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Die Verwirrung um die Disruption

09.08.2016
Von 
Seit 1997 hat sich Alain Veuve an einer Reihe von Open-Source-Projekten, IT- und Internet-Unternehmen sowie Startups beteiligt. In Rahmen dieser Tätigkeiten hat Alain unterschiedliche internationale Unternehmen bei der digitalen Transformation sowie bei ihren E-Business-Unterfangen begleitet und beraten. Heute ist Alain ein vielzitierter Thought Leader für die digitale Transformation in Europa, der regelmäßig als Referent an Konferenzen teilnimmt. Sein Blog, alainveuve.ch, ist eine beliebte Quelle für Erkenntnisse für Entscheidungsträger innerhalb der Digital-Branche.

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Aber es ist natürlich sehr toll über diese Leuchtturm-Beispiele zu sprechen. Dass man das nächste Amazon für xy werden, einen iPhone Effekt generieren, oder so wenige Assets wie Uber haben will. Bietet sich an, wir lieben die schöne neue Welt. Mit der Realität hat das wenig zu tun.

Die Realität ist doch eher so, dass man als Führungskraft einen ganzen Bauchladen an Geschichte, historisch gewachsener Kultur, an noch nicht abgeschriebener Aktiven und Verantwortung für hunderte wenn nicht tausende Mitarbeiter mit sich trägt. Und damit lässt sich halt schlecht springen oder sprinten. Genau das ist für die Disruption aber notwendig.

Und bitte, machen Sie, um Ihretwillen, mal halblang mit unglaubwürdigen Aussagen. Denn es wirft ein ganz schlechtes Licht auf ihre Firma. So wie zum Beispiel, wenn Sergio Marchionne behauptet, das Fiat innerhalb von 12 Monaten ein wettbewerbsfähiges Elektroauto bauen könne, wenn Tesla erstmal zeige, dass sie mit dem Model 3 Geld verdienen können. Er zeigt damit, dass er nicht versteht wie Disruption funktioniert, dass Profite für disruptive Startups unglaublich drittranging sind und dass es für Fiat defakto gelaufen ist. "Wir kopieren nur noch, wenn es jemand wirtschaftlich erfolgreich gebaut hat."

Was auf den ersten Blick nach einer sicheren Strategie aussieht ist in Wirklichkeit der sichere Weg in den Tod in unserer Welt des schnellen technologischen Wandels. Elon Musk sagte zu dem Thema (nicht als Antwort auf Marchionne) "If a trend gets obvious, you're too late". So läuft das in der Welt der disruptiven Geschäftsmodelle und Startups: Das sind alles enorme Wetten auf die Zukunft.

Einfache Arbeiter im Rebberg des Herrn

Das ist doch nicht die Welt von Corporate Europe. Umso befremdlicher sind für mich diese Disruptions-Aussagen. Dieses wir sind das Uber von . . ., das Amazon . . ., das Apple von irgendwas. Jeder der sich mit diesen Themen auseinander setzt und nicht einfach den "Berater- und Analystensprech" nachplappert, kann diese Leute nicht richtig ernst nehmen. Bitte nicht mit fehlendem Respekt verwechseln.

Da sind mir Top-Execs wie Herbert Bolliger, Chef des Retail-Marktführers Migros in der Schweiz, richtiggehende Vorbilder. In einem Interview mit dem Schweizer Radio (leider nur in Schwyzertütsch) antwortet er auf die Frage ob sie, die Migros, in der Digitalisierung zu wenig visionär seien, ehrlich und glaubwürdig: Sie seien immer noch Azubis in Bezug auf die Digitalisierung und sie seien halt keine Technologie-Leute - würden aber dazulernen und hätten auch viele gute Mitarbeiter. Das ist insofern ein bemerkenswertes Statement, als dass diese Migros mehr als 1.5 Milliarden Online-Umsatz macht und durch verschiedene digitale Initiativen und geschickte Akquisitionen immer wieder eine Vorreiterrolle einnimmt. Würde er sich an der Konkurrenz orientieren könnte er lässig mit "Digitalisierung? Been there - done that" antworten. Oder dass er Migros zum Uber des Detailhandels machen will. Dafür ist er aber zu geerdet und zu clever.

Machen Sie sich an die Arbeit

Es gibt keine Abkürzungen zu Orten die es sich lohnt zu erreichen. Digitalisierung ist harte Arbeit, die Ihnen als Führungskraft alles abverlangt. Die Zeit drängt. Anstatt also auf Veranstaltungen Ihre Strategien und Konzepte zu featuren, bleiben Sie vielleicht besser in der Firma beim Team. Und machen Ihre Arbeit. So unspektakulär das erstmal ist.