Scheinwerkverträge

Die Lehren aus dem Daimler-Urteil

18.09.2013
Von 
Werner Kurzlechner lebt als freier Journalist in Berlin und beschäftigt sich mit Rechtsurteilen, die Einfluss auf die tägliche Arbeit von Finanzentscheidern nehmen. Als Wirtschaftshistoriker ist er auch für Fachmagazine und Tageszeitungen jenseits der IT-Welt tätig.
Daimler muss zwei externe IT-Fachleute fest anstellen, weil deren Werkverträge nur Scheincharakter gehabt hätten. Der Richterspruch zeigt CIOs, dass bei einem Ticket-System höchste Akribie unerlässlich ist.
Nach Urteil des Landesarbeitsgerichtes Baden-Württemberg verfügen zwei bisher externe IT-Profis über feste Beschäftigungsverhältnisse bei Daimler. Der Autobauer prüft eine Revision.
Nach Urteil des Landesarbeitsgerichtes Baden-Württemberg verfügen zwei bisher externe IT-Profis über feste Beschäftigungsverhältnisse bei Daimler. Der Autobauer prüft eine Revision.
Foto: Daimler

Zwei formal freiberuflich bei einem Dienstleister unter Vertrag stehende IT-Spezialisten haben sich für den Moment erfolgreich bei der Daimler AG eingeklagt. Der Fall machte vor einigen Wochen Schlagzeilen: Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg wertete die Verträge der beiden IT-Profis als Scheinwerkverträge und gab ihrer Klage auf ein festes Beschäftigungsverhältnis beim Autobauer aus Stuttgart statt. Für IT-Anwender stellt sich nun die Frage, welche Folgen das Urteil über die Daimler-Werksgrenzen hinaus hat. Die Antwort scheint klar: Es drohen sicherlich auch anderswo unangenehme Konsequenzen.

Man muss dazu sagen, dass der Richterspruch noch nicht rechtskräftig ist. Daimler prüft eine Revision beim Bundesarbeitsgericht, die von den baden-württembergischen Richtern wegen grundsätzlicher Bedeutung des Falls zugelassen wurde. Möglicherweise kippt Erfurt also noch das jetzige Urteil. Fest steht aber auch: Es wäre naiv anzunehmen, dass vergleichbar gestrickte Beschäftigungsverhältnisse wie bei Daimler nicht bei vielen Anwendern und Dienstleistern bestehen. Erhält die äußerst schlüssig erscheinende Argumentation des Landesarbeitsgerichtes auch in letzter Instanz Bestätigung, könnte eine Flut an Klagen externer Mitarbeiter auf Festanstellung in den IT-Abteilungen drohen. Besonders kritisch ist es, wenn Firmenmitarbeiter den Externen per E-Mail direkte Weisungen erteilt haben.

E-Mails als Beweismittel

Es lohnt in jedem Fall, den Richterspruch des Landesarbeitsgerichtes genauer unter die Lupe zu nehmen. Er bestätigt zum einen altbekannte Urteile des Bundesarbeitsgerichtes zur Scheinselbständigkeit. Wie bekannt ist es riskant, freie Mitarbeiter über einen langen Zeitraum in den eigenen Firmenräumen zu festen Arbeitszeiten mit unternehmenseigenen Geräten und festen Ansprechpartnern im Unternehmen zu beschäftigen. Zum anderen gewinnt der Fall an Brisanz durch einige andere Aspekte. Er zeigt auf, dass auf elektronischem Wege erteilte Weisungen an freie Mitarbeiter von diesen gesammelt werden und – nach Lage der Dinge – als Beweisdokumente vor Gericht dazu dienen können, feste Arbeitsverträge einzuklagen. Im Daimler-Fall reichten den beiden IT-Profis dafür einige Dutzend E-Mails.

Das Beispiel zeigt bei genauer Betrachtung auch, dass sich Unternehmen vor dem Handeln der eigenen Mitarbeiter vorsehen müssen. Offenbar war eine einzelne Daimler-Mitarbeiterin für einen großen Teil der vorgelegten Weisungen verantwortlich. Eine weitere Dimension ist für die Zusammenarbeit mit IT-Dienstleistern anderswo von höchster Relevanz: Daimler und seine Dienstleister hatten ein Ticket-System zur Beauftragung der Externen im Einsatz – eine Maßnahme also, die dem Verdacht einer Scheinselbständigkeit vorbeugen soll. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes mit Aktenzeichen 2 Sa 6/13 zeigt auch, dass derartige Ticket-Systeme mit äußerster Penibilität und Ausschließlichkeit gelebt werden sollten, wenn man bei der Beauftragung freier Computertechniker nicht in die Bredouille kommen will.

Zugetragen hat sich im Entscheidungsfall im Kern folgendes: Daimler arbeitete seit vielen Jahren mit Computacenter als IT-Dienstleister zusammen; die Eckdaten der Zusammenarbeit regelten Rahmenverträge; Computacenter setzte zur Erfüllung des Daimler-Aufträge auch Subunternehmen ein. In diesem Konstrukt waren die beiden 56 und 52 Jahre alten Kläger bei Daimler tätig, formal ausgerüstet mit Werkverträgen bei Computacenter respektive bei vom Dienstleister beauftragten Subunternehmen. Die beiden IT-Profis erfüllten seit langer Zeit, nämlich seit 2001, Aufträge für Daimler – über die Jahre gesehen offenbar zumeist so, dass nur auf den Autohersteller zurückgehende Aufträge übernommen wurden. Seit einigen Jahren arbeiteten sie regelmäßig vor Ort in der Stuttgarter Firmenzentrale, zu festen 8 bis 17 Uhr-Arbeitszeiten und mit wechselnden, aber jeweils festen Ansprechpartnern im Unternehmen. Jenseits der formalen Verträge ergab es sich, dass Firmenmitarbeiter die beiden IT-Spezialisten kennenlernten und bei Störungen auch direkt um Hilfe baten.

Arbeitsgericht gab Daimler zunächst Recht

Das Urteil lässt durchaus den Schluss zu, dass ein Scheinarbeitsverhältnis eventuell bereits seit langer Zeit bestanden haben könnte. Beweismaterial in Form von ausgedruckten E-Mails mit Weisungen legten die Externen aber nur für die vergangenen drei Jahre vor. In dieser Phase löste das Duo vor allem Computerprobleme in der Finanzabteilung des Autobauers. In diesem Zeitraum wurden die beiden auch auf Zuruf von Mitarbeitern aus der Abteilung aktiv – man kannte sich eben – und erfüllten Aufträge mit Weisungscharakter und abseits des Ticket-Systems, die von ihren Ansprechpartnern im Unternehmen kamen.

Auslöser der Klage war dann offenbar, dass Daimler die Zusammenarbeit mit dem von Computacenter beauftragten Subunternehmen, für das sie formal tätig waren, Ende 2011 beendete. Die Klage der beiden IT-Spezialisten auf Festanstellung bei Daimler war vor dem Arbeitsgericht Stuttgart ohne Erfolg geblieben. Dieser stellte sich aber jetzt eine Instanz höher vor dem Landesarbeitsgericht ein.

„Für die rechtliche Abgrenzung des Werk- oder Dienstvertrags zur Arbeitnehmerüberlassung ist allein die tatsächliche Durchführung des Vertrages maßgebend", lautet ein Leitsatz des Urteils. Die Richter bekräftigen damit, dass juristisch nicht entscheidend sei, wie die Verträge mit freien Mitarbeitern formal aussehen. Es komme darauf an, wie sie in der Praxis tatsächlich gelebt werden. Formal hatten Daimler, Dienstleister und Externe auf Basis von Werkverträgen zusammengearbeitet, an denen für sich genommen nichts auszusetzen ist. So eng, wie die IT-Profis in die Daimler-Strukturen eingebunden waren, hat es sich nach Einschätzung der Richter indes faktisch um eine Arbeitnehmerüberlassung gehandelt, die die Ansprüche auf eine Festanstellung begründen.

In einer Randnotiz des Urteils stellen die Richter fest, dass es sich bei den Werkverträgen inhaltlich auch eher um Dienstverträge denn um Werkverträge gehandelt haben dürfte. „Das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen Werkvertrag und Dienstvertrag liegt darin, dass beim Dienstvertrag das bloße Wirken, die Arbeitsleistung als solche, beim Werkvertrag dagegen die Herbeiführung eines vereinbarten Arbeitsergebnisses geschuldet wird", erläutern die Richter.

Ein für Anwender aufschlussreiches Detail des Urteils ist, dass die Richter bemängeln, Daimler habe in all den Jahren nie Gewährleistungsrechte geltend gemacht. An den Arbeitsergebnissen der IT-Service-Leistungen ist also nie etwas bemängelt worden. Das deutet nach Lesart des Gerichts darauf hin, dass tendenziell eher die Arbeitsleistungen denn – wie idealerweise bei freien Mitarbeitern der Fall – ein Arbeitsresultat eingekauft worden sind. Das ist eine der vielen Facetten des Richterspruchs, aus denen IT-Anwenderfirmen in ähnlicher Lage lernen können.