Für alle anderen Systeme, darunter beispielsweise Privatkundenplattformen oder auch mobile Apps, werde man im ersten Schritt prüfen, ob der Betrieb in der Public Cloud möglich sei. Eine Lift-and-Shift-Migration könne in manchen Fällen funktionieren, erläutert Hessenmüller das Vorgehen. Viel häufiger gehe es aber zunächst darum, Anwendungen zu modernisieren und auf den aktuellen Stand zu bringen, bevor sie in die Cloud transferiert würden.
Cloud-native und Continuous-Integration
Neue Anwendungen wollen die Hessen grundsätzlich "Cloud-native" gestalten, also in der Cloud und für die Cloud entwickeln. Sie setzen dabei auf Konzepte wie Continuous Integration (CI) und Continuous Deployment (CD). Damit lasse sich der Prozess von der Entwicklung über den Test bis hin zum Betrieb einer Applikation weitgehend automatisieren, erläutert der COO. Entscheidend ist vor allem die höhere Geschwindigkeit bei Anpassungen: Unter optimalen Bedingungen lägen zwischen der Änderung eines Quellcodes und der Inbetriebnahme der Software weniger als 15 Minuten. In der Corona-Pandemie habe die Commerzbank damit neue digitale Produkte besonders schnell marktreif bekommen. Auch der Einsatz von agilen Methoden wie Scrum und Kanban führe zu einer verbesserten Reaktionsfähigkeit auf veränderte Anforderungen.
Mit Microsoft arbeitet die Commerzbank seit 2018 im Bereich Cloud Computing zusammen, die Kooperation mit Google Cloud begann schon 2017. Anfang dieses Jahres vertieften die Frankfurter beide Beziehungen und gingen fünfjährige strategische Partnerschaften mit den US-Konzernen ein. Durch die Zusammenarbeit mit den Hyperscalern könne man komplexe Anwendungen entwickeln und diese ohne hohe Ressourcenanforderungen reibungslos anpassen, erklärt Hessenmüller. "Wir erreichen damit einen höheren Automatisierungsgrad, einen stärkeren Sicherheitsstandard sowie wesentliche Kostenvorteile."
Um gegenüber den mächtigen Hyperscalern mit einer Stimme zu sprechen, gründete die Commerzbank zusammen mit anderen europäischen Finanzinstituten die European Cloud User Coalition (ECUC). Dabei handelt es sich um eine Art User Group für Banken aus dem EU-Raum, die Anfang Juni 2021 bereits 19 Mitgliedsunternehmen zählte. Die Gruppe will unter anderem gemeinsame Standards entwickeln, an die sich Cloud Provider halten müssen. Dabei geht es insbesondere um europäische Datenschutz- und Finanzmarktregeln. Aber auch gegenüber den Regulierungsbehörden wollen die ECUC-Mitglieder gemeinsam ihre Interessen vertreten.
IT-Organisation: Raus aus dem Silo
Der digitale Wandel führte bei der Commerzbank auch zu tiefgreifenden organisatorischen Veränderungen. "Unsere IT-Organisation hat nichts mehr mit der früheren Aufstellung zu tun", berichtet Hessenmüller. "Wir haben die klassischen IT-Silos aufgebrochen und arbeiten jetzt mit integrierten, kleinen Einheiten, die selbst eine Art unternehmerische Verantwortung tragen." Entstanden sind daraus rund 50 sogenannte Cluster, die das gesamte Technik- und Produktportfolio des Konzerns abdecken. So gibt es beispielsweise ein "Cloud Cluster", das unternehmensweit Basistechnologien bereitstellt, ein "Karten Cluster" für die diversen Bankkarten-Produkte und ein Cluster für die Handelssysteme.
Der Unterschied zur hergebrachten Organisation: In den Clustern arbeiten Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Fach- und Technikabteilungen interdisziplinär zusammen und sind gemeinsam für "ihr" Produkt beziehungsweise "ihren" Service verantwortlich. Hessenmüller: "Das geht von der Idee über die Entwicklung bis hin zum laufenden Betrieb und der Wartung, getreu dem Motto: You build it, you run it."
Innovationen aus dem Inkubator
Auch beim Thema Innovation Management gehen die Banker neue Wege. "Innovationen kann man nicht befehlen", ist der Vorstand überzeugt. "Man muss dafür einen Raum und eine Kultur schaffen." Ein Instrument auf diesem Weg ist der "Main Incubator" der Commerzbank-Gruppe. Ursprünglich als Venture-Capital-Investmentgesellschaft für vielversprechende Startups gegründet, beschäftigt sich die Einheit mittlerweile auch mit Forschung und Entwicklung für den Finanzkonzern. Hessenmüller spricht von einer "Sandbox, in der wir neue Ideen ausprobieren können."