stagnieren oder im schlimmsten Fall zunehmend verdrängt werden." Aus der Erfahrung von Raschia sind derzeit Datenanalysten sehr gefragt: "Viele Unternehmen sammeln sehr viele Daten, aber haben Probleme, diese auch auszuwerten."

Dass Freiberuflichkeit auch für die Generation Y eine Alternative ist, davon ist Conet-Chef Wantia überzeugt: Es werden sich immer mehr für eine Tätigkeit als Freiberufler entscheiden, da das ihrem Bestreben nach flexiblerem Arbeiten mehr entgegenkommt. Viele jüngere Mit­arbeiter fragen mich nach Home Office, Sabbatical oder einer Vier-Tage-Woche."

Digitalisierung in der Personaldienstleistung?

Dazu meint Shahin Pour von iPAXX: "Wenn unsere Kunden es geschafft haben Kandidaten ohne persönliche Vorstellungsgespräche oder Telefoninterviews zu beauftragen, dann ist die Digitalisierung auch bei uns angekommen. Der Faktor Mensch unterliegt nach wie vor einer Individualität, welche noch nicht mit Big-Data-Rasterung automatisiert werden kann, so wie viele dies gerne annehmen möchten. Es reicht nicht aus, nur ein schönes Webinterface bereitzustellen, ein paar Textbausteine für Anforderungen und erwartete Erfahrungen aufzulisten. Vielmehr sind nach wie vor der erste Eindruck, die Chemie, der " Nasenfaktor" und die fachliche Kompetenz durch ein persönliches Gespräch in beide Richtungen gleichermaßen entscheidend."