Scheinwerkverträge

Die Lehren aus dem Daimler-Urteil

18.09.2013
Von 
Werner Kurzlechner lebt als freier Journalist in Berlin und beschäftigt sich mit Rechtsurteilen, die Einfluss auf die tägliche Arbeit von Finanzentscheidern nehmen. Als Wirtschaftshistoriker ist er auch für Fachmagazine und Tageszeitungen jenseits der IT-Welt tätig.

Praktikantenführung verlangt

Zum Hintergrund: Viele der von den Klägern vorgelegten 70 E-Mails gingen auf ihre ehemalige Ansprechpartnerin in der Daimler-IT zurück. Die Frau wies die Externen unter anderem an zu prüfen, ob ein bestimmter Raum frei ist, verlangte, Mitarbeiter in neue Aufgaben einzuweisen, forderte ein, sich zu bestimmten Zeiten bereitzuhalten. Auch von anderen Daimler-Mitarbeitern, insbesondere aus der Finanzabteilung, gab es direkte Beauftragungen, zum Beispiel auch dahingehend, einem Praktikanten die Firmenräume zu zeigen.

Das rechtliche Problem daran ist ein doppeltes, wie die Richter feststellen: „Diese Direktbeauftragungen der Kläger widersprechen zum einen dem vertraglich festgelegten Ticketsystem, zum anderen aber auch der Tatsache, dass [Daimler] nicht mit den Klägern (als Solounternehmern) Werkverträge geschlossen gehabt hat, sondern mit [Computacenter]", heißt es im Urteil. „Richtigerweise hätte deshalb [Computacenter] an sie gerichtete Aufträge an ihre Erfüllungsgehilfen im Rahmen ihrer Organisationsfreiheit weiterleiten müssen."

Aus Sicht von IT-Anwendern, die externe Mitarbeiter eines Dienstleisters beauftragen, stellt sich nun die Frage, inwieweit sie etwa eine direkte Beauftragung am Ticket-System vorbei verhindern können – auch wenn sie durch möglicherweise ungewollte Initiative einzelner Mitarbeiter geschieht. Daimler versicherte in dem Verfahren, dass im Unternehmen nur eine Auftragserteilung über das Ticket-System zulässig sei. „Ein Ticket, welches den Auftrag und die Auftragserteilung enthalte, könne jeder Beschäftigte von seinem Laptop über das System beantragen und erstellen oder werde von der EDV-Hotline-Stelle auf einen Anruf hin erstellt und versandt", fasst das Landesarbeitsgericht die Daimler-Argumentation zusammen. „Bei diesem Versand sei nicht bekannt, wer von den zuständigen Beschäftigten einer Fremdfirma den Auftrag bearbeite. Diese seien in der Frage der internen Zuständigkeit und Aufteilung der Arbeit vollständig frei."

Daimler verwies darauf, die eigenen IT-Mitarbeiter „mehrfach und regelmäßig" auf diese Regelungen hingewiesen zu haben. Am 29. Juli 2009 sei auch die Mitarbeiterin, die besonders viele der E-Mail-Weisungen schrieb, dahingehend geschult worden. Man habe das System der Auftragsvergabe auch in wöchentlichen Erörterungen mit dem Dienstleister kontrolliert. Neben anderen Dingen erwies sich im Verfahren auch als Problem, dass das Unternehmen die angesprochene Schulung eben jener IT-Mitarbeiterin nicht sauber dokumentiert hatte.

„Als Beweis hat die Beklagte ein zusammenhangloses Blatt aus einer angeblichen Schulungsunterlage vorgelegt", bemerken die Richter hierzu. Auf dieser Seite stehe, dass eine Beauftragung außerhalb des Ticketsystems und Gespräche mit den Beschäftigten von Computacenter nicht zulässig sind. „Die Beklagte hat im Rahmen ihrer Darlegungslast jedoch nicht substanziiert vorgetragen und unter Beweisantritt gestellt, wer, wen und wann über dieses Ticketsystem instruiert hat, dass irgendwelche Verpflichtungsermächtigungen unterschrieben worden sind, dass Konsequenzen bei Verstößen angedroht worden sind und es überhaupt Sanktionen gegeben hat", so die Richter weiter. Offenkundig hätte es vor Gericht eines Beweises bedurft, dass die Mitarbeiter „deutlich und nachhaltig darauf hingewiesen" wurden, dass das Ticketsystem strikt einzuhalten ist, Direktbeauftragungen der Externen untersagt und bei Verstößen gegen das Ticketsystem Sanktionen zu befürchten sind.

Schulungen unerlässlich

Zusammenfassend muss noch einmal darauf hingewiesen werden, dass ein Urteil von höchster Instanz noch aussteht, vom Bundesarbeitsgericht aber in absehbarer Zeit zu erwarten ist, falls Daimler sich zur Revision entschließen sollte. Ansonsten fußt das Urteil aus Baden-Württemberg auf einer Gemengelage von Punkten, die in drei Kategorien fallen.

  • Erstens sind einige tatsächlich so zu werten, dass sie vor allem für diesen Einzelfall eine Rolle spielen. Ein Beispiel dafür ist etwa, dass eine temporäre Arbeitszeitverkürzung bei Daimler direkt auf die Auftragsvergabe beim IT-Dienstleister übertragen worden zu sein scheint, was den Richtern als sachlich ungerechtfertigt erschien.

  • Zweitens kommen die typischen Abgrenzungsfragen von Werk- und Dienstverträgen sowie Arbeitnehmerüberlassung zum Tragen, wie sie beim Verdacht einer Scheinselbständigkeit klassisch sind. Das Urteil beinhaltet in dieser Beziehung nachvollziehbarerweise keine neuen Erkenntnisse, sondern stützt sich auf die bekannte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes dazu. IT-Anwendern ist diesbezüglich zu raten, diese Fragen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen und im Unternehmensleben ernst zu nehmen. Das Landesarbeitsgericht hat hierzu deutlich gemacht, dass im Zweifelsfall wichtiger als eine lupenreine Papierform ist, wie die Zusammenarbeit tatsächlich gelebt wird.

  • Drittens und aus Sicht von IT-Abteilung besonders spannend sind die Entscheidungen und Ausführungen der Richter zu den dokumentierten Weisungen per E-Mail und zur Auftragsvergabe im Ticket-System und daran vorbei. Zur Einordnung dessen ist zu sagen, dass es dazu bisher kaum Gerichtsurteile gibt und dem Entscheidungsfall insofern eine besondere rechtliche Relevanz zuzusprechen ist. In vergleichbaren Fällen konnten sich die Streitparteien in der Vergangenheit zumeist in einem Vergleich einigen. Als Lehre für die Anwender bleibt in jedem Fall, mit aller Macht dafür zu sorgen, dass Vorgaben zur Auftragserteilung ausschließlich über ein Ticket-System konsequent eingehalten werden. Offensichtlich bedarf es dahingehend einer wasserdicht dokumentierten Schulung der eigenen Mitarbeiter sowie auch Kontrollen und Sanktionen, damit die Regelung nicht durch zu ausgeprägte persönliche Nähe zwischen Mitarbeitern und Externen unterlaufen wird.