Vogelgezwitscher statt Verkehrslärm

Die neue Landlust der IT-Kreativen

28.07.2011
Von 
ist freie Wirtschaftsjournalistin in London.

Große Verdienstunterschiede

Verena Amann, Recruiterin bei der 1&1 Internet AG: "Wir brauchen keine Wüstenprämie zu zahlen, um die Bewerber in die Provinz zu locken."
Verena Amann, Recruiterin bei der 1&1 Internet AG: "Wir brauchen keine Wüstenprämie zu zahlen, um die Bewerber in die Provinz zu locken."

Kein Wunder, dass auch eingefleischte Großstädter die Räume jenseits der Vorstädte für sich entdecken. Besonders junge Familien schätzen die Vorteile des Landlebens: die Natur als Spielplatz für die Kinder, das überschaubare Umfeld, kurze Wege und niedrige Lebenshaltungskosten. Verena Amann, Head of Marketing & Development bei der 1&1 Internet AG im beschaulichen Westerwald-Städtchen Montabaur, kennt diese Pluspunkte aus dem Effeff. Für sie als Recruiterin sind sie genau jene Argumente, mit denen sie Bewerber in die Provinz locken kann.

Ihr größter Trumpf allerdings hat mit der beschaulichen Kleinstadt nichts zu tun: die neue ICE-Anbindung in Montabaur. Seitdem man nur eine Dreiviertelstunde nach Köln und Frankfurt braucht, "lassen sich auch junge Leute, die Party machen wollen, leichter für den Standort Montabaur begeistern", so Amann. Eine Wüstenprämie muss 1&1 nicht zahlen, um die Bewerber in die Provinz zu locken. Die Internet-Firma hat laut Amann für ihre verschiedenen Standorte "identische Gehaltsbänder".

In anderen Unternehmen ist das nicht so. Das zeigt eine Gehaltsvergleichs-Sonderauswertung für die Computerwoche von Personalmarkt Services in Hamburg. Der Vergleich von mehr als 18.200 Gehältern von ITlern mit akademischem Abschluss erbrachte ein eindeutiges Ergebnis: In der Provinz verdienen Computerfachleute bis zu einem Drittel weniger als in der Großstadt. Erhält eine IT-Fachkraft in München im Schnitt 64.163 Euro, kommt sie in Mecklenburg-Vorpommern nur auf 43.848 Euro. Bei IT-Führungskräften ist das Gehaltsgefälle genauso groß: 109.908 Euro versus 75.110 Euro.

Gegentrend zur Virtualisierung

Die niedrigeren Verdienstchancen auf dem Land schrecken manche Wissensarbeiter aber nicht ab. "Landlust ist der Gegentrend zur Virtualisierung", sagt Trendforscher Professor Peter Wippermann aus Hamburg. "In der virtuellen Welt sind wir emotional unterfordert. Das Landleben steht in der Vorstellung der Menschen für pures Offline-Leben." So lässt sich der zunehmende Fluchtinstinkt aus der virtuellen Welt erklären, der sich in Büchern wie "Ich bin dann mal offline" von Christoph Koch oder "Ohne Netz" von Alex Rühle widerspiegelt.

"Das Landleben bietet die Möglichkeit, sich je nach Bedarf abschotten oder andocken zu können", ergänzt Trendforscher Burmeister. Community finde man heute auch auf der Scholle: einerseits in der Dorfgemeinschaft, andererseits im virtuellen Netzwerk. "Die Sehnsüchte nach Rückzug und nach Teilhabe lassen sich hier gut miteinander verbinden", so Burmeister. Ruhe ist überall auf dem Land. Wer Anschluss sucht, geht in die Dorfkneipe oder ins Internet.