Handeln Unternehmen von sich aus ethisch? In der Vergangenheit konnte man sich sicher sein, dass diese Frage in jeder Nachhaltigkeitsdiskussion vorkommt. Das aber war vor der postulierten "Zeitenwende" und bevor Windräder zu "Freiheitsenergien" wurden. Heute ist die Frage nach der unternehmerischen Ethik zwar immer noch nicht beantwortet - aber es gibt auch keinen Grund mehr, sie zu stellen, seit Sparsamkeit auch Notwendigkeit ist.
Die IT bildet hier keine Ausnahme, mehr noch: Sie ist in einer besonderen Weise von der Energiekrise betroffen. Einerseits nimmt der CO2-Fußabdruck von Rechenzentren einen Hauptanteil an den Gesamtemissionen ein, andererseits liegt in der Digitalisierung ein branchenübergreifend gigantisches Potenzial, Produktionsprozesse effizienter zu machen, Lieferketten zu optimieren oder unnötige Fahrstrecken zu vermeiden. IT ist in der Klimadebatte Ursache und Lösung zugleich, weswegen ein Gespräch unter Branchenvertretern auch besonders facettenreich sein kann.
Das demonstrieren die Diskutierenden der Foundry-Expertenrunde "Erfolgsfaktoren für mehr Energieeffizienz in der IT". Von der Code-Ebene bis zum Hyperscaler-Rechenzentrum legt die Diskussion die Anzahl ungenutzter Potenziale offen, um Ressourcen einzusparen und liefert Einblick in den Paradigmenwechsel, der sich gerade vollzieht.
Für Heiner von Brachel von Reply lässt sich die veränderte Wahrnehmung von Nachhaltigkeit bereits organisatorisch ablesen: "Es hat gedauert, aber heute genießt das Thema Nachhaltigkeit eine so hohe Relevanz, dass es in vielen Unternehmen mittlerweile direkt beim CFO angesiedelt ist. Dazu kommt, dass der Krieg in der Ukraine den Druck zur Energieeinsparung noch einmal verstärkt hat."
- Heiner von Brachel, Reply
„Ein weiterer Pluspunkt ist der Motivationsfaktor für die Mitarbeiter. Gerade Absolventen fragen in Vorstellungsgesprächen aktiv nach der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens und welcher Impact für die Gesellschaft mit ihrer Aufgabe einhergeht.<br /><br />Es ist schön zu sehen, dass der Veränderungsdruck auch bei den Hyperscalern ankommt. Kunden fragen heute gezielt, in welcher Umgebung und mit welcher Energie ein Rechenzentrum betrieben wird.<br /><br/>Bei der Datennutzung sollte man sich fragen, ob die Genauigkeit bei 100 rechenintensiven Prozent liegen muss, oder ob weniger Genauigkeit für meinen Business Case schon ausreicht. Allein durch die systematische Messung und Sichtbarmachung des Verbrauchs entsteht ein Anreiz zu Einsparungen. Aber auch Aktionen wie ein “IT-Frühjahrsputz”, interne Challenges oder andere Initiativen sind schöne Beispiele, um die Nachhaltigkeit zu erhöhen.“ - Henrik Hausen, all4cloud
"Ein Ukraine-Effekt ist schon spürbar und ist ein Indikator dafür, dass Energieeffizienz und Nachhaltigkeit in den Unternehmen eher kommerziell getrieben sind. Der aktuelle Spardruck durch die Energiekrise hat einen großen Einfluss.<br /><br /> Auch Imagefaktoren sind nicht zu vernachlässigen. Unternehmen fragen sich: Kann ich es mir überhaupt noch leisten, nichts zu tun?<br /><br /> An der Cloud führt wegen vieler Faktoren kein Weg vorbei. Und diese Cloudifizierung bedeutet erstmal auch mehr Energieeffizienz, weil ich statistisch weniger Strom pro User und Kunde benötige." - Werner Schwarz, Cancom
"Es gibt einerseits viele Low Hanging Fruits wie den Home-Office-Effekt durch Corona oder eingesparte Geschäftsreisen – alles vergleichsweise leicht umzusetzende Maßnahmen. Andererseits gibt es aber auch Ziele, die deutlich ambitionierter sind: Das Industrial Internet of Things, eine volldigitalisierte Produktion oder die Schaffung einer “Circular Economy” - all das gehört dazu.<br /><br /> Kunden sind teilweise sehr klar Richtung mehr Nachhaltigkeit unterwegs, allein schon, um den Reporting-Verpflichtungen beispielsweise der NFRD zu genügen. Was allerdings fehlte, ist die konkrete Überführung in den Alltag der IT-Abteilung. Das passiert jetzt durch den Handlungszwang im Rahmen der stark gestiegenen Energiepreise und den neu beschlossenen regulatorischen Anforderungen wie der CSRD." - Marcel Russ, Exxeta
„Die Entwicklercommunity gibt – zum Beispiel durch Foren wie die ‚Green Software Foundation‘ – mittlerweile sehr konkrete Anstöße, auch auf Code-Ebene, für mehr Nachhaltigkeit. Von der Codebasis über die Programmiersprache bis hin zur Wahl des Speicherortes existieren hier eine ganze Reihe an Stellschrauben.<br /> Oft verhindert die Legacy ein Umdenken: Riesige Softwaremonolithen, in denen die IT wie ‚zubetoniert‘ ist, lassen kaum Raum für Innovationen. Das können wir nur aufbrechen, indem wir eine aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Legacy fördern und verdeutlichen, dass jedes Unternehmen heute auch eine IT-Firma ist.“ - Jörgen Venot, Data Center Group
„Der Dialog mit Städten und Gemeinden gehört fest zum Prozess beim Aufbau von Rechenzentren. Nachhaltigkeit und Green IT werden in diesem Kontext immer wichtiger. Neben konkret messbarer Energieeffizienz spielen weitere Faktoren eine entscheidende Rolle, wie zum Beispiel Consulting, nachhaltige Bauplanung und -realisierung, energieschonende Ressourcennutzung oder Smart Monitoring.“ - Bernd Gill, Rackspace
"Gegenüber privaten Rechenzentren habe ich in der Cloud viel mehr Möglichkeiten, meinen Energieverbrauch zu optimieren. Und weil ein ressourcenschonender Betrieb plötzlich auch wirtschaftlich relevant wird, ist der Nachhaltigkeitsaspekt ein willkommener Nebeneffekt, der auf dem eigenen Server fehlt.<br /><br /> Monolithische Applikationen sind oft voller “Totcode”, der bei jeder Berechnung mitläuft und Energie verbraucht. Außerdem wird dadurch Innovation und Skalierung im Keim erstickt. Denkbar sind auch ganze “CO2-ERP-Systeme”, mit denen Unternehmen den Footprint über die gesamte Supply Chain hinweg monitoren und optimieren können." - Tobias Rebele, Informatica
„Die IT kann Unternehmen in Form von Software und Tools unterstützen, auch unter Einsatz von KI. Dadurch wird nicht nur Nachhaltigkeit erreicht, sondern als Folge auch eine nachhaltig hohe Datenqualität.<br /><br /> Ohne die Unterstützung von Automatisierung im Reporting wird es langfristig nicht gehen. ESG wird nur den gleichen Status haben, wenn das genauso schnell und detailliert geht wie in allen anderen Bereichen.<br /><br /> Das Thema ESG hat mittelfristig die größten Chancen, wenn es von oben kommuniziert wird. Ein gewisser ‚Buy-In‘ muss da sein, egal ob jetzt als Center of Excellence oder anderweitig organisiert.“
Cloud allein reicht nicht
Bisher waren es vor allem Compliance- oder ESG-Regeln (Environmental, Social and Governance) oder in manchen Branchen der europäische Emissionshandel, die den Takt vorgaben.
"Auf Governance-Ebene kann man ESG schon auf die Frage "Regulatorik oder Mehrwert" herunterbrechen. Aktuell geht es eher darum, Compliance-Vorgaben einzuhalten, als fundamentale Veränderungen anzustoßen", bemerkt Tobias Rebele von Informatica. "Durch Regularien wie die CSRD spüren die Unternehmen gerade einen gewissen Druck. Darüber hinaus finden CFOs das Thema Nachhaltigkeit auch wichtig, wollen aber nicht proaktiv tätig werden. Daran sieht man schon, dass Compliance einer der wichtigsten Hebel bei der Umsetzung ist."
"Dort, wo aber keine klaren Regeln herrschen, existieren höchstens zarte Ansätze", bemerkt Henrik Hausen von All4Cloud. "Erst wenn es gesetzliche Vorgaben oder wirtschaftliche Zwänge gibt, rückt das Thema Nachhaltigkeit auf die Agenda." Doch weil der Energieverbrauch in vielen Branchen mit dem Ukraine-Krieg schlagartig zum Wettbewerbsfaktor wurde, suchen Unternehmen jetzt nach Einsparmöglichkeiten über die Compliance hinaus.
Kostenoptimierter Betrieb
Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Cloud - und zwar auf vielfältige Weise. Thema Skalierbarkeit: Die Verlagerung von IT-Ressourcen in die Public Cloud ist zum einen schon "by Design" effizienter als eine On-Premises-Umgebung, weil Speichergröße und Rechenleistung viel flexibler am Bedarf ausgerichtet werden können, als im eigenen Rechenzentrum. Zum anderen besteht für Unternehmen durch die Visualisierung des Verbrauchs in der Cloud die intrinsische Motivation, ihre IT möglichst kostenoptimiert zu betreiben.
Die Potenziale der Cloud bilden gleichzeitig aber auch die Kehrseite der Medaille, denn ihre Nutzung führt nur in den seltensten Fällen tatsächlich zu einer Ersparnis des Verbrauchs, wie Marcel Russ von Exxeta illustriert: "Die Cloud ist zwar energieeffizienter; wenn ich mich aber dann dafür entscheide, sämtliche Urlaubsbilder dort zu speichern, mache ich diesen Effekt wieder zunichte. Historisch gesehen führte jede technische Innovation erst einmal zu mehr Energieverbrauch. Diesen so genannten "Rebound" gilt es zu verstehen und zu verhindern."
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Der Druck auf die Hyperscaler steigt
Die reine Nutzung einer Cloud-Infrastruktur reicht also nicht aus, um alle Probleme zu lösen. Es ist auch wichtig, in welchem Setup diese betrieben wird und mit welchem Energiemix. Doch laut Diskutierenden ist hier mittlerweile ein gewisser Trend zum Positiven abzulesen. Unternehmenskunden fordern über den reinen Kostenaspekt hinaus mehr Ressourcenbewusstsein von Rechenzentrumsbetreibern und vor allem den Hyperscalern. Das gilt besonders für Unternehmen, von denen erwartet wird, dass sie mehr als das Nötige tun. "Nur Geld zu sparen ist das eine, wirklich Verantwortung zu übernehmen das andere", so Russ. "Potenzielle Mitarbeitende hören bei diesem Thema zum Beispiel ganz genau hin. Viele wollen nicht bei einer Firma arbeiten, die zum Thema Nachhaltigkeit lediglich Lippenbekenntnisse abgibt."
Die Hyperscaler haben bereits teilweise auf die veränderte Nachfrage reagiert und bieten heute mehr Möglichkeiten, erneuerbare Energien zu nutzen. Sie bauen ihre Rechenzentren zum Beispiel in Regionen, in denen natürliche Ressourcen wie Sonnen-, Wind- oder Wasserkraft besonders gut nutzbar sind - oder betreiben sogar eigene Solar- und Windparks.
Für Jörgen Venot von der Data Center Group wird Green IT aber auch immer mehr zum Standortvorteil, mit denen Länder gezielt ihre Attraktivität erhöhen können. "Island setzt zum Beispiel mit seinen vielen natürlichen Energieressourcen ganz gezielt darauf, Rechenzentren anzusiedeln. Es ist zu hoffen, dass auch Hyperscaler diesem Beispiel folgen und mit diesem Argument um User werben."
Doch auch softwareseitig sind die Möglichkeiten, Einfluss auf die Standortwahl des Rechenzentrums zu nehmen, noch nicht ausgeschöpft. Gute Beispiele sind für Marcel Russ Softwarelösungen wie das "Carbon Aware SDK", die es beispielsweise ermöglichen, Software-Systeme dort laufen zu lassen, wo der Energiemix gerade am ökologischsten ist.
Eine Frage der Messbarkeit
Selbst wenn ein Unternehmen schon die Cloud nutzt, stellt sich am Ende immer noch die Frage der Definition von Nachhaltigkeit. Für Werner Schwarz von Cancom ist "Green IT" eng mit diesem Thema verknüpft. "In einem Rechenzentrum können Sie manche Faktoren wie den Energieverbrauch für die Kühlung relativ leicht erfassen. Die wirkliche Herausforderung liegt aber darin, zu erkennen, welcher Workload wo wie viel verbraucht."
Grundsätzlich bildet die Mess- und Sichtbarkeit daher die Basis für ein ressourcenbewusstes Handeln:"Erst wenn ich den Verbrauch im Unternehmen transparent mache, kann ich entsprechende Nachhaltigkeitsmanagementsysteme implementieren", so Schwarz. "Um an diese Daten zu kommen, ist noch viel zusätzliche Sensorik zur Erfassung nötig. Idealerweise habe ich irgendwann relative Echtzeitdaten, um alles in einem zentralen Dashboard zu monitoren und zu überwachen."
Auch hier birgt die Public Cloud gewisse systemimmanente Vorteile: "Carbon Awareness nimmt einen großen Anteil bei der Realisierung nachhaltiger IT ein", sagt Bernd Gill von Rackspace. "Die Schwierigkeit liegt aber sicher darin, einen geeigneten Maßstab für Einsparungen zu finden. Softwarebasierte Lösungen in der Cloud schließen diese Informationslücke."
Nachhaltigkeit ist Governance
Ob das Thema in einem Unternehmen eher minimalistisch oder ambitioniert behandelt wird, lässt sich unterm Strich relativ zuverlässig an der organisatorischen Aufhängung ablesen. Kümmert sich zum Beispiel vor allem die IT darum, oder ist auch die Geschäftsführung involviert?
Auch neue Ansätze werden gerade sichtbar, wie Heiner von Brachel schildert: "Interne Sustainability Boards sorgen für die nötige Verbindlichkeit auf allen Ebenen. Wenn jeder Unternehmensbereich gefordert ist, konkrete Maßnahmen zu formulieren, werden die gesteckten Nachhaltigkeitsziele auch wirklich erreicht."
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